Gedanken zum Sonntag - 12. Juni: Dreifaltigkeitssonntag

Unerträglich?!

 Unerträglich?!  TED-023
10. Juni 2022

»Die Stadt ist voll von Leuten, die unbegreifliche und unverständliche Dinge reden – auf allen Straßen, Markthallen, Plätzen und Kreuzungen. Gehe ich in einen Laden und frage, wieviel ich zu zahlen habe, dann bekomme ich zur Antwort einen philosophischen Vortrag über den gezeugten oder nichtgezeugten Sohn des Vaters. […] Frage ich in den Thermen, ob ich ein Bad bekommen kann, dann versucht mir der Bademeister zu beweisen, dass der Sohn zweifellos aus dem Nichts hervorgegangen sei.« So klagt der heilige Bischof und Kirchenlehrer Gregor von Nyssa († nach 394) in seiner berühmten Ansprache De deitate filii et spiritus sancti.

Ob am Dreifaltigkeitssonntag in manchen Kirchengemeinden auch mehr oder weniger »unbegreifliche und unverständliche Dinge« gepredigt werden? »Unerträglich« werden das viele – wohl nicht zu Unrecht – finden. Im Evangelium des kommenden Sonntags hören wir Worte aus den Abschiedsreden Jesu an seine Jünger: »Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten« (Joh 16,12f.). Christlicher Glaube ist nicht statisch, sondern in Bewegung. Er lässt sich nicht auf eine Sammlung abstrakter dogmatischer Wahrheiten reduzieren oder auf einen festen Besitz, den wir mit uns herumtragen.

Das Dreifaltigkeitsfest ist ein einziges großes »Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist«. Es ähnelt den biblischen Hymnen, die Gottes rettendes Handeln in der Geschichte feiern und zum Lobpreis einladen. Damals wie heute offenbart sich Gott nicht durch lehrhafte Formeln, sondern durch Ereignisse und Taten. Unser Glaube ist kein eifersüchtig zu hütender Schatz, sondern ein Geschenk, das im Laufe unseres Lebens in unseren Händen wachsen will. Glaube wächst dort, wo wir Gottes Wort in die Tat umsetzen, es mit uns auf die Straßen dieser Welt tragen. So durchquert es Länder und Epochen, wächst in der Begegnung mit anderen Worten, Menschen und Kulturen. Das Dreifaltigkeitsfest ermutigt uns auf diesem Glaubensweg unter der Führung des Heiligen Geistes.

Sr. Manuela Scheiba OSB