Gedanken zum Sonntag - 24. Juli: 17. Sonntag im Jahreskreis

So sollt ihr beten!

 So sollt  ihr beten!  TED-029
22. Juli 2022

Jesus mag es nicht, sich in schillernden Reden zu sonnen, wie das die religiösen Autoritäten seiner Zeit getan haben. Wenn er etwas sagt, dann in aller Klarheit und Direktheit. So verwundert es uns nicht, dass Jesus, als ein Jünger ihn um ein Gebet bittet, ihm ein Wort in aller Kürze und Klarheit schenkt: Vater unser.

Mich fasziniert, dass jeder bedeutende Theologe das »Gebet des Herrn« kommentiert und dabei nicht mit Superlativen gespart hat. Tertullian beispielsweise bezeichnet dieses Gebet als Zusammenfassung des gesamten Evangeliums; Cyprian von Karthago nennt es das Lehrwerk der gesamten himmlischen Lehre; und Augustinus stellt fest, dass wir durch auch noch so viele andere Worte dem Vaterunser nichts hinzufügen könnten.

Was macht das Gebet so besonders? Jesus spricht klare, einfache Worte: Nach der Anrede Gottes als »Vater« und nach der Klarstellung, dass Gott keine private Gottheit, sondern der Vater aller ist, den wir voll Vertrauen sogar »Papa« (Abbá) nennen können, folgen erst einmal drei Aussagen, die das Verhältnis des Menschen zum himmlischen Vater betreffen: Der Name Gottes soll geheiligt werden; seine Königsherrschaft soll kommen und sein Wille – nicht der des Menschen – soll überall geschehen. Das sind drei Hauptpunkte der Predigt Jesu! Drei Punkte, die ihn schon kurze Zeit später ans Kreuz bringen werden.

Es folgen weitere Dinge, die das Verhältnis Gottes zum Menschen konkret kennzeichnen: Er möge uns täglich das Notwendige
geben; er möge uns unsere Schulden
und Schuldigkeiten in dem Maß erlassen, wie wir sie anderen erlassen. Über die nächste Bitte ist viel diskutiert worden: »Führe uns nicht in Versuchung.« Dabei geht es im griechischen Verb peirazo gar nicht um die »Versuchung« im moralischen Sinne, wie wir sie heute verstehen, sondern um ein doppeltes »auf die Probe gestellt werden«: So wie Gott im Alten
Testament sein Volk ständig auf die Probe stellt, um seine Treue, seinen Eifer, seine Integrität zu prüfen und um es von seinen Fehlern zu läutern, so stellt das Volk Gott fortwährend auf die Probe, weil es nicht glaubt, dass Er sich an seine Gerechtigkeit, an sein Wort und an seine Macht halten wird. Das ist klar und deutlich und deshalb bittet Jesus den Vater um dieses doppelte »nicht auf die Probe gestellt werden«. Dadurch ergibt sich nämlich die letzte, existentielle Bitte des
Gebetes: Gott möge uns von dem Bösen befreien.

Jesus zeigt im »Vater unser« sowohl seine eigene Art zu leben als auch seine Art, mit dem Vater zu sprechen, auf. Das macht dieses Gebet zum Paradigma jedes Gebetes, das doch immer ein Sprechen mit dem himmlischen Vater sein soll.

Br. Immanuel Lupardi OSB, Missionsbenediktiner von St. Ottilien und Student am Päpstlichen Athenäum Sant’Anselmo in Rom.