Vor ein paar Tagen waren meine Frau und ich in Siena, und nachdem wir von der Schönheit der Stadt überwältigt waren, wurden wir am Abend dank der Einladung von Erzbischof Paolo Lojudice von einer anderen Art von Schönheit »überwältigt«. Don Paolo brachte uns nach Arbia, wenige Kilometer von Siena entfernt, zu einem Aufnahmezentrum für Familien. Es wird von Maria und Paolo geleitet, die mit ihrer gradlinigen Art und einem großen Herzen jenes verborgene Gute verwirklichen, das die ganze Welt erblühen und Fortschritte machen lässt. Denn es ist so, wie Tolkien ahnte: »Das wirklich Wichtige ist den Zeitgenossen immer verborgen, und die Saat dessen, was sein soll, keimt still und leise im Dunkeln in irgendeinem vergessenen Winkel.«
In diesem vergessenen Winkel des sienesischen Hinterlands trafen wir fünf Familien, Flüchtlinge, Migranten, Ausgegrenzte, die Letzten der Gesellschaft, um die sich hier jemand kümmert – normalerweise sind dies die »Vorletzten«. Hier haben wir ihn wieder-gesehen, denn die ganze Welt hat ihn »gesehen«: den kleinen Mustafa. Den sechsjährigen syrischen Jungen, der aufgrund der Phosphorbomben, die in diesem vergessenen und immer noch dramatisch andauernden Krieg eingesetzt wurden, weder Arme noch Beine hat und der von seinem Vater (dem aufgrund der Explosion einer »normalen« Bombe ebenfalls ein Bein fehlt) hochgehoben wird. Verewigt auf einem Foto, das vor einigen Monaten um die Welt ging und schnell zum »Foto des Jahres« wurde.
Mustafa zu begegnen ist etwas anderes, als ihn auf einem Foto zu sehen. Bei unserer Ankunft war er ganz damit beschäftigt, ein Videospiel auf einem Tablet zu spielen: Mit seinem »Finger« klickte er und gewann. Er sah zu uns auf und rief lachend in perfektem Italienisch: »Ciao a tutti!« (Hallo zusammen!) Mustafa lacht oft und steht nie still. Wir haben gesehen, wie er die Treppe hinauf- und hinunterkletterte (ich verstehe immer noch nicht wie, aber sein Körper ist in der Tat ein kräftiges Muskelbündel), wie er auf ein Skateboard stieg und sich mit großer Geschwindigkeit von einer Seite des Zimmers zur anderen warf, voller Freude. Wir sahen ihn, oder besser gesagt, meine Frau sah ihn (Frauen haben einen aufmerksameren Blick), wie er die Wiege seiner kleinen Schwester schaukelte, die erst vor einem Monat geboren wurde: Seine Eltern haben ihr den Namen Maria gegeben, nach der Leiterin des Hauses.
Wir kehrten glücklich und »überwältigt« von all dieser Vitalität nach Hause zurück, irgendwie fühlten wir uns »herausgefordert«. Es hat mich an das schöne Buch Weiß auf Schwarz von Ruben Gonzalez Gallego erinnert. Der Schriftsteller wurde von einer spanischen Mutter in Moskau mehr oder weniger in Mustafas Zustand geboren. Aber in seiner Geschichte will er von »der Stärke« schreiben, »die in jedem von uns steckt. Von der Kraft, die jedes Hindernis überwindet und siegt«, denn, so fügt er hinzu: »Ich bin überzeugt, dass auf der Waage der Menschlichkeit die Freude eines Kindes über ein neues Spielzeug viel mehr wert ist als jeder militärische Sieg.« Er sagt: »Dies ist ein Buch über meine Kindheit. Eine grausame, furchtbare Kindheit – aber eben trotzdem eine Kindheit. Um in sich eine Liebe zur Außenwelt zu bewahren, um groß und erwachsen zu werden, braucht ein Kind wirklich wenig: ein Stück Speck, eine Scheibe Brot mit Wurst, eine Handvoll Datteln, blauen Himmel, ein paar Bücher und die Herzlichkeit eines menschlichen Worts. Dies genügt, es ist mehr als genug.«
Ruben mit seinem Buch und Mustafa mit seinem Lächeln schreiben »weiß auf schwarz« und lassen so das Licht über die Dunkelheit siegen.
Die folgenden von Albert Camus inspirierten Verse bedürfen keines Kommentars, es sei denn, zu betonen, dass es hier auf die ersten beiden Worte ankommt, denn dort beginnt alles:
Meine Liebe, inmitten von Hass fand ich eine unbesiegbare Liebe in mir. Im Tal der Tränen fand ich ein unbesiegbares Lächeln in mir. In der Mitte von Chaos fand ich eine unbesiegbare Ruhe in mir. Mitten im tiefsten Winter erkannte ich, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer wohnt. Und das machte mich glücklich. Zeigte es doch, wie hart auch immer die Welt mich bedrängt, dass da etwas in mir ist, etwas Größeres, etwas Besseres, das es zurückdrängt.
Andrea Monda