Das Museum der Päpstlichen Schweizergarde in Naters

Ungewöhnliche Exponate an einem ungewöhnlichen Ort

 Ungewöhnliche Exponate an einem ungewöhnlichen Ort  TED-019
13. Mai 2022

Die ehemalige Artillerie-Festung von Naters im schweizerischen Kanton Wallis wurde 1939/1940 erbaut. Im Fels gelegen, hoch über dem Rhonetal, sollte sie im Zweiten Weltkrieg den strategisch wichtigen Simplonpass und den Eisenbahntunnel, der durch das Bergmassiv führt, schützen. Gut 200 Mann konnten in der eidgenössischen Festung stationiert werden. Einem Angriff hätte die Besatzung monatelang standhalten können. Alle Einrichtungen waren den Blicken Neugieriger entzogen; in einem »unterirdischen Dorf« befanden sich Küche, Kantine, Aufenthalts- und Schlafräume, ein Maschinenraum mit Dieselgeneratoren, Luftfilter- und Entfeuchtungs-anlagen, zwei Behälter mit je 300.000 Liter Wasservorrat sowie verdeckte Versorgungsleitungen, ein Nothospital – und ein Depot der Nationalbank. Die Gebirgsfes-tung galt noch bis 2002 als geheim.

Über Jahrzehnte hatten sich die Ehemaligenverbände der Päpstlichen Schweizergarde mit dem Gedanken getragen, in der Schweiz ein Museum zur Geschichte des Korps zu errichten. Finanzielle und organisatorische Schwierigkeiten standen dem Unternehmen jedoch immer wieder entgegen. Im Vorfeld zur 500-Jahr-Feier der Garde kam die Überlegung auf, ein solches Projekt in der Gemeinde Naters zu realisieren. Die Wahl des Ortes war nicht zufällig, denn die Walliser Familien, besonders diejenigen aus Naters, haben seit 1825 die meisten Söhne als Soldaten zum Papst nach Rom entsandt, aus dem Wallis waren es insgesamt an die 700 Mann, aus Naters gut eine Hundertschaft. Am 11. November 2006, dem Festtag des Gardepatrons St. Martin, konnte das »Zentrum Garde« eingeweiht werden. Eröffnet wurde es durch die Schweizer Bundesrätin Micheline Calmy-Rey. In ihrer Festansprache betonte die Bundesrätin den friedfertigen Auftrag der päpstlichen Leibwache. Wache stehen heiße aktiv sein; wer Wache stehe, habe kein Aggression im Sinn.

Abwechslungsreicher Rundgang

Schreiner, Elektriker, Maler, Klimatechniker, Modellbauer, Fotografen, Multimediaspezialisten, Übersetzer und viele andere waren mit der Arbeit an dem Museum beschäftigt. Studenten des Seminars für Volkskunde und Kulturwissenschaften der Universität Basel trugen Interviews und Ausstellungsobjekte für das Projekt zusammen. Als Fläche des Museums waren ursprünglich 300 Quadratmeter vorgesehen. Die Ausstellung sollte einen Empfangsbereich beherbergen, eine Fotodokumentation, eine Zeittafel, den Raum »1506«, der die Gründung des Korps erzählt, Vitrinen mit diversen Objekten, Infosäulen und Monitore, die Interviews zur Garde wiedergeben.

Doch dann trat das Unerwartete ein. »In den letzten Monaten vor der Eröffnung brachte einer ein Fotoalbum, ein anderer den Wimpel des FC Guardia, die Tochter eines Gardisten einige Orden, der Sohn eine Uniform, eine Enkelin das Tagebuch, ein ehemaliger Gardist die Goldene Schallplatte der Gardemusik und so weiter«, berichtet Werner Bellwald von der Museumsleitung.

In der Festung gab eine große Munitionshalle. In langen Fluchten reihten sich 250 eisenarmierte Betongestelle. Hier waren ursprünglich Armeegeschosse eingelagert worden. Man beschloss, den ursprünglichen Charakter der Halle beizubehalten und verglaste lediglich die Öffnungen der leeren Munitionsnischen, in die man nun die Objekte platzierte. Jedes Exponat wurde dokumentiert, mit dem Besitzer oder der Besitzerin fotografiert, Erinnerungen und Erklärungen aufgeschrieben, die Geschichte des Gegenstandes festgehalten. Die Besucher können in der Halle Platz nehmen, in Ordnern blättern und nachlesen, was es mit diesem oder jenem Exponat auf sich hat.

Das Museum bietet einen abwechslungsreichen Rundgang mit Informationen über die Gründung und die Geschichte des päpstlichen Wachkorps – keine Waffen-, Uniformen- und Fahnenschau. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die jeweiligen Lebenssituationen der Schweizergardisten: ihre damaligen und heutigen Motive, in die Fremde zu ziehen, ihr Dienst, die Gestaltung ihrer Freizeit und Freud und Leid ihres Lebens im Vatikanstaat und in der Weltstadt Rom. Das Konzept der Ausstellung scheint das Publikum anzusprechen, spricht sich herum und sorgt für immer neue Gäste.

Neue Attraktionen

In der Regel werden Dauerausstellungen nach einem einmaligen Besuch als »gesehen« abgehakt. Ein zweites Mal geht selten jemand hin. Nicht so in Naters. »Seit der Eröffnung haben wir jedes Jahr einige neue Vitrinen mit Gegenständen eingerichtet«, kann Werner Bellwald vermelden. Das Museum, das heute an die 700.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche aufweist, verfügt noch über zahlreiche leere Boxen, die auf künftige Exponate warten. Kein Exponat ist den Museumsmachern zu ungewöhnlich, auch dann nicht, wenn es in keine der Vitrinen passt, und erst in seine Einzelteile zerlegt und dann wieder zusammengebaut werden muss, damit man es im Innern der Festung bewundern kann. So geschehen mit einem roten Porsche.

Werner Bellwald hat ihn per Zufall in Rom entdeckt. 3.000 Euro hat der exquisite Wagen gekostet, inklusive vatikanischem Nummernschild und Original-Spuren vom römischen Verkehr. Der Besucher kann sich in den Porsche hineinsetzen und von dort aus einen Film über die Freizeit der Gardisten von damals und heute anschauen. Für einen Teil der Szenen ist Bellwald mit dem Porsche durch Rom gefahren und hat vom fahrenden Auto aus gefilmt.

Für neue »Attraktionen« des Museums und in der Finanzierung des »Zentrum Garde« zeigt man sich äußerst erfindungsreich. So wurde ein Saal mit Gemälden aus der Geschichte der Schweizergarde eingerichtet – mit Bildern, auf denen sich jedermann verewigen lassen konnte, dargestellte Gardisten jedoch nur von aktiven oder ehemaligen Angehörigen der päpstlichen Leibwache, zum Preis von 500 bis 2.500 Schweizer Franken.

Informationen: Stiftung Kulturzentrum Päpstliche Schweizergarde, Postfach, CH-3904 Naters; Internet: www.zentrumgarde.ch; E-Mail: info@zentrumgarde.ch

Von Ulrich Nersinger