Eine Ordensfrau im Dienst an den Strafgefangenen

Wiederfinden, was verloren war

 Wiederfinden, was verloren war  TED-027
08. Juli 2022

Ein Stück Seife, eine Rolle Klopapier, ein Schaumstoffkissen, Bettwäsche, einen Teller: das ist alles, was die Personen besitzen, wenn Sr. Livia ihnen begegnet.

»Ah, eine Nachricht: eine verzweifelte Ehefrau, die nicht weiß, wie sie ihrem Mann, der vorgestern verhaftet wurde, seine Sachen schicken soll«, sagt sie nach einem Blick auf ein altes Handy. »Selbst wenn es sich um steinreiche Menschen handelt, haben sie, sobald sie verhaftet und ins nächstgelegene Gefängnis gebracht worden sind, nur noch das, was sie gerade anhaben und die Grundausstattung des Gefängnisses.« Und eben an diesem Punkt wird sie tätig: Sr. Livia Cia-ramella, die Verantwortliche für die Resozialisierung in der Strafanstalt
»S. Donato« in Pescara. In
der Bezirkshauptstadt der Abruzzen geboren und Ordensfrau der von Mutter Eugenia Ravasco gegründeten Kongregation der Figlie dei Sacri Cuori di Gesù e di Maria, wird sie, nachdem sie als Missionarin in der Elfenbeinküste war, im Jahr 2006 vom damaligen Gefängnisseelsorger, Don Marco Pagniello, dem heutigen Direktor der italienischen Caritas, zur Animation der Eucharistiefeier eingeladen.

Seit jener Zeit hat sie die Häftlinge nicht mehr alleingelassen. »Der schwierigste Augenblick«, so berichtet sie, ist, wenn sie ankommen: die Konfrontation mit dem Gefängnis, wenn sie vom gewohnten Essen zuhause zum Gefängnisfraß übergehen müssen, wenn sie nichts mehr haben: die Gelegenheit verpassen, mit ihnen zu sprechen, sie in diesem delikaten Augenblick anzuhören, kann zu irreversiblen Folgen führen.«

Ihre Bereitschaft, stets zuzuhören und ihr Blick einer vorbehaltlosen Liebe können nicht umhin, auf eine noch viel größere Liebe zu verweisen, und in der Tat sind die geistlichen Initiativen zahlreich, die den Häftlingen angeboten werden. Neben der Feier der heiligen Messe und der Möglichkeit, beim Gefängnisseelsorger die Beichte abzulegen, sind da die besonderen Augenblicke, des Jahres, die Sr. Livias Phantasie zu nutzen weiß, um sie zu Augenblicken innigen Gebets zu machen: »Im Mai hänge ich in jeder Abteilung des Gefängnisses den Kalender auf, die Häftlinge tragen sich ein und ich gehe in ihre Zelle, um den Rosenkranz zu beten: vorgestern habe ich ihn in sieben verschiedenen Zellen gebetet. Ich komme, bringe die Statue der Muttergottes von Fatima, und dann beten wir alle gemeinsam.«

Aber ihr Engagement ist vielseitiger Art: Morgens wacht Sr. Livia um 5 Uhr auf. Nachdem sie gebetet hat, geht sie, um bei großzügigen Wohltätern etwas für die Zwischenmahlzeit der Gefangenen einzusammeln, und geht dann ins Gefängnis, wo sie Tag für Tag die verschiedenen Werkstätten leitet, damit sich die Gefangenen ihrer manuellen Fertigkeiten bedienen können, um auch kleine Gegenstände herzustellen, die auf von Sr. Livia veranstalteten Wohltätigkeitsbazars verkauft werden, um den jüngsten Neuzugängen das Allernötigste zu beschaffen. Das alles ist dafür gedacht, zu verhindern, dass die Häftlinge ihre Würde verlieren: »Ich begegne der Person«, sagt Sr. Livia, »aber wenn ich der Person begegne, bringe ich Jesus mit, damit diese Person sich geliebt und nicht beurteilt fühlt.«

Ihre Erfahrung hat dazu geführt, dass sie mittlerweile die den Strafvollzug betreffenden Gesetze bestens kennt, und Sr. Livia macht Gebrauch von ihnen, um den Häftlingen die Gelegenheit zu geben, Erfahrungen mit wahrer Menschlichkeit zu machen, denn eine so große Liebe kann nicht nur innerhalb der Mauern der Strafvollzugsanstalt bleiben. Und tatsächlich sind die Initiativen zahlreich, die die »Ravasco-Schwester«, wie die Ordensfrauen ihrer Kongregation gemeinhin genannt zu werden pflegen, zusammen mit den Häftlingen selbst auch außerhalb des Gefängnisses organisiert hat. »Auf der Grundlage des Paragraphen 21 haben wir in Zusammenarbeit mit der Nationalen Vereinigung für den Krankentransport zu Internationalen Wallfahrtsorten (UNITALSI) einige junge Leute mitgenommen, um sich in Pompei oder Loreto um die Kranken zu kümmern: sie waren dafür zuständig, die Rollstühle zu schieben und ihnen bei allem, was nötig war, zu helfen.«

Besondere Aufmerksamkeit gilt auch der Messfeier, die stets mit großer Sorgfalt vorbereitet wird: »Auf der Grundlage des Paragraphen 17 rufe ich bei besonderen Anlässen wie Weihnachten oder Ostern, wenn Erzbischof Valentinetti kommt, um zu zelebrieren, die Jugendlichen, die verschiedene Instrumente spielen, um die Eucharistiefeier noch schöner zu gestalten: wir haben eine Liturgie-Gruppe, wir wissen jeden Sonntag bereits, wer die Lesungen vornehmen oder die verschiedenen Dienste leisten soll.«

Viele Leidensgeschichten, viele zerrüttete Familien, die in dieser kleinen Ordensfrau undefinierbaren Alters einen Rettungsanker finden. Und das trägt auf unterschiedlichste Art und Weise Früchte, und unter anderen auch die allerschönste Frucht: »Manchmal kommt es vor, dass mich die Menschen darum bitten, sie zu lehren, wie man betet, oft ist gerade das die symptomatische Frage, die mich dazu bringt, sie zu fragen, ob sie getauft sind. Es kann vorkommen, dass das nicht der Fall ist. Und dann kümmere ich mich darum, außer dem samstags stattfindenden Katechismusunterricht auch individuell zugeschnittene Wege gehen zu lassen, damit sie die Sakramente der christlichen Initiation empfangen können.«

Da die Strafanstalt nach einem Heiligen benannt ist, ist es Sr. Livia auch gelungen, den heiligen Donatus höchstpersönlich ins Gefängnis kommen zu lassen: Im Jahr 2018 ist die Urne mit den Reliquien des Heiligen aus Castiglione Messer Raimondo (PE) gekommen und für die Dauer eines ganzen Tages des Gebets und der Eucharistiefeier in die Strafvollzugsanstalt gebracht worden.

Sr. Livias Sorge gilt natürlich auch all dem, was nach der Haft kommt, und zu diesem Zweck gibt es eine ständige Kollaboration mit der CEC (Gemeinschaft für die Resozialisierung Strafgefangener), ein Projekt der Gemeinschaft Papst Johannes XXIII., das sich der Resozialisierung der Strafgefangenen
widmet: »Wenn sie die Strafanstalt verlassen, müssen sie stärker sein als vorher, sonst
wird das Gefängnis darauf reduziert, die Menschen einsitzen zu lassen.«

#sistersproject

Von Valentina Angelucci