Audienz für die Teilnehmer am Generalkapitel der Gesellschaft der Missionare von Afrika

Mission als prophetisches Zeugnis

 Mission als prophetisches Zeugnis  TED-035
02. September 2022

Liebe Brüder und Schwestern,

guten Tag und willkommen!

Ich danke dem Generaloberen für die Worte, mit denen er diese unsere Begegnung eingeleitet hat.

Leider habe ich zu meinem großen Bedauern die Reise in den Kongo und den Süd-sudan verschieben müssen. In der Tat ist es in meinem Alter nicht so leicht, in die Mis-sion aufzubrechen! Aber euer Gebet und euer Beispiel machen mir Mut, und ich bin zuversichtlich, dass ich diese Völker, die ich im Herzen trage, besuchen kann. Am kommenden Sonntag möchte ich die heilige Messe mit der kongolesischen Gemeinschaft Roms feiern. Nicht am kommenden, sondern am
3. Juli, dem Tag, an dem ich eigentlich in Kinshasa die Messe hätte feiern sollen. Wir werden Kinshasa in den Petersdom bringen, und dort werden wir mit allen römischen Kongolesen feiern, die sehr zahlreich sind!

Ich erinnere mich an die Feier eures 150-Jahr-Jubiläums, das wir vor drei Jahren gemeinsam mit euren Missionsschwestern begangen haben. Bitte übermittelt auch ihnen meinen Gruß!

Für die Arbeiten dieses Generalkapitels habt ihr das Thema der Mission als prophetisches Zeugnis gewählt. Darüber wollen wir kurz nachdenken. Aber zuerst möchte ich euch sagen, dass es mich sehr gefreut hat, zu erfahren, dass ihr diese Tage »mit Dankbarkeit« und »mit Hoffnung« gelebt habt. Das ist schön. Mit Dankbarkeit in die Vergangenheit blicken ist ein Zeichen guter geistlicher Gesundheit; es ist die »deuteronomische« Haltung, die Gott sein Volk gelehrt hat (vgl. Dtn, Kap. 8). Sich dankbar an den Weg erinnern, den der Herr uns zurücklegen ließ. Und diese Dankbarkeit ist es, die die Flamme der Hoffnung nährt. Wer Gott nicht für die Gaben zu danken weiß, die er auf dem – auch mühsamen und zuweilen schmerzhaften – Weg gesät hat, hat auch keinen hoffnungsvollen Geist, der offen ist für Gottes Überraschungen und auf seine Vorsehung vertraut. Insbesondere ist diese geistliche Haltung entscheidend, damit die Samen der Berufungen heranreifen können, die der Herr durch seinen Geist und sein Wort weckt. Eine Gemeinschaft, in der man Gott und den Brüdern »Danke« zu sagen versteht und in der man sich gegenseitig hilft, auf den auferstandenen Herrn zu hoffen, ist eine Gemeinschaft, die jene anzieht und stützt, die berufen sind. Also, weiter so: mit Dankbarkeit und Hoffnung.

Gebet und Geschwisterlichkeit

Kommen wir jetzt zum Thema der Mission als prophetisches Zeugnis. Hier geht es um die Treue zu euren Wurzeln, zum Charisma, das der Heilige Geist Kardinal Lavigerie anvertraut hat. Die Welt ändert sich, auch Afrika ändert sich, aber jene Gabe behält ihre Fülle an Bedeutung und Kraft. Und sie bewahrt dies in euch in dem Maße, in dem sie immer auf Christus und das Evangelium zurückgeführt wird. Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, wozu nützt es dann? (vgl. Mt 5,13). Der Pater General hat auf die Mahnung hingewiesen, die euer Gründer oftmals wiederholte: »Seid Apostel, nichts anderes als Apostel!« Und der Apostel Jesu Christi ist nicht jemand, der Proselytismus betreibt. Die Verkündigung des Evangeliums hat ganz und gar nichts mit Proselytismus zu tun. Wenn jemand von euch einmal Proselytismus betreiben sollte, dann soll er innehalten, sich bekehren und dann weitermachen. Verkündigung ist etwas anderes. Der Apostel ist kein Manager, kein gelehrter Redner, er ist kein »Zauberkünstler« der Informatik, der Apostel ist Zeuge. Das gilt immer und überall in der Kirche, aber besonders gilt es für denjenigen, der wie ihr häufig berufen ist, die Mission in einem Kontext der Erstevangelisierung oder in einem vorherrschen islamisch geprägten Umfeld zu leben.

Zeugnis bedeutet vor allem zwei Dinge: Gebet und Geschwisterlichkeit. Ein Herz, das offen ist für Gott, und ein Herz, das offen ist für die Brüder und Schwestern. Vor allem in der Gegenwart des Herrn verweilen, sich von ihm anschauen lassen, jeden Tag, in der Anbetung. Dort Kraft schöpfen, in jenem »In-ihm-Bleiben«, in Christus, was die Bedingung ist, um Apostel zu sein (vgl. Joh 15,1-9). Das ist das Paradox der Mission: Du kannst nur gehen, wenn du bleibst. Wenn du nicht in der Lage bist, im Herrn zu bleiben, dann solltest du nicht gehen.

Vor kurzem wurde das Lebenszeugnis von
Charles de Foucauld der Weltkirche zur Verehrung vor Augen gestellt: Das ist sicher ein anderes Charisma, aber es hat auch euch viel zu sagen, ebenso wie allen Christen unserer Zeit. Er ist »aus seiner intensiven Gottes-erfahrung heraus einen Weg der Verwandlung gegangen […], bis er sich als Bruder aller fühlte« (Enzyklika Fratelli tutti, 286). Gebet und Geschwisterlichkeit: Die Kirche muss zu diesem Wesenskern zurückkehren, zu dieser ausstrahlenden Einfachheit, natürlich nicht auf gleichförmige Art und Weise, sondern in der Verschiedenheit ihrer Charismen, ihrer Ämter, ihrer Institutionen. Aber alles muss diesen ursprünglichen Kern hindurchscheinen lassen, der auf Pfingsten und die erste Gemeinde zurückgeht, wie es in der Apostelgeschichte beschrieben wird (vgl. 2,42-47; 4,32-35).

Geschenk der Evangelisierung

Wir neigen häufig dazu, die Prophetie als individuelle Realität zu verstehen – und das ist ein Aspekt, der immer wahr bleibt, nach dem Vorbild der Propheten Israels. Aber Prophetie ist auch, und ich würde sagen vor allem, gemeinschaftlich: Die Gemeinschaft ist es, die ein prophetisches Zeugnis gibt. Ich denke an eure Fraternitäten, gebildet von Menschen aus vielen Ländern, aus verschiedenen Kulturen. Das ist nicht leicht, es ist eine Herausforderung, die man nur annehmen kann, wenn man auf die Hilfe des Heiligen Geistes vertraut. Und dann ist diese eure kleine Gemeinschaft, die aus dem Gebet und der Brüderlichkeit lebt, berufen, ihrerseits mit dem Umfeld, in dem sie lebt, mit den Menschen, mit der örtlichen Kultur einen Dialog zu führen. In diesen Kontexten, wo man neben der Armut häufig Unsicherheit und Prekarität erlebt, seid ihr aufgerufen, die innige Freude der Verkündigung des Evangeliums zu leben. Dieses Wort benutzt der heilige Paul VI. in seinem Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi. Evangelisieren ist die Sendung der Kirche, evangelisieren ist die Freude der Kirche. Nebenbei bemerkt: Nehmt Evangelii nuntiandi zur Hand, es gilt noch heute, und es wird euch sehr viele Anregungen zum Nachdenken und für die Mission geben. Ich danke mit euch dem Herrn für dieses große Geschenk der Evangelisierung.

Die Muttergottes, Unsere Liebe Frau von Afrika, begleite und behüte euch. Ich bete für euch, ich erteile euch meinen Segen. Bringt ihn auch zu den Brüdern und zu den Gläubigen eurer Gemeinden. Und bitte vergesst nicht, für mich zu beten. Danke!

(Orig. ital. in O.R. 13.6.2022)