Die Geste der Woche
»Warum sind wir so traurig, wenn wir beten?« Am Dienstag, 31. Mai, dem letzten Tag des Marienmonats, ist die Basilika Santa Maria Maggiore randvoll mit Gläubigen gefüllt, die alle gemeinsam mit dem Heiligen Vater vor der von Benedikt XV. am Ende des Ersten Weltkriegs, jenem überflüssigen Gemetzel, im Jahr 1918 in Auftrag gegebenen Statue Marias der Friedenskönigin für den Frieden beten. In der Menschenmenge, die sich in der Basilika drängt, sticht ein weißer Fleck ins Auge, eine Gruppe von Kindern, die einige Tage vorher ihre Erstkommunion gefeiert haben und noch einmal das weiße Festgewand angelegt haben und die unter der Leitung ihres Pfarrers und der Katechetin ins Gebet vertieft sind. Gerade die Letztere nähert sich mir am Ende der Feier und vertraut mir an, was Riccardo, eines ihrer Kinder, sie gefragt hat, wobei er auf die sie umgebende betende Menge gewiesen habe: »Warum sind wir, wenn wir beten, alle traurig?« So sind die Kinder, waffenlos und entwaffnend. Sie erfassen das Wesentliche. Es stimmt, es handelt sich um ein Friedensgebet für eine vom Krieg zerfleischte Welt und folglich um die Frage, »Wie hätten wir singen können die Lieder des Herrn, fern, auf fremder Erde?« (Ps 137,4), denn der Krieg ist eine »fremde Erde«, feindselig, die alles verlieren, die die Wirklichkeit verschwinden, die Bezugspunkte verlieren und die Menschlichkeit zunichte werden lässt. Es ist also nur natürlich, dass die Gesichter der in der Basilika betenden Gläubigen keinerlei Anzeichen der Freude ausdrücken, aber im Grunde hat Riccardo recht. Er weiß es nicht, aber er erahnt eine tiefe Wahrheit, die bereits vor 150 Jahren ein Philosoph wie Nietzsche erkannt hatte (»Wenn Christus auferstanden ist, warum seid ihr dann so traurig? Ihr Christen weist keineswegs das Antlitz erlöster Menschen auf«) und die ein häufig wiederkehrendes Thema in den Predigten von Papst Franziskus ist.
Bereits im Mai 2013 hatte der Papst in einer Predigt im Hause Santa Marta bekräftigt, dass »der Christ ein Mann bzw. eine Frau der Freude ist«. Die Freude ist keineswegs deckungsgleich mit der Heiter- bzw. Fröhlichkeit: »Die Fröhlichkeit ist gut, und Fröhlichsein ist gut. Aber die Freude ist eine andere Sache, sie ist mehr wert. Sie ist etwas Tieferes, da sie nicht, wie die Fröhlichkeit, an den Augenblick gebunden ist. Sie ist ein Geschenk.« Und insofern sie ein Geschenk ist, muss sie mit anderen geteilt werden: »Denn wenn wir diese Freude nur für uns behalten wollen, werden wir am Ende krank und unser Herz verhutzelt ein wenig, und unser Gesicht vermittelt nicht mehr diese große Freude, sondern diese Nostalgie, diese Melancholie, die alles andere als gesund ist.« Der Papst, und mit ihm auch der kleine Riccardo, sind betroffen angesichts der Tatsache, wie viele melancholische Christen es auf der Welt gibt, es sind jene mit eine »Hängemiene«, die, wie der Papst in jener Predigt von vor neun Jahren unterstrich, »eher das Gesicht wie in Essig eingelegte Chilischoten haben als jenes von freudigen Menschen, die ein schönes Leben haben.«
Also immerzu beten, aber voller Freude, nicht mit einer oberflächlichen Fröhlichkeit, sondern mit jener großen Kraft, die da in der Tiefe vorhanden ist, immer bereit, zu explodieren, gerade so wie es die Kinder machen, wenn sie lachen, die sauberste und mächtigste Energie des Universums. Dem Blick der Kinder entgeht nichts, schon gar nicht das Wesentliche, und es ist immer wahr, was der Papst unlängst in Erinnerung gerufen hat, als er den Titel von De Sicas Film zitierte: I bambini ci guardano (»Die Kinder beobachten uns«). Es ist eine große kleine Wahrheit, wir Erwachsenen neigen allerdings dazu, sie zu verdrängen oder aber direkt die Kinder zu entfernen (vgl. die Meldung, die heute auf der Titelseite erschienen ist).
Andrea Monda