Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!
Ich grüße euch herzlich und danke euch, dass ihr von verschiedenen Orten hierhergekommen seid. Die Weite dieses Landes lässt daran denken, wie lang der Weg der Heilung und Versöhnung ist, den wir gemeinsam angehen. Der Satz, der uns seit März begleitet, seit die indigenen Entsandten mich in Rom besucht haben, und der meinen Besuch hier bei euch kennzeichnet, lautet: Gemeinsam gehen: Walking Together / Marcher Ensemble.
Ich bin als ein Freund nach Kanada gekommen, um euch zu treffen, um zu sehen, zu hören, zu lernen, wertzuschätzen, wie die indigenen Bevölkerungen dieses Landes leben. Ich bin nicht als Tourist, sondern als Bruder gekommen, um aus erster Hand zu erfahren, welche guten und schlechten Früchte die Mitglieder der örtlichen katholischen Familie im Laufe der Jahre hervorgebracht haben. Ich bin im Geiste der Buße gekommen, um euch den Schmerz auszudrücken, den wir als Kirche im Herzen tragen wegen dem Bösen, das nicht wenige Katholiken euch angetan haben, indem sie eine unterdrückerische und ungerechte Politik euch gegenüber unterstützten. Ich bin mit meinen begrenzten physischen Möglichkeiten als Pilger gekommen, um mit euch und für euch weitere Schritte vorwärts zu gehen: damit die Suche nach der Wahrheit fortgesetzt werde, damit Fortschritte bei der Förderung von Wegen der Heilung und Versöhnung gemacht werden, damit man weiterhin Hoffnung für künftige Generationen indigener und nicht-indigener Menschen säe, die geschwisterlich und in Einklang zusammenleben wollen.
Aber ich möchte euch fast am Ende dieser intensiven Pilgerreise sagen, dass ich, wenn ich mit diesen Wünschen gekommen bin, doch viel reicher nach Hause zurückkehre, weil ich den unvergleichlichen Schatz von Menschen und Völkern in meinem Herzen trage, die sich mir eingeprägt haben; von Gesichtern, von lächelnden Mienen und von Worten, die in mir verbleiben; von Geschichten und Orten, die ich nicht vergessen kann; von Klängen, Farben und Emotionen, die in mir stark nachklingen. Ich kann wirklich sagen, dass während meines Besuchs bei euch es eure Lebenswelt war, die Lebenswelt der Indigenen dieses Landes, die mein Gemüt berührt hat: sie ist in mich eingedrungen und wird mich immer begleiten. Wenn ihr mir das gestattet, wage ich zu behaupten, dass ich mich jetzt in gewissem Sinne auch als Teil eurer Familie fühle, und ich fühle mich geehrt. Die Erinnerung an das Fest der heiligen Anna, das ich zusammen mit mehreren Generationen und vielen indigenen Familien erlebt habe, wird in meinem Herzen unauslöschlich bleiben. Wie wertvoll ist in einer Welt, die leider so oft individualistisch ist, das Gefühl der Vertrautheit und der Gemeinschaft, das unter euch so echt ist! Und wie wichtig ist es, das Band zwischen Jung und Alt sorgfältig zu pflegen und ein gesundes und harmonisches Verhältnis zur gesamten Schöpfung zu bewahren!
Liebe Freunde, ich möchte dem Herrn das, was wir in diesen Tagen erlebt haben, und die Fortsetzung des vor uns liegenden Weges anvertrauen; ebenso will ich es der aufmerksamen Fürsorge derer anvertrauen, die zu hüten wissen, was im Leben zählt: Ich denke dabei an die Frauen, und an drei Frauen im Besonderen. Vor allem an die heilige Anna, deren Zärtlichkeit und Schutz ich spüren durfte, als ich sie zusammen mit diesem Gottesvolk verehrte, das die Großmütter anerkennt und ehrt. Zweitens denke ich an die heilige Gottesmutter: kein Geschöpf verdient es mehr als sie, Pilgerin genannt zu werden, denn sie ist immer, auch heute, auch jetzt, auf dem Weg: auf dem Weg zwischen Himmel und Erde, um im Auftrag Gottes für uns Sorge zu tragen, uns an der Hand zu nehmen und zu ihrem Sohn zu geleiten. Und schließlich habe ich in diesen Tagen oft zu einer dritten Frau gebetet und an sie gedacht, die uns mit ihrer sanften Gegenwart begleitet hat und deren Gebeine nicht weit von hier aufbewahrt werden. Ich meine die heilige Kateri Tekakwitha. Wir verehren sie für ihr heiliges Leben, aber könnten wir nicht vielleicht denken, dass ihr heiliges Leben, das von beispielhafter Hingabe im Gebet und in der Arbeit geprägt war, sowie ihre Fähigkeit, so viele Prüfungen mit Geduld und Sanftmut zu ertragen, auch durch bestimmte edle und tugendhafte Eigenschaften ermöglicht wurde, die sie von ihrer Gemeinschaft und der indigenen Umgebung, in der sie aufwuchs, geerbt hatte?
Diese Frauen können dazu beitragen, wieder zusammenzuführen, wieder eine Versöhnung herbeizuführen, die die Rechte der Schwächsten garantiert und erlaubt, ohne Groll und Vergessen auf die Geschichte zu schauen. Zwei von ihnen, die Allerseligste Jungfrau Maria und die heilige Kateri, haben von Gott einen Lebensauftrag erhalten und, ohne irgendeinen Mann zu fragen, mutig »Ja« gesagt. Diese Frauen hätten all jenen, die sich diesem Projekt widersetzten, böse antworten können, oder sie hätten sich den patriarchalischen Normen der damaligen Zeit unterwerfen und resignieren können, ohne für die Träume zu kämpfen, die Gott selbst in ihre Seelen eingeprägt hatte. Das haben sie nicht getan; mit Sanftmut und Festigkeit, mit prophetischen Worten und entschlossenen Gesten haben sie den Weg geebnet und erfüllt, wozu sie berufen waren. Mögen sie unseren gemeinsamen Weg segnen und für uns, für dieses große Werk der Heilung und Versöhnung, das Gott so wohlgefällig ist, Fürsprache einlegen. Ich segne euch von Herzen. Und ich bitte euch, weiterhin für mich zu beten.