Die Lesungen dieser Feier – die dem Formular »für die Kirche« entnommen sind – bringen ein doppeltes Staunen zum Ausdruck: das Staunen des Paulus angesichts
des Heilsplans Gottes (vgl. Eph 1,3-14) und das Staunen der Jünger, zu denen auch Mat-thäus gehört, bei der Begegnung mit dem auferstandenen Jesus, der sie aussendet (vgl.
Mt 28,16-20). Doppeltes Staunen. Tauchen wir ein in diese beiden Szenarien, in denen der Wind des Heiligen Geistes kraftvoll weht, damit wir aus dieser Feier und aus dieser Kardinalsversammlung gestärkt hervorgehen, um »allen Völkern die Wunder des Herrn zu verkünden« (vgl. Antwortpsalm).
Der Hymnus, mit dem der Epheserbrief beginnt, entspringt der Betrachtung des Heilsplans Gottes in der Geschichte. So wie wir beim Anblick des uns umgebenden Universums fasziniert sind, so ergreift uns auch ein Staunen, wenn wir die Heilsgeschichte betrachten. Und wie sich im Kosmos gemäß der nicht greifbaren Schwerkraft alles bewegt oder stillsteht, so hat nach Gottes Plan mit der Zeit alles seinen Ursprung, seinen Bestand, seine Bestimmung und sein Ziel in Christus.
Im paulinischen Hymnus ist dieser Ausdruck – »in Christus« oder »in ihm« – das Scharnier, das alle Phasen der Heilsgeschichte miteinander verbindet: In Christus sind wir vor der Schöpfung gesegnet worden; in ihm sind wir berufen worden; in ihm sind wir erlöst worden; in ihm sind alle Geschöpfe wieder vereint, und wir alle, die Nahen und die Fernen, die Ersten und die Letzten, sind dank des Wirkens des Heiligen Geistes zum Lob der Herrlichkeit Gottes bestimmt.
Angesichts dieses Plans ziemt es sich für uns – wie die Liturgie sagt – »Gott zu loben« (Resp. Laudes Montag, 4. Woche): Lobpreis, Anbetung, Dankbarkeit in Anerkennung des Wirkens Gottes. Ein Lob, das vom Staunen lebt und nicht Gefahr läuft, gewohnheitsmäßig zu werden, solange es sich aus dem Staunen speist, solange es von dieser Grundhaltung des Herzens und des Geistes genährt wird: dem Staunen. Ich möchte jeden von uns fragen, euch, liebe Brüder Kardinäle, euch Bischöfe, Priester, gottgeweihte Männer und Frauen, das Volk Gottes: Wie steht es um dein Staunen? Verspürst du manchmal ein Staunen? Oder hast du vergessen, was dies bedeutet?
Dieses Klima des Staunens ist das Klima, das wir spüren, wenn wir uns in den paulinischen Hymnus vertiefen.
Wenn wir uns dann in das kurze, aber dichte Evangelium hineinversetzen, wenn wir zusammen mit den Jüngern dem Ruf des Herrn folgen und nach Galiläa gehen – jeder von uns hat sein eigenes Galiläa in seiner persönlichen Geschichte, das Galiläa, wo wir den Ruf des Herrn vernommen haben, den Blick des Herrn, der uns gerufen hat; zu diesem Galiläa zurückkehren – wenn wir zu diesem Galiläa zurückkehren, auf den von ihm genannten Berg, erleben wir ein neues Staunen. Diesmal ist es nicht der Heilsplan selbst, der uns fasziniert, sondern die noch überraschendere Tatsache, dass Gott uns in diesen seinen Plan miteinbezieht: das aber geschieht bei der Sendung der Apostel mit dem Auferstandenen. Man kann sich kaum vorstellen, in welcher Verfassung die »elf Jünger« die Worte des Herrn hörten: »Geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe« (Mt 28,19-20); und dann die abschließende Verheißung, die Hoffnung und Trost spendet – heute [in der Versammlung am Vormittag] haben wir über die Hoffnung gesprochen: »Ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (V. 20). Diese Worte des Auferstandenen haben auch zweitausend Jahre später noch die Kraft, unsere Herzen zu bewegen. Die unergründliche göttliche Entscheidung, die Welt ausgehend von dieser armseligen Gruppe von Jüngern zu evangelisieren, die – wie der Evangelist anmerkt – noch voller Zweifel waren (vgl. V. 17), lässt uns immer wieder staunen. Aber genau betrachtet ist das Staunen, das sich einstellt, wenn wir auf uns schauen, die wir heute hier versammelt sind und denen der Herr dieselben Worte gesagt und dieselbe Sendung übertragen hat! Einem jeden von uns und uns als Gemeinschaft, als Kollegium.
Brüder, dieses Staunen ist ein Weg des Heils! Möge Gott es in uns lebendig halten, denn es befreit uns von der Versuchung, dass wir uns »allem gewachsen« fühlen, dass wir uns für »eminentissimi« – für ganz herausragend – halten, dass wir uns in einer falschen Sicherheit wiegen, nämlich dass heute in Wirklichkeit alles anders sei, nicht mehr so, wie am Anfang; dass die Kirche heute groß ist und solide dasteht und dass wir in den höchsten Rängen ihrer Hierarchie stehen – sie nennen uns »Eminenzen« … Ja, da ist etwas Wahres dran, aber es gibt auch viel Täuschung, mit der der große Lügner von jeher versucht, die Jünger Christi zu verweltlichen und sie unschädlich zu machen. Diese Berufung ist der Versuchung der Weltlichkeit ausgesetzt, die dir Schritt für Schritt die Kraft und die Hoffnung nimmt; sie hindert dich daran, den Blick Jesu zu sehen, der uns beim Namen ruft und uns
sendet. Dies ist die nagende geistliche Weltlichkeit.
Wahrhaftig, das Wort Gottes erweckt heute in uns ein Staunen darüber, dass wir in der Kirche sind, ein Staunen, dass wir Kirche sind! Kehren wir zu diesem Staunen des Anfangs, der Taufe, zurück. Und das ist es, was die Gemeinschaft der Gläubigen anziehend macht, zunächst für sie selbst und dann für alle: das doppelte Geheimnis, in Christus gesegnet zu sein und mit Christus in die Welt zu gehen. Und dieses Erstaunen wird mit den Jahren nicht kleiner, es wird nicht weniger, wenn unsere Verantwortung in der Kirche wächst. Gott sei Dank ist das nicht der Fall. Es wird stärker, es wird tiefer. Ich bin mir sicher, dass dies auch für euch gilt, liebe Brüder, die ihr nun dem Kardinalskollegium angehört.
Und es macht uns Freude, dass dieses Gefühl der Dankbarkeit uns alle verbindet, alle, die wir getauft sind. Wir müssen dem heiligen Papst Paul VI. sehr dankbar sein, der es verstand, uns diese Liebe zur Kirche zu vermitteln, eine Liebe, die in erster Linie Dankbarkeit ist, dankbares Staunen über ihr Geheimnis und über das Geschenk, in sie aufgenommen zu sein, nicht nur an ihr beteiligt zu sein, an ihr teilzuhaben, sondern darüber hinaus für sie mitverantwortlich zu sein. Im Prolog der Enzyklika Ecclesiam suam – der programmatischen Enzyklika, die während des Konzils entstand – ist der erste Gedanke, der den Papst bewegte – ich zitiere – »dass dies die Stunde ist, in der die Kirche sich ihrer selbst tiefer bewusst werden muss, […] ihres eigenen Ursprungs, ihrer eigenen Sendung«; und er bezieht sich dabei auf eben diesen Brief an die Epheser, auf den geheimen Ratschluss, der von Ewigkeit her in Gott verborgen war, damit er durch die Kirche kundgetan werde (vgl. Eph 3,9-10).
Das, liebe Brüder und Schwestern, ist ein Diener der Kirche: einer, der über den göttlichen Heilsplan zu staunen weiß und der in diesem Geist die Kirche leidenschaftlich liebt und bereit ist, ihrer Sendung zu dienen, wo und wie der Heilige Geist es will. So war der Apostel Paulus – wir sehen das in seinen Briefen: Der apostolische Eifer und die Sorge um die Gemeinschaften gehen bei ihm immer mit einem Lobpreis voll dankbarer Bewunderung einher, ja, dieser Lobpreis geht allem voraus: »Gepriesen sei Gott …« und voller Staunen. Und das ist vielleicht der Maßstab, der Gradmesser für unser geistliches Leben. Ich wiederhole die Frage, lieber Bruder, liebe Schwester – wir sind alle zusammen hier: Wie steht es um deine Fähigkeit zu staunen? Oder hast du dich so sehr an alles gewöhnt, dass du sie verloren hast? Bist du noch in der Lage zu staunen?
Mögen wir dazu in der Lage sein. Zu staunen. Das wünsche ich einem jeden von euch, liebe Brüder Kardinäle! Diese Gnade erwirke uns die Fürsprache der Jungfrau Maria, der Mutter der Kirche, die alles mit Bewunderung in ihrem Herzen betrachtete und bewahrte. Amen.