Vorwort von Papst Franziskus zu den neuen Leitlinien für die Ehepastoral

Die Berufung zur Liebe, die Gott selbst in das Herz des Menschen eingeschrieben hat

 Die Berufung zur Liebe,  die Gott selbst  in das Herz des Menschen eingeschrieben hat  TED-026
01. Juli 2022

Das Dikasterium für die Laien, die Familie und das Leben hat, wie bereits berichtet, am 15. Juni neue Leitlinien für die Begleitung von Ehepaaren herausgegeben. Kardinal Kevin Farrell, Präfekt des Dikasteriums, erläuterte, das Anliegen des neuen Dokumentes sei es, »den Bischöfen, Mitarbeitern und Ausbildern in der Familienpastoral die Aufforderung des Heiligen Vaters zu übermitteln, die Ehevorbereitung als kontinuierliche Begleitung vor und nach dem sakramentalen Ritus neu in den Blick zu nehmen«. Das Ziel sei eine kompetente und konkrete Nähe, um sich gegenseitig zu unterstützen. Das Dokument liegt bisher auf Spanisch und Italienisch vor. Im Folgenden die deutsche Übersetzung des Vorworts.

»Die christliche Verkündigung über die Familie ist wirklich eine frohe Botschaft« (Amoris laetitia, 1). Dieser Satz aus dem Ab-schlussbericht der Bischofssynode (»Relatio finalis«) über die Familie verdiente es, das Apostolische Schreiben Amoris laetitia zu eröffnen. Denn die Kirche ist in jeder Epoche aufgerufen, die im Ehesakrament und dem daraus hervorgehenden Familienleben enthaltene Schönheit und überreiche Gnade neu zu verkünden, besonders den jungen Menschen. Fünf Jahre nach der Veröffentlichung des Schreibens sollte das »Jahr der Familie Amoris laetitia« die Familie wieder in den Mittelpunkt stellen und dazu einladen, über die Themen des Apostolischen Schreibens nachzudenken, sowie der ganzen Kirche neuen Schwung verleihen bei ihrem freudigen Einsatz der Evangelisierung für die Familien und mit den Familien.

Zu den Früchten dieses besonderen Jahres gehören die »Katechumenalen Wege für das Eheleben«, die ich jetzt den Hirten, den Eheleuten sowie allen, die in der Familienpastoral tätig sind, mit Freuden anvertraue. Es handelt sich um ein pastorales Hilfsmittel, das vom Dikasterium für die Laien, die Familie und das Leben verfasst wurde, einer Weisung folgend, die ich wiederholt zum Ausdruck gebracht habe: »die Notwendigkeit eines ›neuen Katechumenats‹ zur Vorbereitung auf die Ehe«; denn es ist »dringend notwendig, konkret umzusetzen, was in Familiaris consortio (Nr. 66) bereits vorgeschlagen wurde: so wie für die Erwachsenentaufe das Katechumenat Teil des sakramentalen Prozesses ist, muss auch die Ehevorbereitung zum fes-ten Bestandteil des ganzen sakramentalen Prozedere der Eheschließung werden, als Gegenmittel, das die Zunahme ungültiger oder unbeständiger Eheschließungen verhindert« (Ansprache an die Römische Rota, 21. Januar 2017).

Hier wurde unmissverständlich die ernsthafte Besorgnis deutlich, dass Paare mit einer zu oberflächlichen Vorbereitung der wirklichen Gefahr entgegengehen, eine ungültige Eheschließung zu feiern, oder eine, deren Grundlagen so schwach sind, dass sie innerhalb kürzester Zeit »zerfallen« und nicht einmal den ersten unvermeidlichen Krisen standhalten können. Ein solches Scheitern bringt großes Leiden mit sich und hinterlässt tiefe Wunden bei den Menschen. Diese sind enttäuscht, verbittert und glauben in den schmerzlichsten Fällen nicht einmal mehr an die Berufung zur Liebe, die Gott selbst in das Herz des Menschen eingeschrieben hat. Es gibt also in erster Linie eine Pflicht, jene, die die Absicht äußern, den Ehebund zu schließen, verantwortungsbewusst zu begleiten, damit sie vor dem Trauma der Trennung bewahrt bleiben und nie das Vertrauen in die Liebe verlieren.

Wir müssen aber auch von einem Gerechtigkeitssinn beseelt sein. Die Kirche ist Mutter, und eine Mutter zieht keines ihrer Kinder vor. Sie behandelt sie nicht ungleich, sie widmet allen dieselbe Fürsorge, dieselbe Aufmerksamkeit, dieselbe Zeit. Jemandem Zeit zu widmen ist ein Zeichen der Liebe: Wenn wir einem Menschen keine Zeit widmen, dann ist das ein Zeichen, dass wir ihn nicht lieben. Das kommt mir oft in den Sinn, wenn ich daran denke, dass die Kirche der Ausbildung der Kandidaten für das Priesteramt oder für das Ordensleben viel Zeit, einige Jahre, widmet, aber wenig Zeit – nur einige Wochen – jenen, die sich auf die Ehe vorbereiten. Wie die Priester und die geweihten Personen sind auch die Eheleute Kinder der Mutter Kirche, und eine so große Ungleichbehandlung ist nicht gerecht. Die Ehepaare stellen den größten Teil der Gläubigen dar, und oft sind sie tragende Säulen in den Pfarrgemeinden, in den ehrenamtlichen Gruppen, in den Verbänden, in den Bewegungen. Sie sind wahre »Hüter des Lebens«: nicht nur, weil sie Kinder zur Welt bringen, sie erziehen und sie beim Heranwachsen begleiten, sondern auch, weil sie Sorge tragen für die alten Menschen in der Familie, sich dem Dienst an den Menschen mit Behinderung widmen und oft auch vielen Situationen der Armut, mit denen sie in Berührung kommen. Aus den Familien entstehen die Berufungen zum Priestertum und zum geweihten Leben; und die Familien sind es, die das Gesellschaftsgefüge bilden und seine »Risse flicken«, mit Geduld und täglichen Opfern. Es ist daher eine Pflicht der Gerechtigkeit für die Mutter Kirche, der Vorbereitung jener, die der Herr zu einer so großen Sendung wie der zur Familie beruft, Zeit und Kraft zu widmen.

Daher habe ich, um dieser dringenden Notwendigkeit Konkretheit zu verleihen, »empfohlen, ein wahres Katechumenat der zukünftigen Brautleute einzurichten, das alle Etappen des sakramentalen Weges ein-schließt: die Zeit der Vorbereitung auf die Ehe, die Eheschließung und die unmittelbar darauf folgenden Jahre« (Ansprache an die Teilnehmer am Kurs über das Eheprozessrecht, 25. Februar 2017). Das soll das Dokument tun, das ich hier vorstelle und für das ich dankbar bin. Es ist nach den drei Phasen unterteilt: Ehevorbereitung (ferne, nahe und unmittelbare); Trauung; Begleitung der ers-ten Jahre des Ehelebens. Wie Ihr sehen werdet, geht es darum, eine wichtige Wegstrecke gemeinsam mit den Paaren auf ihrem Lebensweg zu gehen, auch nach der Eheschließung, vor allem, wenn sie vielleicht Krisen und Zeiten der Entmutigung durchmachen. So werden wir versuchen, der Kirche treu zu sein, die Mutter, Lehrmeisterin und Wegbegleiterin ist, stets an unserer Seite. Es ist mein aufrichtiger Wunsch, dass auf dieses erste Dokument so bald wie möglich ein weiteres folgen möge, in dem die konkreten pastoralen Bedingungen und möglichen Wege zur Begleitung aufgezeigt werden, die insbesondere jenen Paaren gewidmet sind, die das Scheitern ihrer Ehe erfahren haben und in einer neuen Verbindung leben oder zivil wiederverheiratet sind. Denn die Kirche möchte diesen Paaren nahe sein und auch mit ihnen die »via caritatis« beschreiten (vgl. Amoris laetitia, 306), damit sie sich nicht verlassen fühlen und in den Gemeinden zugängliche und geschwisterlicher Orte der Annahme, der Hilfe zur Entscheidungsfindung und der Teilhabe finden mögen. Dieses erste Dokument, das angeboten wird, ist ein Geschenk und eine Aufgabe. Ein Geschenk, weil es allen überreiches und anregendes Material zur Verfügung stellt, Frucht der Reflexion und der pastoralen Erfahrungen, die in verschiedenen Diözesen/Eparchien der Welt bereits umgesetzt worden sind. Und es ist auch eine Aufgabe, denn es handelt sich nicht um »Zauberformeln«, die automatisch funktionieren. Es ist ein Gewand, das »maßgeschneidert« werden muss für die Menschen, die es tragen werden. Denn es handelt sich um Leitlinien, die angenommen, angepasst und in den konkreten gesellschaftlichen, kulturellen und kirchlichen Situationen, in denen eine jede Teilkirche lebt, in die Praxis umgesetzt werden müssen. Ich appelliere daher an die Fügsamkeit, an den Eifer und an die Kreativität der Hirten der Kirche und ihrer Mitarbeiter, um dieses lebenswichtige und unverzichtbare Werk der Ausbildung, der Verkündigung und der Begleitung der Familien, das der Heilige Geist uns in diesem Augenblick zu verwirklichen bittet, wirksamer zu gestalten.

Ich habe euch »nichts verschwiegen von dem, was heilsam ist. Ich habe es euch verkündet und habe euch gelehrt, öffentlich und in den Häusern« (Apg 20,20). Ich lade alle ein, die in der Familienpastoral tätig sind, sich diese Worte des Apostels Paulus zu eigen zu machen und sich nicht entmutigen zu lassen angesichts einer Aufgabe, die schwierig oder anspruchsvoll erscheint oder von der man sogar meint, sie würde die eigenen
Möglichkeiten übersteigen. Nur Mut! Beginnen wir mit den ersten Schritten! Setzen wir Prozesse der pastoralen Erneuerung in Gang! Stellen wir den Verstand und das Herz in den Dienst der zukünftigen Familien, und ich versichere euch, dass der Herr uns stützen wird, dass er uns Weisheit und Kraft schenken wird, bei uns allen die Begeisterung wachsen lassen und uns vor allem »die innige und tröstliche Freude der Verkündigung des Evangeliums« (Evangelii gaudium, 9) erfahren lassen wird, während wir den neuen Genrationen das Evangelium der Familie verkündigen.