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Papst Franziskus im Gespräch mit den europäischen Kulturzeitschriften der Jesuiten

Vermittelt Ideen, die aus der Erfahrung kommen

 Vermittelt Ideen, die aus der Erfahrung kommen  TED-025
24. Juni 2022

19. Mai 2022. »Willkommen! Seht ihr? Ich sitze in meiner neuen Sedia Gestatoria«, scherzt der Papst in Anspielung darauf, dass er aufgrund seiner Knieschmerzen im Rollstuhl sitzt. Franziskus begrüßte einzeln die Chefredakteure und Chefredakteurinnen der europäischen Kulturzeitschriften der Gesellschaft Jesu, die in der Privatbibliothek des Apostolischen Palastes in Audienz versammelt waren. Insgesamt waren es zehn: P. Stefan Kiechle von den Stimmen der Zeit (Deutschland), Lucienne Bittar von Choisir (Schweiz), P. Ulf Jonsson von Signum (Schweden), P. Jaime Tatay von Razón y fe (Spanien), P. José Frazão Correia von Brotéria (Portugal), P. Paweł Kosiński von Deon (Polen), P. Arpad Hovarth von A Szív (Ungarn), Robert Mesaros von Viera a život (Slowakei), Frances Murphy von Thinking Faith (Vereinigtes Königreich) und P. Antonio Spadaro von La Civiltà Cattolica (Italien). Drei Redakteure waren Laien, zwei davon waren Frauen (für die schweizerische und die englische Zeitschrift). Die anderen waren Jesuiten. Das Treffen mit dem Papst war der Auftakt zu ihrem dreitägigen Jahrestreffen.1 An der Audienz nahm auch der Generalobere der Gesellschaft Jesu, P. Arturo Sosa, teil. »Ich habe keine Rede vorbereitet«, begann der Papst, »wenn ihr wollt, könnt ihr also Fragen stellen. Wenn wir einen Dialog führen, wird unsere Begegnung reicher sein«.

Heiliger Vater, danke für diese Begegnung. Was ist der Sinn und die Sendung der Zeitschriften der Gesellschaft Jesu? Haben Sie uns einen Auftrag zu erteilen?

Es ist nicht leicht, eine eindeutige Antwort zu geben. Generell glaube ich natürlich, dass die Aufgabe einer Kulturzeitschrift darin besteht, zu vermitteln. Ich würde jedoch hinzufügen, dass es darum geht, so persönlich wie möglich zu kommunizieren, ohne den Bezug zur Realität und zu den Menschen zu verlieren, das »Face-to-face«. Damit will ich sagen, dass es nicht ausreicht, Ideen zu vermitteln. Man muss Ideen vermitteln, die aus der Erfahrung kommen. Dies ist für mich sehr wichtig. Ideen müssen aus der Erfahrung kommen.

Nehmen wir das Beispiel der Irrlehren, ob sie nun theologisch oder menschlich sind, denn es gibt auch menschliche Irrlehren. Meiner Meinung nach entsteht eine Häresie, wenn die Idee von der menschlichen Realität abgekoppelt wird. Deshalb hat jemand gesagt – Chesterton, wenn ich mich recht erinnere –, dass »Ketzerei eine verrückte Idee ist«. Sie ist verrückt geworden, weil sie ihre menschliche Wurzel verloren hat.

Die Gesellschaft Jesu darf nicht einfach daran interessiert sein, abstrakte Ideen zu vermitteln. Vielmehr geht es darum, die menschlichen Erfahrungen durch Ideen und Überlegungen zu vermitteln: Erfahrung also. Ideen werden diskutiert. Eine Diskussion ist gut, aber für mich ist sie nicht ausreichend. Es ist die menschliche Realität, die einer Unterscheidung unterworfen wird. Die Unterscheidung ist das, was wirklich zählt. Die Aufgabe einer jesuitischen Publikation kann nicht nur darin bestehen zu diskutieren, sondern sie muss vor allem zur Unterscheidung führen, die sich im Handeln umsetzt.

Und manchmal muss man, um zu unterscheiden, einen Stein werfen! Wenn man einen Stein wirft, wird das Wasser aufgewühlt, alles bewegt sich, und du kannst unterscheiden. Aber wenn man statt eines Steins … eine mathematische Gleichung, ein Theorem wirft, dann gibt es keine Bewegung und damit keine Unterscheidung. Dieses Phänomen der abstrakten Vorstellungen über den Menschen ist übrigens uralt. Sie kennzeichnete zum Beispiel die dekadente Scholastik, eine Theologie der reinen Ideen, die von der Heilsrealität, nämlich der Begegnung mit Jesus Christus, völlig entfernt war. Deshalb muss eine Kulturzeitschrift an der Realität arbeiten, die der Idee immer überlegen ist. Und wenn die Realität skandalös ist, umso besser.

So traf ich beispielsweise kürzlich die Santa Marta Group«, die sich mit der skanda-lösen Realität des Menschenhandels be-fasst. Und das bewegt uns, berührt uns und lässt uns nicht los. Abstrakte Ideen über die Versklavung von Menschen bewegen hingegen niemanden. Wir müssen von der Erfahrung und dem Bericht darüber ausgehen.

Das ist der Grundsatz, den ich euch sagen wollte und den ich euch empfohlen habe: dass die Realität der Idee überlegen ist, und deshalb müsst ihr Ideen und Überlegungen anstellen, die der Realität entspringen.

Wenn man sich allein in die Welt der Ideen begibt und sich von der Realität entfernt, landet man in der Lächerlichkeit. Ideen werden diskutiert, die Realität wird durch Unterscheidung erkannt. Die Unterscheidung ist das Charisma der Gesellschaft Jesu. Meiner Meinung nach ist sie das erste Charisma der Gesellschaft, und darauf muss sich die Gesellschaft weiterhin konzentrieren, auch bei der Förderung der Kulturzeitschriften. Es müssen Zeitschriften sein, die die Unterscheidung fördern und unterstützen.

Die Gesellschaft Jesu ist in der Ukraine vertreten, die zu meiner Provinz gehört. Wir befinden uns in einem Angriffskrieg. Wir schreiben darüber in unseren Zeitschriften. Was raten Sie, um die Situation, die wir erleben, zu vermitteln? Wie können wir zu einer friedlichen Zukunft beitragen?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns von dem üblichen Schema des »Rotkäppchens« lösen: Rotkäppchen war gut, und der Wolf war der Bösewicht. Hier gibt es keine metaphysisch Guten und Bösen auf abstrakte Art und Weise. Es entsteht etwas Globales, mit Elementen, die stark miteinander verwoben sind. Ein paar Monate vor Kriegsbeginn traf ich einen Staatschef, einen weisen Mann, der sehr wenig spricht, aber sehr weise ist. Und nachdem er über die Dinge gesprochen hatte, über die er sprechen wollte, sagte er mir, dass er sehr besorgt über die Entwicklung der NATO sei. Ich fragte ihn, warum, und er sagte: »Sie bellen vor den Toren Russlands und sie verstehen nicht, dass die Russen imperial sind und keiner fremden Macht erlauben, sich ihnen zu nähern«. Er schloss mit den Worten: »Die Situation könnte zu einem Krieg führen.« Dies war seine Meinung. Am 24. Februar begann der Krieg. Dieses Staatsoberhaupt war in der Lage, die Vorzeichen dessen zu erkennen, was sich dann ereignen sollte.

Was wir sehen, ist die Brutalität und Grausamkeit, mit der dieser Krieg von den Truppen, in der Regel Söldnern, die von den Russen eingesetzt werden, geführt wird. Und die Russen ziehen es vor, Tschetschenen, Syrer und Söldner zu schicken. Aber die Gefahr ist, dass wir nur das sehen, was ungeheuerlich ist, und nicht das ganze Drama sehen, das sich hinter diesem Krieg abspielt, der vielleicht in gewisser Weise entweder provoziert oder nicht verhindert wurde. Und ich regis-triere das Interesse am Testen und Verkaufen von Waffen. Das ist sehr traurig, aber darum geht es ja offensichtlich.

Manch einer mag mir an dieser Stelle sagen: Aber Sie sind doch pro Putin! Nein, das bin ich nicht. So etwas zu sagen, wäre vereinfachend und falsch. Ich bin einfach dagegen, die Komplexität auf die Unterscheidung zwischen Guten und Bösen zu reduzieren, ohne über die Wurzeln und Interessen nachzudenken, die sehr komplex sind. Während wir die Grausamkeit der russischen Truppen sehen, dürfen wir die Probleme nicht vergessen, um zu versuchen, sie zu lösen.

Es stimmt auch, dass die Russen dachten, es würde in einer Woche vorbei sein. Aber sie haben sich verkalkuliert. Sie fanden ein mutiges Volk vor, ein Volk, das ums Überleben kämpft und dessen Geschichte von Kämpfen geprägt ist.

Ich muss auch hinzufügen, dass wir das, was jetzt in der Ukraine passiert, so sehen, weil es uns näher ist und unsere Sensibilität mehr berührt. Aber es gibt auch andere, weit entfernte Länder, denkt nur an einige Teile Afrikas, Nordnigeria, Nordkongo, wo der Krieg immer noch andauert und niemanden kümmert. Denkt an Ruanda vor 25 Jahren. Denkt an Myanmar und die Rohingya. Die Welt befindet sich im Krieg. Vor einigen Jahren kam ich auf die Idee zu sagen, dass wir den Dritten Weltkrieg in Stücken und Brocken erleben. So ist für mich heute der Dritte Weltkrieg ausgebrochen. Und das ist etwas, das uns zu denken geben sollte. Was ist mit der Menschheit geschehen, die in einem Jahrhundert drei Weltkriege erlebt hat? Ich erlebe den ersten Krieg in der Erinnerung an meinen Großvater am Fluss Piave. Dann den zweiten und jetzt den dritten. Und das ist schlecht für die Menschheit, ein Unglück. Man muss bedenken, dass es in einem Jahrhundert drei Weltkriege gegeben hat, mit all dem Waffenhandel dahinter!

Erst vor wenigen Jahren wurde der Jahrestag der Landung in der Normandie begangen. Und viele Staats- und Regierungschefs feierten den Sieg. Niemand erinnerte sich an die Tausende von jungen Menschen, die bei dieser Gelegenheit am Strand starben. Als ich 2014 anlässlich des hundertsten Jahrestages des Weltkrieges nach Redipuglia fuhr – ich sage das ganz persönlich – habe ich geweint, als ich das Alter der gefallenen Soldaten sah. Als ich einige Jahre später, am 2. November – jeden 2. November besuche ich einen Friedhof – nach Anzio fuhr, weinte ich auch dort, als ich das Alter dieser gefallenen Soldaten sah. Letztes Jahr war ich auf dem französischen Friedhof, und die Gräber der Männer – christliche oder islamische, denn die Franzosen schickten auch solche aus Nordafrika in den Kampf – waren dort ebenfalls solche von jungen Männern von 20, 22, 24 Jahren.

Warum erzähle ich euch diese Dinge? Weil ich möchte, dass sich eure Zeitschriften mit der menschlichen Seite des Krieges befassen. Ich möchte, dass sich eure Zeitschriften mit dem menschlichen Drama des Krieges befassen. Es ist schön und gut, ein geopolitisches Kalkül anzustellen und die Dinge eingehend zu untersuchen. Ihr müsst es tun, weil es eure Aufgabe ist. Doch versucht auch, das menschliche Drama des Krieges zu vermitteln. Das menschliche Drama dieser Friedhöfe, das menschliche Drama der Strände der Normandie oder von Anzio, das menschliche Drama einer Frau, an deren Tür der Postbote klopft und die einen Brief erhält, in dem ihr gedankt wird, weil sie dem Vaterland einen Sohn geschenkt hat, der ein Held des Vaterlandes ist... und die so allein gelassen wird. Darüber nachzudenken, würde der Menschheit und der Kirche sehr helfen. Stellt eure gesellschaftspolitischen Überlegungen an, aber vernachlässigt nicht die menschliche Überlegung zum Krieg.

Zurück zur Ukraine. Jeder öffnet sein Herz für die Flüchtlinge, die ukrainischen Exilanten, bei denen es sich meist um Frauen und Kinder handelt. Die Männer werden dem Kampf überlassen. Bei der Audienz letzte Woche kamen zwei Ehefrauen von ukrainischen Soldaten, die sich im Stahlwerk Asow befanden, und baten mich um Fürsprache für ihre Rettung. Wir sind alle sehr sensibel für diese dramatischen Situationen. Es sind Frauen mit Kindern, deren Ehemänner dort kämpfen. Junge Frauen. Aber ich frage mich: Was wird passieren, wenn die Begeisterung für die Hilfe nachlässt? Wer wird sich um diese Frauen kümmern, wenn sich die Lage ab-kühlt? Wir müssen über die konkrete Aktion des Augenblicks hinausschauen und sehen, wie wir sie unterstützen können, damit sie nicht in den Menschenhandel geraten, nicht ausgenutzt werden, weil die Geier schon kreisen.

Die Ukraine ist Experte in Sachen Skla-verei und Krieg. Sie ist ein reiches Land, das immer wieder zerschnitten wurde, zerrissen durch den Willen derer, die sie in Besitz nehmen wollten, um sie auszubeuten. Es ist, als ob die Geschichte die Ukraine dazu prädisponiert hätte, ein heroisches Land zu sein. Dieses Heldentum zu sehen, berührt unsere Herzen. Ein Heldentum, das mit Zärtlichkeit Hand in Hand geht! Als die ersten jungen russischen Soldaten eintrafen — später schickten sie Söldner —, die zu einer »militärischen Operation« geschickt wurden, wie sie sagten, ohne zu wissen, dass sie in den Krieg ziehen würden, waren es die ukrainischen Frauen selbst, die sich um sie kümmerten, als sie sich ergaben. Große Menschlichkeit, große Zärtlichkeit. Mutige Frauen. Tapfere Menschen. Ein Volk, das keine Angst vor dem Kampf hat. Ein Volk, das fleißig ist und gleichzeitig stolz auf sein Land. Wir sollten uns die ukrainische Identität in dieser Zeit vor Augen halten. Das ist es, was uns bewegt: solches Heldentum zu sehen. Ich möchte diesen Punkt wirklich hervorheben: das Heldentum des ukrainischen Volkes. Was wir vor Augen haben, ist eine Situation des Weltkriegs, der globalen Interessen, der Waffenverkäufe und der geopolitischen Vereinnahmung, die ein heldenhaftes Volk zum Märtyrer macht.

Ich möchte ein weiteres Element hinzufügen. Ich hatte ein vierzigminütiges Gespräch mit Patriarch Kyrill. Im ersten Teil las er mir eine Erklärung vor, in der er Gründe zur Rechtfertigung des Krieges anführte. Als er geendet hatte, mischte ich mich ein und sagte ihm: »Bruder, wir sind keine Staatskleriker, wir sind Hirten des Volkes.« Ich sollte ihn am 14. Juni in Jerusalem treffen, um über unsere Angelegenheiten zu sprechen. Aber wegen des Krieges haben wir in gegenseitigem Einvernehmen beschlossen, das Treffen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, damit unser Dialog nicht missverstanden wird. Ich hoffe, ihn auf einer Generalversammlung im September in Kasachstan zu treffen. Ich hoffe, dass ich ihn begrüßen und ein wenig mit ihm als Seelsorger sprechen kann.

Welche Zeichen der geistlichen Erneuerung sehen Sie in der Kirche? Sehen Sie welche? Gibt es Anzeichen für neues, frisches Leben?

Es ist sehr schwierig, die geistige Erneuerung in stark veralteten Mustern zu sehen. Wir müssen unsere Art, die Realität zu sehen und zu bewerten, erneuern. In der europäischen Kirche sehe ich mehr Erneuerung in den spontan entstehenden Dingen: Bewegungen, Gruppen, neue Bischöfe, die sich daran erinnern, dass ein Konzil hinter ihnen steht. Denn das Konzil, an das sich manche Hirten am besten erinnern, ist das Konzil von Trient. Und was ich sage, ist kein Unsinn.

Die Restauration ist gekommen, um das Konzil zu knebeln. Die Zahl der Gruppen von »Restauratoren«, von denen es zum Beispiel in den Vereinigten Staaten viele gibt, ist überwältigend. Ein argentinischer Bischof erzählte mir, dass er gebeten worden war, eine Diözese zu verwalten, die in die Hände dieser »Restauratoren« gefallen war. Sie hatten das Konzil nie akzeptiert.

Es gibt Ideen und Verhaltensweisen, die von einer Restauration herrühren, die das Konzil grundsätzlich nicht akzeptiert hat. Das Problem ist nämlich, dass das Konzil in einigen Bereichen noch nicht akzeptiert wurde. Es ist auch wahr, dass es ein Jahrhundert dauert, bis ein Konzil Wurzeln schlägt. Wir haben also noch vierzig Jahre Zeit, um es zu etablieren!

Zeichen der Erneuerung sind auch die Gruppen, die der Kirche durch soziale oder seelsorgliche Betreuung ein neues Gesicht geben. Die Franzosen sind in dieser Hinsicht sehr kreativ.

Einige von Euch waren noch nicht geboren, aber ich war 1974 Zeuge des Leidenswegs von P. General Pedro Arrupe in der
XXXII. Generalkongregation der Jesuiten. Damals gab es eine konservative Reaktion, um die prophetische Stimme von Arrupe zu blockieren! Für uns ist dieser General heute ein Heiliger, aber er musste viele Angriffe über sich ergehen lassen. Er war mutig, weil er den Schritt gewagt hat. Arrupe war ein Mann von großem Gehorsam gegenüber dem Papst. Ein großer Gehorsam. Und
Paul VI. hat dies verstanden. Die beste Rede, die je von einem Papst für die Gesellschaft Jesu gehalten wurde, ist diejenige, die Paul VI. am 3. Dezember 1974 hielt. Und er schrieb sie mit der Hand. Es gibt die Originale. Der Prophet Paul VI. hatte die Freiheit, sie zu schreiben. Andererseits fütterten Leute, die mit der Kurie verbunden waren, irgendwie eine Gruppe spanischer Jesuiten, die sich als die wahren »Orthodoxen« betrachteten und gegen Arrupe waren. Paul VI. hat sich nie auf dieses Spiel eingelassen. Arrupe besaß die Fähigkeit, den Willen Gottes zu erkennen, verbunden mit einer kindlichen Einfachheit in seiner Anhänglichkeit an den Papst. Ich erinnere mich, dass er eines Tages, als wir in einer kleinen Gruppe Kaffee tranken, an uns vorbeiging und sagte: »Gehen wir, gehen wir! Der Papst wird gleich vorbeikommen, lasst uns ihn grüßen.« Er war wie ein Junge! Mit dieser spontanen Liebe!

Ein Jesuit aus der Loyola-Provinz war besonders aggressiv gegen P. Arrupe vorgegangen, wie wir uns erinnern. Er wurde an verschiedene Orte und sogar nach Argentinien geschickt und machte immer Ärger. Er sagte mir einmal: »Du bist einer, der nichts versteht. Aber die wahren Schuldigen sind P. Arrupe und P. Calvez. Der glücklichste Tag meines Lebens wird der sein, an dem ich sie am Galgen auf dem Petersplatz hängen sehe«. Warum erzähle ich euch diese Geschichte? Damit ihr versteht, wie die nachkonziliare Zeit aussah. Und das ist wieder der Fall, vor allem bei den Traditionalisten. Deshalb ist es wichtig, diese Persönlichkeiten zu retten, die das Konzil und die Treue zum Papst verteidigt haben. Wir müssen zu Arrupe zurückkehren: Er ist ein Licht aus dieser Zeit, das uns allen leuchtet. Und er war es, der die Exerzitien als Quelle wiederentdeckte, indem er sich von den starren Formulierungen der Epitome Instituti 2 befreite, die Ausdruck eines geschlossenen, starren Denkens waren, mehr belehrend-asketisch als mystisch.

In unserem Europa wie auch in meinem Schweden kann man nicht von einer starken religiösen Tradition sprechen. Wie kann man in einer Kultur evangelisieren, die keine religiöse Tradition hat?

Es ist nicht leicht für mich, diese Frage zu beantworten. Ich habe mich mit Vertretern der Schwedischen Akademie getroffen, die für die Vergabe des Literaturnobelpreises zuständig ist. Sie brachten mir als Geschenk ein Bild des heiligen Ignatius mit, das sie in einem Antiquitätengeschäft gekauft hatten. Es ist ein Gemälde aus dem 18. Jahrhundert. Ich dachte: »Eine Gruppe von Schweden bringt mir den heiligen Ignatius. Er wird ihnen helfen!« Ich weiß nicht, wie ich diese Frage beantworten soll, um ehrlich zu sein. Denn nur wer dort lebt, in diesem Kontext, kann die richtigen Wege verstehen und entdecken. Ich möchte jedoch auf einen Mann hinweisen, der ein Vorbild an Orientierung ist: Kardinal Anders Arborelius von Stockholm. Er hat keine Angst vor irgendetwas. Er redet mit allen und stellt sich nicht gegen jemanden. Er strebt immer nach dem Positiven. Ich glaube, dass eine Person wie er den richtigen Weg aufzeigen kann.

In Deutschland haben wir einen Synodalen Weg, den manche für ketzerisch halten, der aber tatsächlich sehr nah an der Realität ist. Viele verlassen die Kirche, weil sie ihr nicht mehr vertrauen. Ein besonderer Fall ist die Erzdiözese Köln. Was meinen Sie dazu?

Dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Msgr. Bätzing, sagte ich: »Es gibt eine sehr gute evangelische Kirche in Deutschland. Wir brauchen nicht zwei von ihnen« (lacht). Problematisch wird es, wenn der Synodale Weg von den intellektuellen, theologischen Eliten ausgeht und sehr stark von äußeren Zwängen beeinflusst wird. Es gibt einige Diözesen, in denen der Synodale Weg mit den Gläubigen, mit dem Volk, langsam beschritten wird.

Ich wollte einen Brief über Ihren Synodenweg schreiben. Ich habe ihn selbst geschrieben, und ich habe einen Monat gebraucht, um ihn zu schreiben. Ich wollte die Kurie nicht einbeziehen. Ich habe es selbst gemacht. Das Original ist spanisch, die deutsche Version ist eine Übersetzung. Dort habe ich geschrieben, was ich denke.

Dann die Frage nach der Kölner Erzdiözese. Als die Situation sehr turbulent war, bat ich den Erzbischof, für sechs Monate wegzugehen, damit sich die Dinge beruhigten und ich klarer sehen konnte. Denn wenn das Wasser aufgewühlt ist, kann man nicht gut sehen. Als er zurückkam, bat ich ihn, ein Rücktrittsgesuch zu verfassen. Er tat dies und gab es mir. Und er schrieb einen Entschuldigungsbrief an die Diözese. Ich habe ihn an seinem Platz gelassen, um zu sehen, was passieren würde, aber ich habe sein Rücktrittsgesuch in der Hand.

Was geschieht, ist, dass es gibt viele Gruppen gibt, die Druck machen, aber unter Druck ist es nicht möglich, zu unterscheiden. Dann gibt es ein wirtschaftliches Problem, für das ich eine finanzielle Visitation in Erwägung ziehe. Ich warte, bis es keinen Druck mehr gibt, um zu unterscheiden. Die Tatsache, dass es unterschiedliche Standpunkte gibt, ist in Ordnung. Das Problem ist, wenn Druck entsteht. Das hilft aber nicht. Ich glaube aber nicht, dass Köln die einzige Diözese in der Welt ist, in der es Konflikte gibt. Und ich behandle sie wie jede andere Diözese in der Welt, die Konflikte erlebt. Mir fällt eine ein, die den Konflikt noch nicht beendet hat: Arecibo in Puerto Rico, und das schon seit Jahren. Es gibt viele solche Diözesen.

Heiliger Vater, wir sind ein digitales Magazin, und wir sprechen auch junge Menschen an, die am Rande der Kirche stehen. Junge Menschen wollen schnelle und unmittelbare Meinungen und Informationen. Wie können wir sie in den Prozess der Unterscheidung einführen?

Man darf nicht stillstehen. Bei der Arbeit mit jungen Menschen müssen wir immer eine bewegende Perspektive einnehmen, nicht eine statische. Wir müssen den Herrn um die Gnade und Weisheit bitten, uns zu helfen, die richtigen Schritte zu tun. Zu meiner Zeit bestand die Jugendarbeit aus Studientreffen. Jetzt funktioniert es nicht mehr so. Wir müssen sie mit konkreten Idealen, Werken und Wegen voranbringen. Junge Menschen finden ihre Daseinsberechtigung auf ihrem Weg, niemals statisch. Einige Ältere zögern vielleicht, weil sie junge Menschen ohne Glauben sehen, und sie meinen, diese stünden nicht in der Gnade Gottes. Aber lasst Gott sich darum kümmern! Eure Aufgabe ist es, sie auf den Weg zu bringen. Ich denke, das ist das Beste, was wir tun können.

Gut! Verzeiht, wenn ich zu weit ausgeholt habe, aber ich wollte die Themen der Nachkonzilszeit und Arrupe hervorheben, denn das aktuelle Problem der Kirche ist gerade die Nichtannahme des Konzils.

Das Treffen endete mit einem Gruppenfoto. Der Papst begrüßte die Teilnehmenden erneut einzeln und überreichte allen Rosenkränze und Bücher in ihren Sprachen.

Fußnoten

1 An der Sitzung nahm auch P. François Euvé, Direktor von »Études« (Frankreich), teil, der nicht rechtzeitig zur Audienz in Rom sein konnte. Abwesend waren in diesem Jahr Dermot Roantree, Leiter der irischen Zeitschrift (Studies) und Irene Koutelkai, Leiterin der griechischen Zeitschrift »Anoichtoi Horizontes«.

2 Hier bezieht sich der Papst auf eine Art praktische Zusammenfassung, die in der Gesellschaft Jesu verwendet, im 20. Jahrhundert formuliert wurde und als Ersatz für die Konstitutionen angesehen wurde. Die Ausbildung der Jesuiten bezüglich der Gesellschaft war eine Zeit lang so sehr von diesem Text geprägt, dass einige von ihnen die Konstitutionen, die den Gründungstext darstellen, nie gelesen haben. Für den Papst bestand in dieser Zeit die Gefahr, dass die Regeln den Geist der Gesellschaft erstickten.

(Der Abdruck des Textes in deutscher Übersetzung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von »Stimmen der Zeit«.)