Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag und willkommen!
Ich freue mich, in diesen Tagen, in denen ihr den 50. Gründungstag der Vereinigung von Liturgieprofessoren und -experten begeht, mit euch zusammenzutreffen. Ich schließe mich eurem Dank an den Herrn an. Vor allem wollen wir für jene danken, die vor 50 Jahren den Mut hatten, die Initiative zu ergreifen und diese Vereinigung ins Leben zu rufen. Sodann danken wir allen Männern und Frauen, die in diesem halben Jahrhundert daran teilgenommen und ihren Beitrag zur Reflexion über das liturgische Leben der Kirche eingebracht haben. Und wir danken für das, was die Vereinigung zur Unterstützung der Rezeption der vom Zweiten Vatikanum inspirierten Liturgiereform in Italien getan hat.
Sorgfalt und Klugheit
Die Zeitspanne des Bestehens und des Engagements der Vereinigung entspricht in der Tat dem von der Liturgiereform geprägten Abschnitt des kirchlichen Lebens: ein Prozess, der verschiedene Phasen durchlaufen hat, von der Anfangsphase der Herausgabe der neuen liturgischen Bücher bis zu den Rezeptionsphasen der folgenden Jahrzehnte. Diese Rezeption ist immer noch im Gange und sieht uns alle mit deren Vertiefung be-fasst, die Zeit und Sorgfalt erfordert, eine leidenschaftliche und zugleich geduldige Sorgfalt. Sie erfordert geistliche Klugheit und pas-torale Klugheit. Sie erfordert liturgische Bildung, im Hinblick auf eine Weisheit liturgischen Feierns, das sich nicht improvisieren lässt und beständig verfeinert werden muss.
Auch eure Tätigkeit in Wissenschaft und Forschung hat sich in den Dienst dieser Aufgabe gestellt, und ich wünsche mir, dass dies weiterhin und mit neuem Eifer geschieht. Daher ermutige ich euch, sie fortzuführen im Dialog untereinander und mit anderen, denn auch die Theologie kann und muss einen synodalen Stil haben und die verschiedenen theologischen und humanwissenschaftlichen Disziplinen einbeziehen durch die »Vernetzung« mit Institutionen, die sich auch außerhalb Italiens der Liturgiewissenschaft widmen und sie fördern.
In diesem Sinn ist auch euer Vorsatz zu verstehen – der unerlässlich ist –, darauf zu achten, die christlichen Gemeinschaften anzuhören, so dass eure Arbeit niemals getrennt ist von den Erwartungen und Bedürfnissen des Gottesvolkes. Dieses Volk – dessen Teil wir sind! – muss sich stets weiterbilden, wachsen, und besitzt zugleich in sich diesen Glaubensinstinkt – den »sensus fidei« –, der ihm zu unterscheiden hilft, was von Gott kommt und was wirklich zu Gott führt (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 119), auch im Bereich der Liturgie.
Die Liturgie ist das Werk Christi und der Kirche, und insofern sie ein lebendiger Organismus ist, wie eine Pflanze, darf sie nicht vernachlässigt oder malträtiert werden. Sie ist kein Denkmal aus Marmor oder Bronze, sie ist nichts Museales. Die Liturgie ist so lebendig wie eine Pflanze und muss mit Sorgfalt gepflegt werden. Und außerdem ist die Liturgie etwas Freudiges, mit der Freude des Heiligen Geistes, kein weltliches Fest, sondern mit der Freude des Heiligen Geistes. Daher ist zum Beispiel eine Liturgie mit einem düs-teren Friedhofston nicht zu verstehen, das geht nicht. Sie ist immer freudig, weil sie das Lob des Herrn singt.
Aus diesem Grund darf eure Arbeit der Unterscheidung und Forschung niemals den wissenschaftlichen Aspekt vom pastoralen und geistlichen Aspekt trennen. »Einer der wichtigsten Beiträge des Zweiten Vatikanischen Konzils [war] das Bestreben, die Trennung zwischen Theologie und Pastoral, zwischen Glauben und Leben zu überwinden« (Apostolische Konstitution Veritatis gaudium, 2). Heute müssen wir mehr denn je eine hohe Auffassung von der Liturgie haben, die sich nicht auf Abhandlungen über rubrizistische Details beschränkt: eine Liturgie, die nicht weltlich ist, sondern den Blick zum Himmel erhebt, um zu spüren, dass die Welt und das Leben vom Geheimnis Christi bewohnt sind, und zugleich eine Liturgie, die »mit beiden Beinen auf der Erde steht«, »prop-ter homines«, nicht vom Leben distanziert. Nicht mit jener weltlichen Exklusivität, nein, das spielt keine Rolle. Ernsthaft, den Menschen nahe. Beides zusammen: den Blick auf den Herrn richten, ohne der Welt den Rücken zuzukehren.
Fortschritt und Tradition
Kürzlich habe ich im Brief Desiderio desideravi über die liturgische Bildung die Notwendigkeit unterstrichen, Wege für ein Studium der Liturgie zu finden, das über die akademische Welt hinausgeht und das Volk Gottes erreicht. Ausgehend von der liturgischen Bewegung ist in dieser Hinsicht viel getan worden, mit wertvollen Beiträgen von vielen Gelehrten und akademischen Institutionen. Dabei möchte ich hier an Romano Guardini erinnern, der sich durch seine Fähigkeit ausgezeichnet hat, die Erkenntnisse der liturgischen Bewegung außerhalb des akademischen Bereichs zu verbreiten, allen zugänglich und leicht verständlich, damit alle Gläubigen – angefangen bei den jungen Menschen – wachsen können in der lebendigen und auf Erfahrung beruhenden Kenntnis der theologischen und geistlichen Bedeutung der Liturgie. Seine Persönlichkeit und sein ebenso moderner wie klassischer Ansatz in der liturgischen Bildung mögen für euch ein Bezugspunkt sein, damit euer wissenschaftliches Studium kritische Intelligenz und geistliche Weisheit ebenso zu vereinen weiß wie biblische Grundlage und kirchliche Verwurzelung, Offenheit für Interdisziplinarität und eine pädagogische Haltung.
Der Fortschritt im Verständnis und auch in der Feier der Liturgie muss immer in der Tradition verwurzelt sein, die dich immer voranbringt in die Richtung, die der Herr wünscht. Es gibt einen Geist, der nicht der wahre Geist der Tradition ist: der weltliche Geist der »Rückwärtsgewandtheit«, der heute modern ist: zu meinen, zu den Wurzeln zu gehen bedeute zurückzugehen. Nein, das sind zwei verschiedene Dinge. Wenn du zu den Wurzeln gehst, dann bringen die Wurzeln dich nach oben, immer. Wie der Baum, der aus dem wächst, was aus den Wurzeln kommt. Und Tradition ist genau dies: zu den Wurzeln zu gehen, weil es die Garantie für die Zukunft ist, wie Mahler gesagt hat. Dagegen bedeutet »Rückwärtsgewandtheit« zwei Schritte zurückzugehen, weil das »So-haben-wir-es-immer-Gemacht« besser ist. Es ist eine Versuchung im Leben der Kirche, die dich zu einem weltlichen Restaurationismus führt, versteckt in Liturgie und Theologie, aber das ist weltlich. Und »Rückwärtsgewandtheit« ist immer weltlich: Daher sagt der Verfasser des Hebräerbriefs: »Wir gehören nicht zu denen, die zurückweichen.« Nein, du gehst voran, auf der Linie, die dir die Tradition vorgibt. Zurückzugehen bedeutet, gegen die Wahrheit und auch gegen den Heiligen Geist zu gehen. Das muss man genau unterscheiden. Denn in der Liturgie gibt es viele, die sich für »traditionsgemäß« halten, aber so ist es nicht: sie mögen höchs-tens Traditionalisten sein. Jemand anders hat gesagt, dass die Tradition der lebendige Glaube der Toten ist und der Traditionalismus der tote Glaube einiger Lebender. Sie löschen jenen Kontakt mit den Wurzeln aus, indem sie rückwärts gehen. Passt auf: Heute gibt es die als Tradition verkleidete Versuchung der »Rückwärtsgewandtheit«.
Und schließlich vielleicht das Wichtigste: Euer Studium der Liturgie möge vom Gebet und der lebendigen Erfahrung der feiernden Kirche durchdrungen sein, so dass die »durchdachte« Liturgie immer aus der gelebten Liturgie kommt, wie aus einer Lebensader. Theologie betreibt man mit einem offenen Geist und zugleich »auf Knieen« (vgl. Veritatis gaudium, 3). Das gilt für alle theologischen Disziplinen, aber um so mehr für die eure, die den Akt des Feierns der Schönheit und Größe des Geheimnisses Gottes, der sich uns schenkt, zum Gegenstand hat.
Mit diesem Wunsch segne ich von Herzen euch alle und euren Weg. Und ich bitte euch, für mich zu beten. Danke.
(Orig. ital. in O.R. 1.9.2022)