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Interview des Fernsehsenders »Televisa Univision« mit Papst Franziskus

Ich würde als emeritierter Bischof in Rom bleiben

 Ich würde als emeritierter Bischof in Rom bleiben  TED-030
29. Juli 2022

In einem über zweistündigen Interview mit dem Streaming-Kanal ViX des mexikanisch-US-amerikanischen Medienunternehmens Televisa Univision hat der Papst Mitte Juli über verschiedene aktuelle Themen wie die Pandemie, den Krieg in der Ukraine, die Abtreibungsdebatte und den Kampf gegen den Miss-brauch gesprochen. Er äußerte sich auch zu seinem Gesundheitszustand und zu einem hypothetischen Amtsverzicht. In diesem Falle würde er den Titel eines »emeritierten Bischofs von Rom« führen und vielleicht in den Lateran ziehen.

»Ich habe keinerlei Absicht, zurückzutreten, jedenfalls im Augenblick nicht.« Das erklärte Papst Franziskus in dem ausführlichen Interview, das er den mexikanischen Journalistinnen María Antonieta Collins und Valentina Alazraki für den zu Televisa Univision gehörenden Streaming-Kanal ViX gewährt hat. In einem Auszug aus dem auf dem YouTube-Kanal von Univision Noticias veröffentlichten Interview äußert sich der Papst insbesondere auch zu seinem Gesundheitszustand und zu den Gerüchten, die in den letzten Wochen über einen hypothetischen Amtsverzicht die Runde machten. »Derzeit habe ich nicht das Gefühl, dass mich der Herr dazu auffordert«, so der Papst, »wenn ich aber spüren würde, dass er das von mir will, dann ja.« Er definierte es als einen »reinen Zufall«, dass er kurz vor dem für Ende August anberaumten Konsistorium nach L’Aquila fahren wird, wo sich das Grab Coelestins V. befindet.

Allmähliche
Besserung

Im Hinblick auf den Zustand seines Knies betonte der Papst, dass es, auch wenn er sich noch »eingeschränkt« fühle, »allmählich besser« werde. Aber trotzdem habe er die geplante Kongo-Reise »mit Sicherheit« nicht antreten können. »Ich hatte nicht die Kraft dazu«, so erläuterte er, »und jetzt, zwanzig Tage später, ist dieser Fortschritt zu verbuchen.« Er lobte »das großartige Beispiel, das Benedikt XVI. gegeben hat« und das ihm helfen werde, »eine Entscheidung zu treffen«, wenn sich die Notwendigkeit ergeben sollte. Er spricht über die »große Sympathie«, die er für den emeritierten Papst empfinde, »einen Mann, der die Kirche mit seiner Güte und mit seinem zurückgezogenen Leben des Gebets« unterstütze. Und er fügt hinzu, dass es für ihn jedes Mal eine Freude sei, wenn er ihn im Kloster Mater Ecclesiae besuchen könne.

Auf eine Frage, die die Möglichkeit betraf, Normen im Hinblick auf die Person eines emeritierten Papstes zu verabschieden, antwortete Franziskus, dass »die Zeit helfen wird, das besser zu regeln«, und dass »die erste Erfahrung sehr gut gegangen« sei, weil Benedikt XVI. »ein heiliger und diskreter Mann ist«. Für die Zukunft empfehle es sich allerdings, »die Dinge besser zu regeln«, »sie genauer zu definieren«. Auf einen eventuellen künftigen Amtsverzicht seinerseits angesprochen, erklärte er, dass er nicht nach Argentinien zurückkehren wolle: »Ich bin der Bischof von Rom, in dem Fall wäre ich der emeritierte Bischof von Rom.« Auf die Nachfrage, ob er sich dann in den Lateran zurückziehen würde, bejahte er, dass dies »der Fall sein« könne.

Der Papst erzählte, dass er in Argentinien bereits alles für die Zeit nach seinem Rücktritt als Erzbischof von Buenos Aires vorbereitet hatte, noch vor dem Konklave. Es sei für ihn von grundlegender Bedeutung gewesen, nach seinem Rücktritt »Beichte zu hören und Kranke zu besuchen«. Das hätte sein künftiges »Apostolat«, seine »Arbeit« sein sollen. »Im Dienst der Menschen stehen, wo immer das möglich ist, das ist es, was ich in Buenos Aires vorhatte.« Ein Vorhaben, so fügte er hinzu, das ihm auch jetzt noch gefallen würde, sollte er einen eventuellen Amtsverzicht erleben. Franziskus räumte ein, er habe immer geglaubt, dass seine Zeit im Vatikan kurz sein würde. Darüber seien inzwischen neun Jahre vergangen.

In dem auf Televisa Univision ausgestrahlten Interview sprach der Papst auch zahlreiche weitere aktuelle Themen an, darunter die Pandemie, wobei er an den ergreifenden Augenblick der Statio Orbis am 27. März 2020 erinnerte. In seinen Überlegungen zum Krieg in der Ukraine betonte er, dass es für ihn viel wichtiger sei, über »das Land zu sprechen, das angegriffen wurde, als über die Angreifer«. Außerdem bestätigte er seine Absicht, im September aus Anlass des interreligiösen Dialogtreffens, das in Kasachstan stattfinden wird, mit Patriarch Kyrill zusammenzutreffen. Als er die Tragödien von Gewalt gezeichneter Länder wie Jemen und Syrien erwähnte, unterstrich er erneut, dass wir derzeit einen »in Stücken geführten Dritten Weltkrieg« erleben und dass Atomwaffen »unmoralisch sind«, und zwar nicht nur ihr Einsatz, sondern bereits ihr bloßer Besitz.

Seelsorgerische
Dimension

Franziskus hat auch seine Ablehnung der Abtreibung bekräftigt, da es in keiner Weise gerechtfertigt werden könne, ein Menschenleben auszulöschen, und das, fügte er hinzu, könne man »auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse« vertreten, die nicht verhandelbar seien. Im Hinblick auf dieses Thema, das in den Vereinigten Staaten nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, das Urteil über das Recht auf Schwangerschaftsabbruch zu kippen, hochaktuell wurde, verwies der Papst auf die Polarisierung in jenem Land und wiederholte, dass die Priester immer die Aufgabe hätten, sich auf die seelsorgerische Dimension zu konzentrieren, da es sonst zu einem politischen Problem komme. Darauf wurde er gefragt, wie man sich im Falle eines katholischen Staatsmannes zu verhalten habe, der sich für die Abtreibung einsetze. »Ich überlasse das seinem Gewissen«, sagte Franziskus, »möge er mit seinem Bischof, mit dem Pfarrer seiner Gemeinde, mit seinem Beichtvater über diese Inkonsequenz reden.«

Von den Vereinigten Staaten richtete sich der Blick auf Kuba. Franziskus verlieh seiner Zuneigung zum kubanischen Volk und zu den Bischöfen jenes Landes Ausdruck. So sprach er auch über seine menschliche Beziehung zum Ex-Präsidenten Raúl Castro und zeigte seine Zufriedenheit über die Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten zur Zeit der Präsidentschaft von Barack Obama.

Der Papst äußerte sich auch zu den Erwartungen im Hinblick auf seine bevorstehende Reise nach Kanada, einen Besuch unter dem Vorzeichen der Bitte um Vergebung für das in der Vergangenheit geschehene Böse, sowie abschließend zur Tragödie der Gewalt gegen Frauen und Femizid, zu den neuen Formen der Sklaverei, zur Geißel des Missbrauchs Minderjähriger in der Kirche. Franziskus erinnerte an die Auswirkungen, die diese Skandale in den Vereinigten Staaten hatten und zitierte in diesem Zusammenhang insbesondere den Pennsylvania Report. »Die Büchse der Pandora wurde geöffnet«, gestand er, heute sei sich die Kirche in zunehmendem Maße des sexuellen Miss-brauchs bewusst, der ein »monströses Verbrechen« sei. Die Kirche, so wiederholte er mit Nachdruck, habe den »Willen voranzugehen« und nicht länger eine »Komplizin« dieser Verbrechen zu sein.

(Orig. ital. in O.R. 12.7.2022)