Liebe Brüder aus dem Orden der Regular-kleriker der Muttergottes, aus dem Orden der Basilianer vom heiligen Josaphat und aus der Kongregation der Mission, willkommen!
Es ist mir wichtig, die Generalkapitel zu empfangen, denn es ist eine Möglichkeit zur Kommunikation mit dem geweihten Leben. Das ist sehr wichtig in der Kirche, aber nicht immer gibt es die Zeit, ja in dieser Ferienzeit ist sogar geschlossen, aber für euch hat man die Türen geöffnet, in dieser neuen Art und Weise, zumindest für drei gemeinsam… Zankt euch nicht, bitte! Jemand könnte meinen, das sei ein »Obstsalat« von Instituten, aber schön wie die Verschiedenheit in der Kirche.
So breche ich das »Fasten« im Monat Juli, um euch aus Anlass eurer Generalkapitel zu empfangen. Von Herzen erwidere ich die Begrüßungsworte der drei Generaloberen und danke ihnen, dass sie den Weg und die Perspektiven der jeweiligen Ordensinstitute dargelegt haben. Auch ich möchte euch zuallererst die Dankbarkeit der Kirche zum Ausdruck bringen für euer Zeugnis als Gottgeweihte und für das Apostolat, das ihr, dort wo ihr seid, durchführt. Das ist wichtig, »Geweihte«, das steht an erster Stelle.
In diesen Tagen seid ihr mit den Arbeiten der Generalkapitel befasst. Ihr, die Regular-kleriker der Muttergottes, und ihr, Priester der Kongregation der Mission, steht vor dem Abschluss, während ihr Basilianer erst gerade begonnen habt. Ich bringe meine guten Wünsche denen zum Ausdruck, die in den Dienst der Leitung gewählt worden sind, und schließe mich eurer Dankbarkeit gegenüber denjenigen an, die diesen Dienst beendet haben.
Ich denke, dass auch für euch diese Generalkapitel nach der Zeit erzwungener Distanz aufgrund der Pandemie ein Wiedersehen in Präsenz waren. Das sollte auch dazu beitragen, es nicht für selbstverständlich zu halten, dass man einander begegnen kann, einander beim Austausch in die Augen blicken und vor allem gemeinsam beten, gemeinsam das Wort Gottes hören und die Eucharistie teilen kann. So genießen wir erneut etwas, an das wir uns vielleicht gewöhnt hatten, und es wird uns bewusst, was Jesus, der Herr, gesagt hat, als er von seinen Jüngern Abschied nahm: »Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wenn ihr nicht in mir bleibt, dann könnt ihr keine Frucht bringen« (vgl. Joh 15,5). Diese Erfahrung machen die Mitglieder des Kapitels unmittelbar, aber geistlich überträgt sie sich auf alle Mitbrüder, die gesamte Ordensfamilie, weit über das hinaus, was wir wissen und feststellen können.
Das Kapitel ist insbesondere der Moment der gemeinsamen Unterscheidung. Es bedeutet nicht, Ideen vorzuschlagen, nein, es geht um das »Unterscheiden« durch eine gemeinsame Unterscheidung: Mit der Hilfe des Heiligen Geistes bemühen wir uns zu sehen, ob und in wie weit wir dem Charisma treu waren, wo der Geist uns zum Vorangehen drängt und was er uns dagegen zu ändern bittet. Wenn der Heilige Geist in einem Generalkapitel nicht da ist, dann schließt die Türen und geht nach Hause! Er muss gleichsam der Hauptakteur eines Kapitels sein. Das ist eine der schönsten und stärksten Erfahrungen von »Kirche«, die wir machen können: gemeinsam auf den Heiligen Geist hören, indem wir die konkreten Situationen, Fragen, Probleme vor ihn bringen… Das lesen wir in der Apostelgeschichte in Bezug auf die ersten Gemeinden, und unsere Berufung ist es, dies im Heute der Kirche und der Welt zu leben.
Jetzt, liebe Brüder, möchte ich die Gelegenheit nutzen, um ein Kriterium zu unterstreichen, dass ich bei der Unterscheidung der Geister für wesentlich halte: das Kriterium der Evangelisierung. Wenn wir über unsere kreative Treue zum ursprünglichen Charisma nachdenken, müssen wir uns fragen, ob unsere Art und Weise, es zu deuten und zu aktualisieren, »evangelisierend« ist, das heißt ob die Entscheidungen, die wir – bezüglich der Inhalte, Methoden, Mittel, des Lebensstils – treffen, darauf ausgerichtet sind, das Evangelium zu bezeugen und zu verkünden. Wir wissen, dass die Charismen ihrer Natur nach verschieden sind und dass der Heilige Geist sie immer mit Phantasie und Verschiedenheit weckt und austeilt. Aber eines ist sicher: Die Charismen, das lehrt der heilige Paulus, sind immer für den Aufbau der Kirche bestimmt – nicht für einen selbst, sie haben nichts Absonderndes, sondern sie sind für den Aufbau der Kirche –, und weil die Kirche kein Selbstzweck ist und ihr Ziel die Evangelisierung ist, folgt daraus, dass jedes Charisma ohne Ausnahme an der Evangelisierung mitarbeiten kann und muss. Und das muss man bei der Unterscheidung immer vor Augen haben. Denkt daran, dass die Berufung der Kirche die Evangelisierung ist, ja vielmehr ist Evangelisieren die Freude der Kirche. Das hat der heilige Papst Paul VI. gesagt, in jenem Apostolischen Schreiben, das auch heute nach so vielen Jahren aktuell ist, Evangelii nuntiandi. Die Berufung der Kirche ist: zu evangelisieren, die Freude der Kirche ist: zu evangelisieren.
Dieses Prinzip vorausgesetzt, hat es keinen Zweck, sich mit abstrakten Theorien aufzuhalten, sondern es ist besser, von den Heiligen zu lernen: In eurem Fall sind dies der heilige Giovanni Leonardi, der heilige Josaphat und der heilige Vinzenz von Paul. Gerade in ihrer Unterschiedlichkeit zeigen sie, was es bedeutet, »Evangelisierende mit Geist« zu sein: »Verkünder des Evangeliums, die beten und arbeiten.« Evangelisierende, keine Proselytenmacher, denn Evangelisieren ist kein Proselytismus, das eine hat mit dem anderen ganz und gar nichts zu tun. »Vom Gesichtspunkt der Evangelisierung aus nützen weder mystische Angebote ohne ein starkes soziales und missionarisches Engagement noch soziales oder pastorales Reden und Handeln ohne eine Spiritualität, die das Herz verwandelt« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 262). Das Zeugnis der heiligen Frauen und Männer ist für uns eine Bestätigung dafür, dass es »immer notwendig ist, einen inneren Raum zu pflegen, der dem Engagement und der Tätigkeit einen christlichen Sinn verleiht. Ohne längere Zeiten der Anbetung, der betenden Begegnung mit dem Wort Gottes, des aufrichtigen Gesprächs mit dem Herrn verlieren die Aufgaben leicht ihren Sinn, werden wir vor Müdigkeit und Schwierigkeiten schwächer und erlischt der Eifer« (ebd.) Ich erlaube mir, euch eine Frage zu stellen: Haltet ihr Anbetung? Oder habt ihr vergessen, was es bedeutet anzubeten? Anbeten. Denkt darüber nach, die Unentgeltlichkeit der Anbetung. Ich glaube, in unserer Zeit besteht die Gefahr, das zu vergessen. »Halte ich Anbetung? Weiß ich, was Anbeten ist?« Jeder möge bitte für sich selbst die Antwort finden.
Als Ordensleute seid ihr über die persönliche Ebene – was für jeden Getauften gilt – hinaus auch in gemeinschaftlicher Form zur Evangelisierung durch das brüderliche Leben berufen. Das ist der Königsweg, um die Zugehörigkeit zu Christus zu zeigen, denn er selbst versichert den Seinen: »Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt« (Joh 13,35). Aber wir wissen auch aus Erfahrung sehr wohl, wie anspruchsvoll das ist: Das ist die große Herausforderung des Gemeinschaftslebens, unvorstellbar für die Mentalität der Welt, aber gerade deswegen Zeichen für das Reich Gottes. Es erfordert eine tagtägliche Haltung der Umkehr, es erfordert die Bereitschaft, sich in Frage stellen zu lassen, Wachsamkeit in Bezug auf die Starrheit ebenso wie in Bezug auf eine übertriebene und bequeme Toleranz. Vor allem erfordert es Demut und Einfachheit des Herzens, um die wir Gott unaufhörlich bitten müssen, denn sie kommen von ihm. Denn im Gegensatz zu unserer allerseligsten Mutter sind wir mit der Erbsünde belastet und so sind für uns Demut und Einfachheit des Herzens keine »natürlichen« Gaben, sondern sie sind ein Werk der göttlichen Gnade in uns, die wir immer annehmen und die wir auf unserem Lebensweg und in den verschiedenen Beziehungsumfeldern stets erneuern müssen.
Dort, im Schmelztiegel der Beziehungen, wird unser Herz geprüft, und dort kann mit dem Einsatz eines jeden ein schönes Zeugnis als Brüder Gestalt annehmen. Das ist keine Gefühlsduselei, keine rein äußerliche Über-einstimmung, keine durch die Persönlichkeit des Vorgesetzten oder irgendeines Leiters abgeflachte Homogenität. Nein. Eine freie Brüderlichkeit, die die Vielfalt schätzt und auf der Suche nach einer immer mehr dem Evangelium entsprechenden Harmonie ist. Wie in einem Orchester mit vielen Instrumenten, wo es nicht auf das Können der Solisten ankommt, sondern auf die Fähigkeit jedes Einzelnen, auf alle anderen zu hören, um die bestmögliche Harmonie entstehen zu lassen.
Und von dort kommt die Freude. Und wie ich die Frage nach der Anbetung gestellt habe, die sich jeder von euch stellen muss: »Kann ich in der Stille anbeten?«, so möchte ich euch noch eine Frage stellen: »Bin ich voller Freude in meiner Berufung oder mache ich einfach weiter, so gut es geht, oder suche ich die Freude woanders?« Eine echte, keine formelle Freude, nicht diese Freude mit dem nichtssagenden Lächeln, das künstliche Lächeln – »Bruder, Bruder« und dann der Dolch von hinten. Das kommt vor, das kommt vor, das wissen wir. Echte Freude, nicht das künstliche Lächeln. Die Freude, zu Christus zu gehören und dies gemeinsam, mit unseren Grenzen und unseren Sünden. Die Freude, Vergebung von Gott erhalten zu haben, und diese Vergebung mit den Brüdern zu teilen. Diese Freude lässt sich nicht verstecken, sie strahlt hindurch! Und sie ist ansteckend. Es ist die Freude der heiligen Männer und Frauen, die, wenn sie Gründer sind, es nicht von Geburt an waren. Man wird nicht als Gründer geboren! Man wird es durch Anziehung: in dem zweifachen Sinn, dass zuerst Christus diesen Mann oder diese Frau an sich zieht und dass er oder sie dann andere zu Ihm ziehen kann. Dieses »zu Ihm« müssen wir betonen: Der Heilige zieht nicht zu sich selbst, sondern immer zum Herrn. Also: Demut, Einfachheit des Herzens und Freude. Das ist der Weg einer evangelisierenden Brüderlichkeit. Unmöglich für Menschen, aber nicht für Gott!
Zu den Dingen, die die Freude an der Gemeinschaft zerstören, gehört das Geschwätz. Bitte, kein Geschwätz, nichts davon! Wenn du etwas gegen jemanden hast, dann sag es ihm ins Gesicht. Oder sag es dem, der Abhilfe schaffen kann, aber sag es nicht insgeheim. Geschwätz zerstört, und zwar nicht nur die Gemeinschaft, sondern auch mich selbst. Geschwätz ziemt sich nicht für einen Mann, Geschwätz macht die Menschen oberflächlich, die hingehen und die Dinge von einer Seite auf die andere tragen, und so leben sie. Bitte hütet eure Zunge! Ich weiß, dass es in einer Ordensgemeinschaft nicht leicht ist, Geschwätz zu vermeiden. Mir hat man einmal gesagt, dass es ein gutes Heilmittel dagegen gibt: sich rechtzeitig auf die Zunge beißen. Ja, sie wird ein wenig anschwellen, aber immerhin... Bitte, ich bitte euch: kein Geschwätz. Das tötet, das zerstört.
Und ich möchte nicht schließen, ohne euch, liebe ukrainische Basilianerbrüder, in diesem Moment des Schmerzes, in diesem Moment des Martyriums eures Heimatlandes nahe zu sein. Ich möchte euch sagen, dass ich euch nahe bin, die ganze Kirche ist euch nahe, die ganze Kirche. Wir sind an eurer Seite, so gut wir können, in eurem Schmerz. Ich denke oft, dass eine der größten Gefahren jetzt darin besteht, das Drama der Ukraine zu vergessen. Man gewöhnt sich daran, man gewöhnt sich… und dann ist es nicht mehr so wichtig und man redet… In den vergangenen Tagen habe ich in der Zeitung gesehen, dass die Nachrichten über den Krieg auf Seite 9 standen! Das ist kein Problem, das uns interessiert. Das ist schlimm. Deshalb sind wir euch nahe, und wir alle müssen auf sie blicken, denn sie erleiden gerade das Martyrium. Sie sind im Martyrium. Und ich wünsche euch, dass der Herr sich eurer erbarmt und euch auf andere Weise mit Frieden und der Gabe des Friedens nahe ist.
Und noch etwas möchte ich euch sagen, damit wir es nicht vergessen. Ihr seid drei Ordensgemeinschaften, und eines der Probleme, die es bekanntlich immer wieder gibt, ist das Problem des Missbrauchs. Bitte denkt daran: Null Toleranz gegenüber dem Miss-brauch von Minderjährigen oder schutzbedürftigen Personen, Null Toleranz. Bitte versteckt diese Realität nicht. Wir sind Ordensleute, wir sind Priester, um die Menschen zu Jesus zu führen, nicht um sie mit unserer Begierde zu »verschlingen«. Und der Miss-brauchstäter zerstört, »verschlingt« sozusagen den Missbrauchten mit seiner Begierde. Null Toleranz. Schämt euch nicht, es anzuprangern: »Der hat dies getan, der hat das getan…« Ich begleite dich, du bist ein Sünder, du bist ein kranker Mensch, aber ich muss andere schützen. Ich bitte euch darum: Null Toleranz. Das Problem wird nicht durch eine Versetzung gelöst. »Ach, von diesem Kontinent schicke ich ihn auf den anderen Kontinent…« Nein.
Liebe Brüder, ich bitte den Heiligen Geist, euch seine Gaben in Fülle zu schenken, damit ihr unterscheiden und erkennen könnt, was er euch eingibt; möge er euch Kraft geben, um euch den Herausforderungen zu stellen, und Beständigkeit in eurem kirchlichen Dienst. Möge die Jungfrau Maria euch beschützen, euch helfen und euch sicher auf eurem Weg führen. Von Herzen segne ich euch alle und eure Ordensgemeinschaften, und ich bitte euch, nicht zu vergessen, für mich zu beten, denn diese Arbeit ist nicht leicht. Danke.
(Orig. ital. in O.R. 14.7.2022)