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Zum Apostolischen Schreiben »Desiderio desideravi«

Die Schönheit der Liturgie wiederentdecken

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08. Juli 2022

»Desiderio desideravi«: So heißt das neue Apostolische Schreiben zur Liturgie, das Papst Franziskus an am Mittwoch, 29. Juni, veröffentlicht hat. Es lädt dazu ein, die Liturgie weder als einen Kult der reinen Form zu begreifen noch als Spielwiese für Improvisationen. »Eine Feier, die nicht evangelisiert, ist nicht authentisch.«

Das Schreiben würdigt in seinen 65 Absätzen die Liturgie, wie sie aus dem Zweiten Vatikanischen Konzil hervorgegangen ist, und ruft zu mehr liturgischer Bildung auf. Desiderio desideravi folgt auf das päpstliche Motu proprio Traditiones custodes, es soll aber keine Normen oder Anweisungen geben, sondern stattdessen eine Betrachtung über die Schönheit der liturgischen Feier und ihre Rolle bei der Evangelisierung sein.

Wichtig ist der abschließende Appell des Schreibens: »Lassen wir die Streitereien hinter uns, um gemeinsam auf das zu hören, was der Geist der Kirche sagt, pflegen wir die Gemeinschaft, staunen wir weiterhin über die Schönheit der Liturgie.«

Franziskus beschreibt die Liturgie als Raum, um dem lebendigen Jesus Christus zu begegnen. »Wir brauchen keine vage Erinnerung an das Letzte Abendmahl: Wir müssen bei diesem Abendmahl anwesend sein, seine Stimme hören, seinen Leib essen und sein Blut trinken können« (Nr. 11), schreibt der Papst. Es gehe ihm darum, »dass die Schönheit des christlichen Feierns und ihre notwendigen Konsequenzen für das Leben der Kirche nicht durch ein oberflächliches und verkürztes Verständnis ihres Wertes oder, was noch schlimmer ist, durch ihre Instrumentalisierung im Dienste einer ideologischen Vision, wie immer sie aussieht, entstellt wird« (Nr. 16).

Franziskus weist darauf hin, dass die Teilnahme am eucharistischen Opfer »nicht unsere Leistung« sei, »mit der wir uns vor Gott und unseren Brüdern und Schwestern brüs-ten könnten«, und dass die Liturgie »nichts mit asketischem Moralismus zu tun« habe. »Sie ist das Geschenk des Paschas des Herrn, das, wenn wir es mit Fügsamkeit annehmen, unser Leben neu macht. Man betritt den Abendmahlssaal nur, wenn man seinen Wunsch verspürt, das Pascha mit uns zu essen…« (Nr. 20).

So sehr der Papst auch dafür wirbt, die Schönheit der Liturgie wiederzuentdecken, so klar macht er auch, dass er »das Streben nach einem rituellen Ästhetizismus, der sich nur an der Pflege der äußeren Formalität eines Ritus erfreut oder sich mit einer skrupulösen Einhaltung der Rubriken zufriedengibt«, verurteilt (Nr. 22). Er fährt fort: »Mit dieser Aussage soll natürlich keineswegs die gegenteilige Haltung gebilligt werden, die Einfachheit mit nachlässiger Banalität, die Wesentlichkeit mit ignoranter Oberflächlichkeit, die Konkretheit der rituellen Handlung mit übertriebenem praktischem Funktionalismus verwechselt.«

Jeder Aspekt des Feierns müsse gepflegt, jede Rubrik beachtet werden, so der Papst: Die Gemeinde habe einen Anspruch darauf, dass das Pascha-Mysterium »in der von der Kirche festgelegten rituellen Form gefeiert wird« (Nr. 23). Doch etwas Entscheidendes müsse hinzutreten: das »Staunen« über das Geheimnis von gebrochenem Brot und Auferstehung. »Wenn uns das Staunen über das Pascha-
Mysterium, das in der Konkretheit der sakramentalen Zeichen gegenwärtig wird, fehlen würde, könnten wir wirklich Gefahr laufen, für den Ozean der Gnade, der jede Feier überflutet, unempfänglich zu sein« (Nr. 24).

Franziskus stellt klar, das Staunen, von dem er spreche, habe nichts zu tun mit dem »nebulösen Ausdruck ›Sinn für das Geheimnis‹« (Nr. 25). »Das Staunen, von dem ich spreche, ist nicht eine Art Verwunderung angesichts einer obskuren Realität oder eines rätselhaften Ritus, sondern im Gegenteil das Staunen da-rüber, dass sich uns der Heilsplan Gottes im Pascha Jesu offenbart hat, dessen Wirksamkeit uns in der Feier der ›Geheimnisse‹, das heißt der Sakramente, weiterhin erreicht.«

Wie können wir nun die Fähigkeit zurückgewinnen, das liturgische Geschehen in vol-lem Umfang zu leben? Angesichts der Irrungen und Wirrungen der Postmoderne oder des Individualismus lädt uns der Papst ein, zu den großen Konzilstexten zurückzukehren. »Wenn die Liturgie ›der Höhepunkt [ist], dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt‹ (Sacrosanctum Concilium, Nr. 10), dann verstehen wir gut, was in der Frage der Liturgie auf dem Spiel steht« (Nr. 31).

Damit kommt Franziskus zu den Streitigkeiten über Ritus und Liturgie. »Es wäre banal, die Spannungen, die es leider rund um die Feier gibt, als einfache Unterschiede zwischen verschiedenen Empfindungen gegen-über einer rituellen Form zu deuten. Die Problematik ist in erster Linie ekklesiologischer Natur. Ich verstehe nicht, wie man sagen kann, dass man die Gültigkeit des Konzils anerkennt – obwohl ich mich ein wenig wundere, dass ein Katholik sich anmaßen kann, dies nicht zu tun – und nicht die Liturgiereform akzeptieren kann, die aus Sacrosanctum Concilium hervorgegangen ist« (Nr. 31). Hinter den Auseinandersetzungen um den Ritus verbergen sich also unterschiedliche Auffassungen von der Kirche.

Mit einem Zitat des deutschen Theologen Romano Guardini (der überhaupt in diesem Apostolischen Schreiben sehr präsent ist) erklärt Franziskus, dass ohne liturgische Bildung »Reformen in Ritus und Text nicht viel (helfen)« (Nr. 34). Er betont die Bedeutung der Ausbildung, vor allem in den Seminaren, und rät dazu, den Sinn für Symbole zu schärfen, so schwer das den Menschen von heute auch fallen möge. »Eine Möglichkeit, das lebendige Verständnis der Symbole der Liturgie zu pflegen und zu vertiefen, besteht sicherlich darin, die Kunst des Feierns (ars celebrandi) zu pflegen. (…) (Sie) kann nicht auf die bloße Einhaltung eines rubrizistischen Apparats reduziert werden, noch kann sie als eine phantasievolle – manchmal wilde – Kreativität ohne Regeln betrachtet werden. Der Ritus ist in sich selbst eine Norm, und die Norm ist nie Selbstzweck, sondern steht immer im Dienst der höheren Wirklichkeit, die sie schützen will« (Nr. 48).

Die Kunst des Feierns könne man nicht lernen, »indem man einen Kurs in public speaking (öffentliches Reden) oder überzeugenden Kommunikationstechniken besucht« (Nr. 50). Franziskus geht es um »eine gewissenhafte Hinwendung zur Feier, damit die Feier selbst ihre Kunst auf uns übertragen kann«. Das betrifft aus seiner Sicht die ganze Gemeinde, aber natürlich den zelebrierenden Priester ganz besonders. Er solle sich vor einem »übertriebenen Personalismus des Feierstils« (Nr. 54) hüten, wie er sich oft bei Liturgiefeiern, die im Internet übertragen werden, besonders unangenehm bemerkbar mache. »Der Auferstandene ist der Protagonist, und sicher nicht unsere Unreife, die nach einer Darstellbarkeit einer Rolle und eine Haltung strebt, die sie nicht haben kann« (Nr. 57).

Abschließend bittet der Papst alle Verantwortlichen in der Kirche darum, »dem heiligen Volk Gottes zu helfen, aus dem zu schöpfen, was seit jeher die Hauptquelle der christlichen Spiritualität ist« (Nr. 61), nämlich die Feier der heiligen Geheimnisse. Und er wird noch einmal sehr deutlich: Das Konzil habe sich schon in seiner ersten Konstitution mit der Liturgie beschäftigt, und dieser Text stehe in »enger Verbindung« mit den übrigen Konstitutionen des Konzils. »Deshalb können wir nicht zu jener rituellen Form zurückkehren, die die Konzilsväter cum Petro und sub Petro für reformbedürftig hielten, indem sie unter der Führung des Geistes und nach ihrem Gewissen als Hirten die Grundsätze billigten, aus denen die Reform hervorging.«

Er habe in Traditiones custodes dafür sorgen wollen, dass »die Kirche in der Vielfalt der Sprachen ein und dasselbe Gebet erhebt, das ihre Einheit zum Ausdruck bringt. Diese Einheit möchte ich, wie ich bereits geschrieben habe, in der gesamten Kirche des Römischen Ritus wiederhergestellt sehen« (Nr. 61). Im Übrigen hätten ja auch die heiligen Päpste Paul VI. und Johannes Paul II. die revidierten liturgischen Bücher »genehmigt und damit die Treue der (Liturgie-)Reform zum Konzil garantiert«.

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