Professor Dr. Martin Baumeister, seit 2012 Leiter des Deutschen Historischen Instituts in Rom, gab unserer Mitarbeiterin, der Journalistin Christa Langen-Peduto, dieses Interview.
Sie leiten in Rom eines der ältesten deutschen historischen Auslandsinstitute. 1888 nach der Gründung ging es vor allem um his-torische Grundlagenforschung. Heutzutage hingegen?
Die Preußische Historische Station – so der erste Name – wurde aus einem rein nationalhis-torischen Interesse heraus gegründet, zum Zweck von Quellenstudien in den Vatikanischen Archiven für die mittelalterliche und frühneuzeitliche Reichs- und Landesgeschichte. Dieser Blick änderte sich erst allmählich, zunächst durch die Einbeziehung der Geschichte von Papsttum und Kurie, dann, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg, zuguns-ten der Erforschung der Geschichte der deutsch-italienischen Beziehungen sowie der italienischen Geschichte.
Was kam noch hinzu?
Die 1960 gegründete musikhistorische Abteilung ist bis heute die einzige Einrichtung der deutschen Musikwissenschaft im Ausland; in den 1970er-Jahren begann man die zeithistorische Forschung, insbesondere zur Geschichte des Faschismus und des Zweiten Weltkriegs, auszubauen. In den letzten Jahrzehnten wurde die Förderung von Nachwuchswissenschaftlern, von fortgeschrittenen Studierenden bis hin zu Postdocs auf dem Weg zur Professur, darunter auch eine wachsende Zahl italienischer Historiker und Musikwissenschaftler, zu einer zentralen Aufgabe des Instituts. Stark gewachsen ist das Engagement des Instituts in der Organisation internationaler Konferenzen und groß angelegter drittmittelbasierter Forschungsprojekte.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit vatikanischen Einrichtungen?
Wir erhalten dort großzügige Unterstützung. Bis heute sind Forschungen in den Vatikanischen Archiven – neben solchen in der Apostolischen Bibliothek – zentral für die Arbeit des Instituts. Das gilt für eines der ältes-ten Institutsprojekte, das Ende des 19. Jahrhunderts initiierte »Repertorium Germanicum« (RG), das die für die Reichsgeschichte relevanten Akten des vorreformatorischen Papsttums aus dem Apostolischen Archiv in Regestenform erfasst und an dem auch aktuell, nunmehr auch in Form einer Datenbank, gearbeitet wird. Weitere Beispiele wären das von dem Mediävisten Ludwig Schmugge in einer zwei Jahrzehnte währenden Zusammenarbeit mit dem DHI erstellte Regestenwerk zu den Reichsbeständen der päpstlichen Pönitentiarie (RPG). Oder die in Zusammenarbeit mit dem DHI – das hier die digitale Plattform erstellte – von dem Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf verantwortete, kürzlich abgeschlossene Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis, des späteren Papstes Pius XII., aus München und Berlin. Erst dieses Jahr startete ein vom römischen DHI geleitetes, auf fünf Jahre angelegtes internationales Forschungsprojekt zum globalen Pontifikat
Pius’ XII. seit Ende des Zweiten Weltkriegs.
Der Schwerpunkt der Institutsforschungen liegt in der historischen und musikhistorischen Italienforschung. Können Sie in dem Zusammenhang die eigenen Entwicklungen des DHI in den Digital Humanities eventuell an Beispielen erläutern?
Seit mehr als 15 Jahren engagiert sich das römische DHI in den Digital Humanities (DH). Damit werden aufwändige Langzeitvorhaben im Bereich der Grundlagenforschung wie das RG in Forschungsdaten transformiert, was völ-lig neue Möglichkeiten der Auswertung und Analyse eröffnet. Ähnliches gilt für Editionen wie eine aktuell bearbeitete Online-Edition der Briefe von Ferdinand Gregorovius, des »Geschichtsschreibers der Stadt Rom im Mittelalter«. Aktuell betreut das DHI circa 20 Vorhaben im Bereich der DH, darunter einen »Dienstkalender« Mussolinis und mehrere größere Digitalisierungsprojekte von musikhistorischen und historischen Quellenbeständen.
Welche der bereits abgeschlossenen DHI-Projekte haben inner- und außerhalb von Wissenschaftskreisen besondere Aufmerksamkeit gefunden?
Auf wissenschaftlicher Ebene werden Projekte wie das RPG oder der »Dienstkalender« Mussolinis mit großer Aufmerksamkeit bedacht. Eine breite Öffentlichkeit erreichen die Forschungen des Instituts zum Zweiten Weltkrieg, insbesondere zur deutschen Besatzungsherrschaft und zu deutschen Kriegsverbrechen in Italien. Lutz Klinkhammer, stellvertretender Direktor des DHI, war Mitglied zahlreicher einschlägiger Ausschüsse und Expertengremien, unter anderem der Deutsch-italienischen Historikerkommission. Der von ihr 2012
vorgelegte Abschlussbericht bildet die Grundlage für bis heute in der Umsetzung befindliche Projekte der Dokumentation und des Opfergedenkens mit Mitteln eines vom Auswärtigen Amt finanzierten Zukunftsfonds. Wie drückend diese Folgelasten des Zweiten Weltkriegs sind, illustrieren internationale Medienberichte der letzten Wochen über gegenwärtig in Italien anhängige Entschädigungsklagen, die sich auf Immobilienbesitz der Bundesrepublik in Rom, darunter auch die Liegenschaft des DHI, richten.
Etliche der aktuellen Projekte beschäftigen sich mit Einzelthemen der Zeit des Faschismus und Nationalsozialismus. Theoretisch gibt es da einige Parallelen zum derzeitigen Ukraine-Krieg und den Imperiums-Vorstellungen von Putin. Dürften solche Überlegungen in diese Projekte einfließen oder müssen sie rein geschichtsbezogen bleiben?
Die erwähnten Forschungen zum Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen benötigen, wie erläutert, keine zusätzlichen Impulse durch aktuelle bewaffnete und andere Konflikte. Allgemein gilt für jede wissenschaftliche Beschäftigung mit Geschichte, und mag sie sich auf noch so ferne Welten und Epochen beziehen, dass sie in einer berühmten Formulierung von Benedetto Croce »storia contemporanea«, im weitesten Sinn »Zeitgeschichte«, ist, die wir mit unseren wissenschaftlichen Fragen und Methoden zu verstehen suchen.