Gedanken zum Sonntag - 19. Juni: 12. Sonntag im Jahreskreis

Unvertretbar

 Unvertretbar  TED-024
17. Juni 2022

Im Evangelium vernehmen wir die Frage Jesu an seine Jünger: »Für wen halten mich die Leute?« Dabei geht es um kein »Heiteres Beruferaten«! Jesus fragt sogar noch weiter: »Ihr aber, für wen haltet ihr mich?«

Fragen sind ein Geschenk im menschlichen Leben. Kinder entdecken im unermüdlichen Fragen und Nachhaken die Welt um sich herum. Echte Fragen (keine Schein-, Fang- oder rhetorische Fragen) stehen für Beziehung, Zuwendung, Interesse, Herausforderung, ja Befreiung. Sie können für uns zu Türen werden, die sich öffnen und den Blick frei geben auf einen weiten Horizont.

Nach dem österlichen Jubel der vergangenen Wochen sind wir wieder in den Alltag und die »Zeit im Jahreskreis« eingetreten. Wir halten inne und lassen uns die Frage vorlegen, wer der eigentlich ist, dem wir auf dem Weg durch dieses Kirchenjahr folgen wollen.

Die Tragfähigkeit unseres christlichen Glaubens beruht nicht primär auf allgemeinen (Lehr-)Sätzen, die wir mehr oder weniger verinnerlicht haben. Es ist eher die nüchterne Rechenschaft – gerade auch vor uns selbst – über unsere ganz persönliche Chris-tus-Beziehung, die fundamental für unseren Glauben ist. Jesu Frage »Für wen haltet ihr mich?« macht deutlich, was Menschsein aus christlicher Perspektive bedeutet, worin seine Größe besteht und was es kos-tet. Wie von den Jüngern damals erwartet Jesus auch von uns keine Katechismus-Weisheiten, keine erlernten Formeln als Antwort auf seine Frage. Er möchte vielmehr unser Vertrauen, unser Festhalten an ihm, unsere Teilnahme an seinem Leben in dem erkennen, was wir denken, reden und tun im konkreten Alltag – in Familie, Schule, Beruf, Freizeit. Niemand kann uns bei der gelebten Antwort auf die Frage Jesu vertreten. Sie unterstreicht unsere Einzigartigkeit, unsere Freiheit und Eigenverantwortung. Dies tritt besonders deutlich im Angesicht des Kreuzes hervor, das zum Leben eines jeden Jüngers Jesu gehört. Auch hier trifft uns der fragende Blick Jesu. Wir können ihm nicht ausweichen oder uns hinter anderen verstecken. Wir sind unvertretbar vor Gott, müssen uns ihm, seinem Anspruch und seiner Frage stellen: »Wer bin ich für Dich?« – Im durchgehaltenen Blickkontakt mit Christus erleben wir, wie wir Tag für Tag in unsere ganz persönliche Antwort hineinwachsen.

Sr. Manuela Scheiba OSB, Dozentin am Monastischen Institut der Benediktinerhochschule S. Anselmo in Rom