Rund 160 Kinder mit verschiedenen kognitiven oder physischen Behinderungen konnten am 4. Juni im Damasushof des Apostolischen Palastes dem Papst begegnen und ihm einige Fragen stellen. Auch eine Gruppe geflüchteter Kinder aus der Ukraine war bei dem Treffen dabei. Der sogenannte »Zug der Kinder« ist eine Initiative des »Vorhofs der Völker«, getragen vom Dikasterium für die Kultur und das Bildungswesen, die zum achten Mal stattfand. Die Initiative beschränkt sich nicht auf die Reise mit dem Zug, der am Vatikanbahnhof ankommt, und einem Treffen mit dem Papst, sondern besteht aus einem pädagogischen Weg, der das ganze Jahr über mit vorbereitenden Aktivitäten und Momenten der Begegnung und des Austauschs fortgesetzt wird.
Ein Junge: Papst Franziskus, ich heiße Mattia Mordente und ich möchte dir eine Frage stellen. Ich weiß, dass du viele Länder im Ausland besucht hast, vor allem arme Länder, um mit den Staatsoberhäuptern zu sprechen und auch um für diese Länder zu beten, damit sie besser werden. Aber welches Land war deiner Meinung nach das Land, das du besucht hast und das sich dank deines Besuchs am meisten verbessert hat?
Papst Franziskus: Ich will dir etwas sagen: Jedes Land hat seine Besonderheiten, und ich frage mich, was ist die reichste Besonderheit eines Landes. Und weißt du, was die größte, reichste Besonderheit eines Landes ist? Die Menschen. Menschen sind immer Menschen, das heißt in gewisser Hinsicht sind sie immer gleich, aber jede Person ist anders, unterschiedlich, sie hat ihren eigenen Reichtum, und was mich beeindruckt, das ist zu sehen, wie die verschiedenen Völker reich sind durch einen für dieses Land besonderen Reichtum. Auch hier, bei euch: Jeder von euch hat einen eigenen Reichtum, den Reichtum der eigenen Seele. Denn das Herz eines jeden von uns, die Seele eines jeden von uns ist nicht wie die andere, nein! Es gibt keine gleichen Herzen, keine gleichen Seelen, jeder von uns hat seinen eigenen Reichtum. Und das gilt auch für die Länder. In den Ländern, die ich besucht habe, habe ich immer eigene, spezielle Reichtümer gesehen, in diesem Land das, etwas anderes in einem anderen Land… Das ist die Schönheit der Schöpfung. Und wir müssen sie in einem jeden von uns sehen. Wenn wir lernen, die Menschen mit dem Herzen zu sehen, mit dem Herzen zu schauen, mit dem Herzen zu spüren, mit dem Herzen zu denken, dann werden wir diesen Reichtum jedes Menschen finden, von denen jeder anders ist, immer wunderschön und unterschiedlich. Verstanden?
Der Junge: Ok, ja.
Papst Franziskus: Weiter so, du bist ein guter Junge!
Ein Junge: Ich heiße Edgar Murario, ein Junge und Zwillingsbruder von einem anderen Jungen, der auch hier ist. Ich habe Ihnen nicht so viel zu sagen, aber nur eine Frage möchte ich stellen: Wie fühlt man sich, wenn man Papst ist?
Papst Franziskus: Das Wichtige in jedem Beruf, in den dich das Leben stellen mag, ist, dass du nicht aufhörst, du zu sein, mit deiner eigenen Persönlichkeit. Wenn jemand, um einen Posten zu haben oder weil das Leben ihn auf jenen Posten gestellt hat, die Persönlichkeit ändert, dann ist es eine künstliche Person, und dann verliert man sich. Man muss die Dinge immer so empfinden, wie sie kommen, authentisch: nie, niemals die Empfindungen maskieren. Also, wie fühle ich mich als Papst? Als eine Person, wie jeder von euch im eigenen Beruf, in der eigenen Arbeit. Denn auch ich bin ein Mensch wie ihr, und wenn ich diesen Beruf habe, muss ich versuchen, ihn auf die demütigste und am meisten meiner Persönlichkeit entsprechende Art und Weise zu tun, ohne danach zu streben, Dinge zu tun, die dem, was ich bin, fremd sind. Ich frage dich zum Beispiel: »Wie fühlst du dich, oder dein Zwillingsbruder, wie fühlst du dich?« – »Ich fühle mich so.« Das ist wichtig und man darf es nicht verlieren. Auch wenn jemand wächst und sich dann in diesem Amt wiederfindet, mit dieser Arbeit oder einer anderen, dann darf man nicht vergessen, dass du diese Person bist, und dieses Gefühl darf man nicht verlieren.
Als Antwort auf deine Frage: Wie fühle ich mich mit diesem Amt, diesem Dienst als Papst? Ich versuche, ich selbst zu sein, keine künstlichen Positionen einzunehmen. Ich weiß nicht, ob dir das hilft.
Der Junge: Ok. Danke.
Ein Mädchen: Guten Tag, Heiliger Vater. Ich heiße Nicole Malizia und möchte Ihnen eine Frage stellen. Ich möchte wissen: Welche Verantwortung spürt man, wenn man Papst ist oder zumindest die wichtigste Person der Welt?
Papst Franziskus: Verantwortung zu spüren ist etwas, das wir alle spüren müssen, jeder von uns. Jeder von uns hat seine eigene Persönlichkeit und auch seine eigene Verantwortung. Du lernst jetzt, du hast die Verantwortung zu lernen, die einer Schülerin. Du hast auch die Verantwortung, bestimmte Dinge zur Familie beizutragen. Wenn wir daran denken, dass jeder von uns seine eigene Verantwortung hat, dann denken wir daran, dass unser Leben nicht für uns selbst ist, sondern für die anderen und auch für den Dienst an den anderen, um den anderen nahe zu sein. Jetzt kommt deine Frage: Wie fühle ich mich? Es stimmt, dass es eine Verantwortung ist, die zuweilen ein wenig schwer ist, weil sie dir Angst macht. Aber ich bemühe mich, sie auf die natürlichste Weise zu spüren: Wenn der Herr mir dies aufgetragen hat, dann deshalb, weil er mir die Kraft geben wird, keine Fehler zu machen, aufpassen, keine Fehler zu machen. Ich spüre meine Verantwortung als einen Dienst, wie du deine spüren wirst, als Dienst an den andern, an deiner Familie, und wenn du heiraten wirst, an deiner eigenen Familie, an allen. Dienst: die Verantwortung, den anderen zu dienen, den anderen zu helfen; nicht über den anderen stehen, wie jemand, der befiehlt, nein, nein. Wie einer von den anderen, der, wenn er das Amt des Befehlens hat, es tut, wie jeder von uns. Hast du verstanden?
Das Mädchen: Ja. Ich danke Ihnen sehr.
Papst Franziskus: Ich danke dir.
Ein Mädchen: Guten Tag. Ich bin Caterina Lastorza. Ich möchte Sie fragen: Ist es mühsam, Papst zu sein?
Papst Franziskus: Im Leben gibt es immer mühevolle Augenblicke. Jeder Beruf, jede Arbeit, die wir übernehmen, hat immer einen mühsamen Teil. Es ist mühsam zu lernen, zum Beispiel, man müht sich ab, diese Aufgabe zu erfüllen, jene, jenen Dienst… Und auch der Papst hat seine eigenen Mühen, nicht wahr? Der Weg, die Mühen zu tragen, muss ein normaler Weg sein, wie jeder Mensch: Jeder von uns trägt die eigenen Mühen, und die Mühen soll man lösen auf menschliche Weise, auf normale Weise. Aber wenn du mich fragst: Ist es sehr viel mühsamer als die Arbeit eines Vaters oder einer Mutter? Nein, nein. Gott gibt jedem von uns die Kraft, um die eigenen Mühen zu tragen, und das ist nicht etwas mehr… Aber man muss es ehrlich, aufrichtig tun und mit der Arbeit, wie Papa und Mama ihre Arbeit als Papa und Mama voranbringen. Hast du verstanden?
Das Mädchen: Ja, vielen Dank.
Ein anderes Kind: Hallo, ich heiße David Murario und möchte Sie nur eines fragen: Wie fühlt man sich, wenn man so viel mit dem Schöpfer der Erde, das heißt mit Gott, in Kontakt ist?
Papst Franziskus: Das ist etwas Schönes, was du da fragst, weißt du? Denn im Leben besteht die Gefahr, dass man Gott vergisst und nicht in Kontakt ist. »Nein, ich komme selbst zurecht und tue die Dinge…« Ah, dieser Weg ist gefährlich! Immer, ein oder zweimal am Tag, muss man daran denken, dass der Herr mit uns ist, dass der Herr uns begleitet, dass der Herr auf uns schaut. Und zu spüren, dass der Herr auf uns blickt, das ist wichtig, um voranzugehen und die eigene Arbeit aufrichtig und mit Kraft zu tun. Der Herr blickt auch auf dich, er blickt auf dich und auf dein Brüderchen. Der Herr ist einem jeden von uns nahe und schaut auf uns, und mit diesem Spüren, dass der Herr uns nahe ist, können wir gut vorangehen. Aber das Schlimme ist, wenn wir nicht spüren wollen, dass der Herr uns nahe ist, und wir lieber dies oder jenes in unserer Nähe spüren wollen und den Herrn auf Distanz halten. Nein. Das Geheimnis ist, zu spüren, dass der Herr nahe ist. Und das begleitet dich dein ganzes Leben lang.
Der Junge: Ok, danke. Und ich wollte noch etwas anderes fragen. Wenn Sie Kinder sehen, die Probleme haben, mit Behinderungen der Sinne, was fühlen Sie? Gehen Sie zu ihnen, um ihnen zu helfen und ihnen einen Rat zu geben, oder gehen Sie Ihren Weg weiter?
Papst Franziskus: Wenn wir einen Menschen ansehen, dann dürfen wir uns niemals für besser halten als jener Mensch. Wenn ich dich zum Beispiel ansehe und daran denke, welchen Rat ich dir geben muss, dann ist das nicht gut. Zuerst muss ich dir zuhören, zuerst dich anhören und dann sagen, was aus dem Herzen kommt. Ich habe dich in der Nähe deines kleinen Bruders gesehen, deines Zwillingsbruders. Ich habe dich beobachtet und gesehen, wie du dich dort verhalten hast, und mir kam in den Sinn: »Das ist ein tüchtiger Junge. Welchen Rat sollte ich einem tüchtigen Jungen geben? Sei demütig und danke Gott, der dir diese Kraft und diese Tüchtigkeit gegeben hat.«
Und wenn ich Kinder sehe, wie du sagst, die irgendeine Einschränkung haben, eine Behinderung, dann denke ich, dass der Herr ihnen andere Dinge gegeben hat, andere schöne Dinge. Etwas, das mein Herz berührt, das gestehe ich dir, das ist, wenn ich blinden Menschen begegne. Sehr, sehr oft sagen sie mir: »Darf ich Sie ansehen?« Am Anfang habe ich das nicht verstanden, aber dann habe ich Ja gesagt. Und sie haben mit den Händen mein Gesicht berührt und mich »angesehen«. Was erkenne ich dort? Die Kreativität: Ein Mensch, der eine Einschränkung hat, findet immer die Kraft, über die Einschränkung hinauszugehen und das ist Kreativität, eine Fähigkeit, kreativ zu sein, die eine Herausforderung für jenen Jungen, für jenes Mädchen ist, das diese Einschränkung hat. Und das muss man loben. Und du, der du keine Einschränkungen hast, versuch auch du, kreativ zu sein: Gewöhne dich nicht daran, die Dinge so zu tun, nein, versuche kreativ zu sein, denn die Kreativität ist das, was uns Gott ähnlich macht. Verstanden?
Der Junge: Ja, danke.
Ein Kind aus der Ukraine sagt in seiner Muttersprache: Ich heiße Sachar und komme aus der Ukraine. Ich habe keine Frage, sondern eher eine Bitte: Können Sie in die Ukraine kommen und alle Kinder retten, die jetzt dort leiden?
Papst Franziskus grüßt zunächst auf ukrainisch und sagt dann auf italienisch: Ich freue mich, dass du hier bist. Ich denke sehr viel an die Kinder in der Ukraine, und deshalb habe ich einige Kardinäle dorthin gesandt, damit sie helfen und allen Menschen, den Kindern, nahe sind. Ich würde gerne in die Ukraine kommen, ich muss nur auf den Augenblick warten, um es zu tun, weißt du? Denn es ist nicht leicht, eine Entscheidung zu treffen, die der Welt mehr schaden kann, als Gutes zu bewirken. Ich muss den richtigen Moment finden, um es zu tun. Nächste Woche werde ich Vertreter der ukrainischen Regierung empfangen, die zum Gespräch kommen, auch um über einen eventuellen Besuch von mir zu sprechen. Wir werden sehen, was geschieht.
Das Kind: Danke.
Ein anderes Kind: Papst Franziskus, ich möchte dich zwei Dinge fragen: Du bist ein Fußballfan, du hast vier Geschwister. Dein Vater war ein Eisenbahner und deine Mutter eine Hausfrau. Ich möchte dich etwas fragen, und etwas anderes: Wie war dein Leben? Wie hast du gelebt? Glücklich?
Papst Franziskus: Gut. Du hast vom Papa gesprochen, von Mama: Papa hat gearbeitet, Mama war Hausfrau, wir sind fünf Geschwister. Und dann, als wir Kinder waren, sind wir alle zusammen, mit Mama und Papa, ins Stadion gegangen, sonntags, um das Spiel anzuschauen, weil wir Fußball mochten, sehr sogar. Ich habe Fußball gespielt, aber weißt du, ich war nicht sehr gut, und meine Kameraden haben mich »pata dura« genannt, das heißt »steifes Bein«, weil ich es nicht gut konnte. Und deshalb haben sie mich aufgefordert, Torwart zu sein, weil ich mich dann nicht bewegen musste, und als Torwart ging es ganz gut, mehr oder weniger. Das war meine Beziehung zum Sport in der Familie. Meine Geschwister sind alle tot, außer der letzten, die noch lebt. Ich bin der Älteste und die Jüngste lebt noch. Das sind schöne Erinnerungen an die Familie.
Das Kind: Heiliger Vater, bete für mich, für die kranken Kinder.
Papst Franziskus: Das ist schön, was du… Wie heißt du?
Das Kind: Ludovica.
Papst Franziskus: Was Ludovica gesagt hat, ist wunderschön. »Bete für mich.« Das ist etwas, um das wir einander bitten müssen, dass man für jeden von uns betet. Das Gebet. Denn für einen von uns zu beten, das ist, wie den Blick Gottes auf uns zu ziehen. Das Gebet bedeutet, den Blick Gottes anzuziehen. Wenn du betest, dann schaut Gott auf dich. Und um was du gebeten hast, das ist etwas sehr Schönes. Und auch du sollst für die anderen beten, weißt du? Bete du für mich, und ich werde für dich beten, und diese Beziehung, um das Gebet zu bitten, ist eine Beziehung der Geschwis-terlichkeit, der Freundschaft, von zwei oder drei Personen, die darum bitten, dass Gott auf sie schaut. Beten bedeutet, den Blick Gottes auf uns zu ziehen, und das ist schön. Voran!
(Orig. ital. in O.R. 6.6.2022)