Sehr geehrte Damen und Herren!
Herzlich heiße ich Sie willkommen, die Rektoren von 13 öffentlichen – staatlichen und nicht-staatlichen – Hochschulen Roms und Latiums, die mit den Vertretern der Region im Regionalen Koordinierungsausschuss der Universitäten Latiums vereint sind. Ich begrüße den Vorsitzenden, Prof. Stefano Ubertini, Rektor der »Università della Tuscia« und danke ihm für die freundlichen Worte der Präsentation.
Den Universitäten ist in diesem besonderen historischen Augenblick eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe übertragen. Die Jahre der Pandemie, die Ausbreitung des »dritten Weltkriegs« in Europa, der stückweise begonnen hat und von dem es jetzt scheint, dass er nicht mehr nur stückweise geführt wird, die globale Umweltfrage, die zunehmenden Ungleichheiten fordern uns in bisher unbekannter und beschleunigter Art und Weise heraus. Eine Herausforderung, die starke kulturelle, intellektuelle und moralische Implikationen hat. Dieses Szenarium liegt vor den jungen Generationen, und es besteht die Gefahr, dass dies eine Atmosphäre der Entmutigung zur Folge hat, der Orientierungslosigkeit, des Vertrauensverlustes und schlimmer noch: der Gewöhnung. Wir müssen uns die Wahrheit eingestehen: Wir befinden uns in einer Krise. Und die Krise ist nichts Schlimmes, sie ist nichts Schlechtes: Die Krise ist gut, denn die Krise lässt uns wachsen, sie führt uns zu Entscheidungen, um zu wachsen. Die Gefahr ist dann gegeben, wenn sich die Krise in einen Konflikt verwandelt: der Konflikt ist abgeschottet und er zerstört. Aber wir müssen lernen, in der Krise zu leben, wie jetzt, und die jungen Menschen weiterzubringen, die an unseren Universitäten sind, indem wir sie lehren, in der Krise zu leben und die Krisen zu überwinden. Das gehört zum Schönsten, was man tun kann: wie man die Krise leben kann und die Krise überwinden kann, damit sie sich nicht in einen Konflikt verwandelt.
Die jungen Menschen widersetzen sich [der beschriebenen Atmosphäre] und erinnern uns an unsere Verantwortung. Genau dies ist der Moment für eine große Investition auf dem Gebiet der Bildung. Deshalb wird der »Global Compact on Education« entwickelt, das heißt ein Projekt gemeinsamer Arbeit auf globaler Ebene, das zahlreiche Ansprechpartner einbezieht, von den großen Religionen über internationale Institutionen bis hin zu den einzelnen Bildungseinrichtungen. Als wir in diesem Geist am 4. Februar 2019 in Abu Dhabi das Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen unterzeichnet haben, sind wir in Folgendem übereingekommen: »Uns liegt eine ganzheitliche Bildung am Herzen, die darin besteht, sich selbst, den eigenen Bruder und die eigene Schwester, die Schöpfung und das Transzendente zu kennen.«
Das ist konkret der Horizont des Friedens: eine menschliche und universale akademische Bildung im Hinblick auf das Konkrete. Zuweilen setzen einige Universitäten – ich denke an einige, die ich kennengelernt habe – das akademische Erbe der Aufklärung fort, das darin besteht, die Köpfe mit Ideen zu füllen, »makrozephale Personen« hervorzubringen, und das hilft nicht. Man muss mit der Sprache des Verstandes, des Herzens und der Hände ausbilden, und so wächst man in der Gesellschaft. Das ist konkret der Horizont des Friedens, den wir heute zu Recht einfordern und für den wir inständig beten, und das heißt der Horizont des wahren, ganzheitlichen Fortschritts, den man nur mit einem kritischen Bewusstsein, Freiheit, mit einem gesunden Austausch und Dialog aufbauen kann. Und diese vier Dinge kann man nicht ohne Freiheit tun. Wir rühren hier an die Grundlage der Idee von der Universität und der Rolle, die diese Institution unbedingt haben muss, über Barrieren und Grenzen hinweg.
In der Tat gibt es sicherlich viel zu tun, um den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt sicherzustellen, aber auch um dessen menschliche Nachhaltigkeit zu garantieren. Die weitreichenden Veränderungen machen es erforderlich, dass wir unsere Wirtschafts-, Kultur- und Gesellschaftsmodelle überdenken, um den zentralen Wert der menschlichen Person zurückzugewinnen.1 Und »der Begriff der Universität an sich verweist auf eine Gemeinschaft, aber auch auf eine Idee der Konvergenz von Wissen, in einer Forschung, die dem Dialog zwischen allen Männern und Frauen der Welt Wahrheit und Sinn verleiht«2.
Daher ist der Dienst, den die Universität leisten kann, wirklich wichtig; den Sie und die von Ihnen vertretenen Hochschulen leis-ten können, jede mit den ihr eigenen Charakteristika, um unsere Entwicklungsmodelle zu überdenken und anzupassen, indem wir die besten intellektuellen und moralischen Energien zusammenbringen. Die Studenten geben sich nicht mit Mittelmäßigkeit zufrieden – sie nützen sie aus, aber sie geben sich nicht damit zufrieden. Sie sind weder zufrieden mit dem bloßen Wiederholen von Daten und Fakten noch mit einer Berufsausbildung ohne einen Horizont. Das zeigt zum Beispiel der Einsatz vieler junger Doktoranden und Wissenschaftler im Bereich der Ökonomie, die von Professoren Ihrer Universitäten koordiniert werden, gerade mit dem Ziel, neue, effiziente Antworten zu finden und dabei alte Verkrustungen zu überwinden, die mit der sterilen Kultur des Konkurrenzkampfs verbunden sind.
Es soll Ihnen nie an dem Bemühen fehlen, zuzuhören: den Studentinnen und Studenten, den Kollegen und Kolleginnen – diese Atmosphäre des Dialogs, das soll nicht fehlen –, und auch auf die soziale und institutionelle Realität zu hören, lokal und global, denn die Universität hat keine Grenzen. Das Wissen, die Forschung, der Dialog, der Austausch können jede Barriere überwinden und geschehen immer »auf allen Gebieten«3. Bitte, es soll Ihnen nicht am Mut zur Phantasie und zu Investitionen fehlen im Hinblick auf einen menschlichen Fortschritt in der Forschung, um junge Menschen auszubilden, die in der Lage sind, in die Welt der Arbeit und der Gesellschaft etwas Neues einzubringen; und sie auch zur Achtung heranbilden: Selbstachtung, Achtung des Nächsten, Achtung der Schöpfung und Achtung gegenüber dem Schöpfer.
Bei der Förderung der Exzellenz von Studium und Forschung bitte ich Sie, darauf zu achten, dass all jene, die es verdient haben und über keine Mittel verfügen, ihr Recht auf Studium und Ausbildung umfassend wahrnehmen können. Und ebenso darauf, den lobenswerten Einsatz fortzusetzen, Studenten, Wissenschaftler und Professoren aufzunehmen, die in verschiedenen Ländern der Welt Opfer von Verfolgung, Krieg und Diskriminierung geworden sind. Mögen Sie viele der zukünftigen Akademiker zu Formen des Service Learning im Dienst der Gemeinschaft anregen, damit sich mit der Armut und den exis-tentiellen und gesellschaftlichen Randgebieten auseinandersetzen und so ihrer Universitätsausbildung zusätzlichen Sinn und Wert geben: eine nie vom Leben, nie von den Menschen, nie von der Gesellschaft getrennte Ausbildung.
Damit kommen wir zurück auf die Intention, die der Institution »Universität« zu eigen ist, im einmütigen Einsatz von Didaktik, Forschung, Dialog und Auseinandersetzung mit der Gesellschaft. Ich wünsche, dass Ihre Gemeinschaften lebendig sein mögen, transparent, aktiv, einladend, verantwortungsbewusst, in einem fruchtbaren Klima der Zusammenarbeit, des Austauschs und des Dialogs, in dem jeder Einzelne wertgeschätzt wird.
Mögen Sie diesen Epochenwechsel mit Reflexion und Unterscheidungsvermögen zu deuten wissen und sich mit ihm auseinandersetzen ohne ideologische Vorurteile, ohne Ängste oder Ausweichmanöver oder Konformismus, was noch schlimmer wäre. Und in diesem Zusammenhang lege ich Ihnen ans Herz, sich vor Ideologien zu hüten. Ideologien zerstören, weil sie uns nur einen Weg sehen lassen und das universale Panorama verschließen. Ideologien zerstören die Menschlichkeit eines Menschen, sie nehmen ihm sein Herz, sie nehmen ihm seine poetische Fähigkeit, seine Kreativität. Heute gibt es so viele davon: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in diese ideologischen Haltungen verfallen, die zerstörerisch sind, die so viel Schaden anrichten. Auch in der Kirche gibt es sie manchmal, so viele Ideologien, die nicht guttun.
Nur noch wenige Jahre trennen uns vom kommenden Heiligen Jahr 2025. Erinnern wir uns daran, dass gerade einmal drei Jahre nach dem ersten Heilig-Jahr-Jubiläum im Jahr 1300 das Studium Urbis gegründet wurde, gleichsam um die originäre Beziehung zwischen der Kirche und der Institution der Universität in der Praxis zu zeigen und zu bekräftigen, der Universität als einer der ältesten und paradigmatischsten Ausdrucksformen der europäischen Zivilisation, die sich von hier aus dann in der Welt entwickelt hat. Wir sind aufgerufen, diese alte, gefestigte Beziehung bei gleichzeitiger Unterscheidung und Zusammenarbeit zu entwickeln, mit dem Ziel des verantwortungsvollen und nachhaltigen Aufbaus von Wegen des Fortschritts.
Das Motto des kommenden Jubiläums 2025, »Pilger der Hoffnung«, kann dieses konvergente Engagement zum Ausdruck bringen, das Ausgerichtetsein auf gemeinsame Ziele des Lebens, des Guten und der Geschwisterlichkeit. Dies ist mein Wunsch und mein Dank an den Regionalen Koordinierungsausschuss der Universitäten Latiums. Ich begleite Sie mit meinem Segen und mit meinem Gebet. Und vergessen auch Sie nicht, für mich zu beten. Und wenn jemand von Ihnen nicht betet, weil er es nicht kann, nicht weiß oder sich nicht danach fühlt, dann schicken Sie mir wenigstens gute Wellen, denn ich brauche es! Danke.
Fußnoten
1 Ansprache an die Universität »Roma Tre«, 17. Februar 2017.
2 Ansprache an die Professoren und Studenten der »Libera Università Maria Santissima Assunta«, 14. November 2019.
3 Vgl. Apostolische Konstitution Veritatis gaudium, Einleitung.
(Orig. ital. in O.R. 16.5.2022)