Gedanken zum Sonntag - 5. Juni: Hochfest Pfingsten

Der Geist der Wahrheit

 Der Geist  der Wahrheit  TED-022
03. Juni 2022

»Veni creator spiritus!« ist der Ruf, den die Kirche im Hymnus des Stundengebetes der Pfingstoktav anstimmt. Ein gewaltiger Text mit einer wunderschönen Melodie. Was ist das aber, dieser »creator Spiritus«, dieser »Schöpfergeist«, den wir als dritte Person der allerheiligsten Dreieinigkeit Got-tes verehren und dessen wir am Pfingstsonntag in ganz besonderer Weise gedenken?

In den Schriften des Alten Bundes offenbart er sich uns zunächst als bewegte Luft, dann als Hauch oder Atem. Er ist vor der Erschaffung der Welt bereits da und schwebt über dem Wasser der Urflut (Gen 1,1). In den Schriften des Neuen Bundes begegnet er uns dann als Gabe Gottes.

Um diese Gabe bittet Christus den Vater für diejenigen, die an ihn glauben: »Ich werde den Vater bitten und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll« (Joh 14,15-16). Dieser Geist, den Johannes in seinem Evangelium Paraklétos, also Anwalt oder Fürsprecher, nennt, ist der Geist, der uns mit den Mitteln ausstattet, die uns zur geistlichen Vollkommenheit – zur Heiligkeit –, zu der jeder Getaufte berufen ist, befähigt, indem er uns Gottesfurcht, Frömmigkeit, Wissenschaft, Stärke, Rat, Verstand und Weisheit schenkt. Somit ist der Heilige Geist der Geist Gottes, der uns fähig macht, Gott zu empfangen, oder, wie es die Väter sagten, um »capax Dei«, »gottfähig«, zu werden. Diese »Gottfähigkeit« bedeutet nichts anderes, als dass wir durch den Heiligen Geist in die ganze Wahrheit eingeführt werden. Diese Wahrheit ist wie ein Feuer, das die Welt ansteckt: das leuchtende Feuer der Erkenntnis Gottes. »Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!« (Lk 12,49), wünscht sich unser Herr Jesus Christus.

An Pfingsten wird dieser Wunsch des Herrn Wirklichkeit und die Jünger tragen diese lodernde Flamme hinaus in alle Welt. Wenn ich die Texte des Pfingstsonntags lese, schließt sich für mich der Bogen von Altem und Neuem Testament synthetisch: Der Wind, der über der Urflut schwebt, offenbart sich den Jüngern als ein Brausen, das vom Himmel her kommt, wie ein heftiger Sturm (Apg 2,2).

Möge uns dieser Sturm, dieses Brausen, dieser Hauch Gottes ganz und gar anstecken und alles in uns verbrennen, was nicht nach Gottes Willen ist. Lassen wir den Heiligen Geist Gottes in uns all das bewirken, was notwendig ist, damit wir Gott in rechter Weise und Gesinnung dienen können!

Br. Immanuel Lupardi OSB, Missions-benediktiner von St. Ottilien und Student am Päpstlichen Athenäum Sant’Anselmo in Rom.