»Nehmt und esst: Das ist mein Leib« – Eine mystagogische Katechese über die Eucharistie (Teil 4)

Spürbare Gewissheit der Gegenwart Jesu

 Spürbare Gewissheit der Gegenwart Jesu  TED-019
13. Mai 2022

Nach unseren mystagogischen Katechesen über die drei Teile der heiligen Messe – Wortgottesdienst, Wandlung und Kommunion – wollen wir die heutige Meditation dem Thema »Eucharistie: reale Gegenwart Christi in der Kirche« widmen.

Wie soll man am besten über ein so hohes, unzugängliches Geheimnis sprechen? Sofort denken wir an die unendlich vielen Theorien und Diskussionen, die es zu diesem Thema gibt, die Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen Lateinern und Orthodoxen. Das füllte die Bücher, die wir für unser Theologiestudium benutzt haben, zumindest wir, die wir ein gewisses Alter haben. Wir sind versucht zu glauben, dass es unmöglich ist, so über dieses Geheimnis zu sprechen, dass unser Glaube gestärkt und unser Herz erwärmt wird und ohne dass wir in interkonfessionelle Polemik abgleiten.

Aber gerade dies ist das wunderbare Werk, das der Heilige Geist in unseren Tagen unter allen Christen wirkt. Er drängt uns, zu erkennen, welch großen Anteil in unseren eucharistischen Streitigkeiten die menschliche Überheblichkeit hatte, nämlich zu meinen, das Geheimnis in eine Theorie oder sogar in ein einziges Wort einschließen zu können, wie auch einfach der Wille, uns gegen unseren Gegner durchzusetzen. Er drängt uns, zu bereuen, dass wir das höchste Unterpfand der Liebe und der Einheit, das unser Herr uns hinterlassen hat, zum bevorzugten Gegenstand unserer Auseinandersetzungen gemacht haben.

Um den Weg der eucharistischen Ökumene einzuschlagen, müssen wir den Weg der gegenseitigen Anerkennung gehen, den christlichen Weg der Agape, das heißt des Teilens. Das bedeutet keineswegs, über die realen Unterschiede einfach hinwegzugehen oder etwas von der echten katholischen Lehre aufzugeben. Vielmehr geht es darum, die positiven Aspekte und echten Werte, die es in den drei großen christlichen Traditionen gibt, zusammenzubringen, um so eine »Schnittmenge« an gemeinsamer Wahrheit aufzubauen, die beginnt, uns zur Einheit hinzuziehen.

Es ist verblüffend, wie einige katholische, orthodoxe oder protestantische Positionen in Bezug auf die Realpräsenz sich als voneinander abweichend und destruktiv erweisen, wenn man sie gegeneinanderstellt und als Alternativen sieht, während sie in wunderbarer Weise konvergieren, wenn sie im Gleichgewicht zusammengehalten werden. Das ist die Synthese, mit der wir beginnen müssen. Wir müssen die großen christlichen Traditionen gleichsam »durch ein Sieb schütten«, um von jeder »das Gute zu behalten« (vgl. 1 Thess 5,21).

Die lateinische Tradition:
eine reale, aber
verborgene Gegenwart

So wollen wir nun die drei Haupttraditionen in Bezug auf die Eucharistie betrachten – die lateinische, die orthodoxe und die protestantische Tradition –, um uns vom Reichtum einer jeden erbauen zu lassen und sie alle im gemeinsamen Schatz der Kirche zu vereinen. Das Bewusstsein, das wir am Schluss vom Geheimnis der Realpräsenz haben werden, wird reicher und lebendiger sein.

Aus Sicht der lateinischen Theologie und Liturgie ist das unbestrittene Zentrum der Eucharistiefeier, das die reale Gegenwart Christi zur Folge hat, der Augenblick der Wandlung. Dort handelt Jesus selbst und spricht in erster Person. Zum Beispiel schreibt der heilige Ambrosius: »Dieses Brot ist gewöhnliches Brot vor den sakramentalen Worten. Sobald die Konsekration erfolgt ist, wird aus dem Brot das Fleisch Christi […] Durch welche Worte geschieht denn die Konsekration und wessen Worte sind es? Die des Herrn Jesus! Denn alles andere, was vorher gesagt wird, wird vom Priester gesprochen: Gott wird Lobpreis dargebracht, es wird ein Gebet verrichtet, es werden Bitten für das Volk, für die Herrscher und für die übrigen vorgetragen. Sobald der Augenblick naht, das verehrungswürdige Sakrament zu vollziehen, verwendet der Priester nicht mehr seine eigenen Worte, sondern verwendet Worte Chris-ti. Also bewirkt (conficit) das Wort Christi dieses Sakrament […] Siehst du, wie wirksam (operatorius) das Sprechen Christi ist? Vor der Konsekration war es nicht der Leib Christi, aber nach der Konsekration, so versichere ich dir, ist es nunmehr der Leib Christi. Er selbst hat gesprochen, und es entstand; er gab einen Befehl, und es wurde geschaffen (vgl. Ps 33,9)« (De sacramentis IV,14-16).

Aus lateinischer Sicht können wir von einem christologischen Realismus sprechen. »Christologisch«, weil die gesamte Aufmerksamkeit hier auf Christus gerichtet ist, gesehen sowohl unter dem Aspekt seiner historischen Existenz und Menschwerdung als auch als Auferstandener. Christus ist sowohl Objekt als auch Subjekt der Eucharistie, das heißt er ist sowohl der, der in der Eucharistie Wirklichkeit wird, als auch der, der die Eucharistie Wirklichkeit werden lässt. »Realismus«, weil die Gegenwart Jesu nicht nur als Zeichen oder Symbol gesehen wird, sondern in Wahrheit und mit seiner ganzen Wirklichkeit. Dieser christologische Realismus ist zum Beispiel im Gebet des Ave verum erkennbar: »Sei gegrüßt, wahrer Leib, geboren von Maria, der Jungfrau, der wahrhaft litt und geopfert wurde am Kreuz für den Menschen; aus dessen durchbohrter Seite Wasser floss und Blut…«

Das Konzil von Trient hat diese Sicht der Realpräsenz präzisiert und dazu drei Adverbien verwendet: »vere, realiter, substantialiter«. Jesus ist wahrhaft gegenwärtig, nicht nur in Bild oder Zeichen; er ist real gegenwärtig, nicht nur subjektiv für den Glauben der Chris-ten; er ist gegenwärtig in der Substanz, das heißt mit seiner tiefsten Wirklichkeit, die für die Sinne unsichtbar ist, und nicht gemäß der äußeren Gestalten von Brot und Wein, die unverändert bleiben.

Es hätte die Gefahr bestehen können, das ist wahr, einem kruden oder übertriebenen Realismus nachzugeben. Aber das Heilmittel gegen diese Gefahr liegt in der Tradition. Der heilige Augustinus hat ein für alle mal geklärt, dass die Gegenwart Jesus in der Eucharistie »im Sakrament« geschieht. Mit anderen Worten, es ist keine physische, sondern eine sakramentale Gegenwart, vermittelt durch die Zeichen Brot und Wein. In diesem Fall aber schließt das Zeichen die Realität nicht aus, sondern macht sie gegenwärtig in der einzigen Art und Weise, in der der auferstandene Christus, »dem Geist nach lebendig gemacht« (1 Petr 3,18), für uns gegenwärtig werden kann, solange wir noch in unserem sterblichen Leib leben.

Der heilige Thomas von Aquin – neben dem heiligen Ambrosius und dem heiligen Augustinus der dritte große Begründer der eucharistischen Spiritualität des Westens – sagt dasselbe, wenn er in seiner Summa theologiae (III. q. 75. a. 4) von einer substantialen Gegenwart Christi (»secundum substantiam«) unter den Gestalten von Brot und Wein spricht. Zu sagen, dass Jesus in der Eucharistie mit seiner Substanz gegenwärtig wird, bedeutet zu sagen, dass er mit seiner wahren, tiefen Realität gegenwärtig wird, die nur der Glaube erfassen kann. Im Hymnus Adoro te devote, der die Gedanken des heiligen Thomas genau widerspiegelt und geeigneter war als zahlreiche Bücher, die lateinische eucharistische Frömmigkeit zu formen, heißt es: »Augen, Mund und Hände täuschen sich in dir, doch des Wortes Botschaft offenbart dich mir« (Visus tactus gustus in te fallitur – sed auditu solo tuto creditur.).

Jesus ist also in der Eucharistie auf eine so einzigartige Weise gegenwärtig, dass es dazu keine Entsprechung gibt. Kein Adjektiv allein kann diese Gegenwart beschreiben, auch nicht das Adjektiv »real«. Real kommt von »res« (Sache) und bedeutet nach Art eines Dinges oder Gegenstandes. Aber Jesus ist in der Eucharistie nicht gegenwärtig wie eine Sache oder ein Gegenstand, sondern als Person. Wenn man dieser Gegenwart einen Namen geben will, dann wäre es besser, einfach von »eucharistischer Gegenwart« zu sprechen, weil sie einzig und allein in der Eucharistie Wirklichkeit wird.

Das Wirken des Heiligen Geistes: die orthodoxe Tradition

Die Theologie der lateinischen Kirche birgt einen großen Reichtum, aber sie schöpft das Geheimnis nicht vollständig aus, und dies wäre auch gar nicht möglich. Zumindest in der Vergangenheit fehlte es hier an der gebotenen Betonung des Heiligen Geistes, der doch auch wesentlich ist, um die Eucharistie zu verstehen. Daher wenden wir uns jetzt dem Osten zu, um die orthodoxe Tradition zu befragen. Dies tun wir aber in einem anderen Geist als in früheren Zeiten: nicht mehr beunruhigt über die Unterschiede, sondern in der Freude über die Ergänzung, die sie zu unserer lateinischen Sichtweise bietet.

In der orthodoxen Tradition wird in der Tat das Wirken des Heiligen Geistes in der Eucharistiefeier deutlich hervorgehoben. Dieser Austausch hat nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil bereits Früchte getragen. Denn bis zu dieser Zeit wurde der Heilige Geist im Römischen Kanon nur an einer einzigen Stelle erwähnt, und zwar eher nebenbei im abschließenden Lobpreis: »Durch ihn und mit ihm und in ihm… in der Einheit des Heiligen Geistes…« Alle neuen Hochgebete enthalten dagegen eine zweifache Anrufung des Heiligen Geistes: eine vor der Konsekration über die Gaben und eine über die Kirche nach der Konsekration.

Die östlichen Liturgien haben die Realpräsenz Christi auf dem Altar immer dem besonderen Wirken des Heiligen Geistes zugeschrieben. In der Anaphora des heiligen Jakobus, die in der antiochenischen Kirche in Gebrauch ist, wird der Heilige Geist mit den folgenden Worten angerufen: »Sende auf uns und auf die dargebrachten Gaben deinen allheiligen Geist herab, den Herrscher und Lebendigmacher, der mit dir, Gott dem Vater, und mit deinem eingeborenen Sohne zugleich thront und herrscht, den Wesensgleichen und Ewigen. Er hat durch das Gesetz und die Propheten und im Neuen Bunde gesprochen, in Gestalt einer Taube stieg er am Jordanflusse über unseren Herrn Jesus Chris-tus herab und blieb über ihm. In Gestalt feuriger Zungen kam er am Pfingsttag auf die Apostel herab. Diesen allheiligen Geist sende, Herr, auf uns und auf die dargebrachten heiligen Gaben herab, damit er komme und durch seine heilige, gute und herrliche Ankunft dieses Brot heilige und zum heiligen Leibe deines Christus mache, und diesen Kelch zum kostbaren Blute deines Christus. (Amen).«

Das ist weit mehr als die bloße Hinzufügung einer Anrufung des Heiligen Geistes. Es ist ein umfassender Blick, der die gesamte Heilsgeschichte tief erfasst und uns hilft, eine neue Dimension des eucharistischen Mysteriums zu entdecken. Ausgehend von den Worten des Glaubensbekenntnisses von Nizäa-Konstantinopel, die vom Heiligen Geist sagen, dass er »Herr ist und lebendig macht«, dass er »durch die Propheten gesprochen hat«, weitet sich die Perspektive hin zum Abriss einer wahren »Geschichte« des Wirkens des Heiligen Geistes.

Die Eucharistie führt diese Reihe der Wundertaten zur Vollendung. Der Heilige Geist, der an Ostern in das Grab hineinflutete, den Leichnam Jesu »berührte« und zum Leben erweckte, wiederholt dieses Wunder in der Eucharistie. Er kommt auf Brot und Wein herab, die unbelebte Materie sind und schenkt ihnen Leben, er macht aus ihnen den lebendigen Leib und das lebendige Blut des Erlösers. Wie Jesus selbst über die Eucharistie gesagt hat, ist es »der Geist, der lebendig macht« (vgl. Joh 6,63). Ein wichtiger Vertreter der östlichen eucharistischen Tradition, Theodor von Mopsuestia, schreibt: Bei »diesem heiligen Dienst […] muss also unser Herr Jesus Christus von den Toten erstehen in der Kraft dieses Geschehens und seine Gnade über uns alle ausbreiten, was nicht anders geschehen kann, als dass die Gnade des Heiligen Geistes kommt. […] Wenn also der Priester sagt, sie seien Leib und Blut Christi, dann macht er überaus klar, dass sie es durch Ankunft des Heiligen Geistes geworden sind und durch ihn unsterblich geworden sind, da ja auch der Leib unseres Herrn, der gesalbt worden ist und den Geist empfangen hat, derart deutlich sichtbar geworden ist. In derselben Weise geschieht auch jetzt, wenn der Geist kommt, eine Art von Salbung mit der angekommenen Gnade, die, so meinen wir, Brot und Wein nach ihrer Bereitung empfangen haben. Wir halten sie nun für Leib und Blut Christi, unsterblich und unverweslich, leidensunfähig und unwandelbar von Natur aus, wie es der Leib unseres Herrn durch die Auferstehung geworden ist« (Katechetische Homilien, XVI, 11f; dt. Übersetzung Peter Bruns).

Allerdings muss man dabei etwas beachten, und so sieht man, dass auch die lateinische Tradition den orthodoxen Brüdern und Schwestern etwas zu geben hat. Der Heilige Geist handelt nicht getrennt von Jesus, sondern in den Worten Jesu. Von ihm hat Jesus gesagt: »Er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird reden, was er hört […] Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden« (Joh 16,13-14). Daher darf man die Worte Jesu (»Das ist mein Leib«) nicht von den Worten der Epiklese trennen (»Der Heilige Geist mache dieses Brot zum Leib Christi«).

Der Aufruf zur Einheit steigt für die Katholiken und die orthodoxen Schwestern und Brüder aus den Tiefen des eucharistischen Mysteriums selbst auf. Auch wenn notwendigerweise das Gedenken an die Einsetzung und die Anrufung des Heiligen Geistes in unterschiedlichen Momenten geschehen (der Mensch kann das ganze Mysterium nicht in einem einzigen Augenblick ausdrücken), so ist doch ihr Handeln verbunden. Die Wirksamkeit geht mit Sicherheit auf den Heiligen Geist zurück (nicht auf den Priester und nicht auf die Kirche), aber diese Wirksamkeit erfolgt im Wort und durch das Wort Christi.

Die Wirksamkeit, die Jesus auf dem Altar gegenwärtig werden lässt, entspringt nicht der Kirche, so habe ich gesagt, aber ich möchte hinzufügen: sie verwirklicht sich nicht ohne die Kirche. Sie ist das lebendige Werkzeug, durch das und mit dem der Heilige Geist wirkt. Das gilt für das Kommen Jesu auf den Altar wie auch für sein endgültiges Kommen in Herrlichkeit: »Der Geist und die Braut (die Kirche!) aber sagen: Komm!« (vgl. Offb 22,17). Und er kommt.

Die Bedeutung des Glaubens:
die protestantische Spiritualität

Die lateinische Tradition hat hervorgehoben, wer in der Eucharistie gegenwärtig ist: Christus. Die orthodoxe Tradition hat hervorgehoben, wer seine Gegenwart bewirkt: der Heilige Geist. Die protestantische Theologie hebt hervor, auf wen diese Präsenz wirkt, oder mit anderen Worten, unter welchen Bedingungen das Sakrament in dem, der es empfängt, tatsächlich bewirkt, was es bedeutet. Es sind verschiedene Bedingungen, die sich allerdings mit einem Wort zusammenfassen lassen: Glauben.

Wir wollen nicht gleich bei den negativen Schlussfolgerungen stehenbleiben, die zu gewissen Zeiten aus dem lutherischen Prinzip gezogen wurden, demzufolge die Sakramente nichts anderes sind als bloße »Zeichen des Glaubens«. Lassen wir einmal Missverständnisse und Polemik hinter uns, dann werden wir sehen, dass dieser energische Aufruf zum Glauben heilsam ist, damit das Sakrament intakt bleibt und es nicht auf ein zu leistendes »gutes Werk« herabgestuft wird oder zu etwas, das auf mechanische oder magische Weise wirkt, gleichsam ohne dass sich der Mensch dessen bewusst ist. Im Grunde geht es darum, die tiefe Bedeutung jenes Rufes zu entdecken, der in der Liturgie nach der Konsekration erklingt, und der früher einmal sogar im Mittelpunkt der Wandlungsworte stand, gleichsam zur Unterstreichung der Tatsache, dass der Glaube wesentlicher Teil des Geheimnisses ist: Mysterium fidei, Geheimnis des Glaubens!

Der Glaube »macht« das Sakrament nicht, sondern er »empfängt« es. Allein das Wort Christi, wiederholt von der Kirche und wirksam gemacht durch den Heiligen Geist, »macht« das Sakrament. Aber was würde ein »gemachtes«, aber nicht »empfangenes« Sakrament nützen? In Bezug auf die Mensch-werdung haben Origenes, der heilige Augustinus, der heilige Bernhard den folgenden Gedanken zum Ausdruck gebracht: »Was nützt es mir, dass Christus einmal von Maria in Bethlehem geboren wurde, wenn er durch den Glauben nicht auch in meinem Herzen geboren wird?« Dasselbe ist von der Eucha-ristie zu sagen: Was nützt es mir, dass Christus wahrhaft auf dem Altar gegenwärtig ist, wenn er nicht für mich gegenwärtig ist? Bereits zu jener Zeit, als Jesus physisch auf der Erde gegenwärtig war, war der Glaube notwendig. Andernfalls nützte seine Gegenwart nichts, außer dass sie Anlass zu einer Verurteilung gab, wie Jesus selbst oft im Evangelium wiederholt: »Weh dir, Chorazin! Weh dir, Betsaida!«

Der Glaube ist notwendig, damit die Gegenwart Jesu in der Eucharistie nicht nur »real« ist, sondern auch »personal«, das heißt von Person zu Person. »Da sein« ist in der Tat etwas anderes als »gegenwärtig sein«. Gegenwart setzt voraus, dass einer gegenwärtig ist, und es einen anderen gibt, für den er gegenwärtig ist. Sie setzt eine gegenseitige Kommunikation voraus, einen Austausch zwischen zwei freien Subjekten, die einander gewahr werden. Das ist weit mehr als das einfache Anwesendsein an einem bestimmten Ort.

Eine solche subjektive, existentielle Dimension der eucharistischen Gegenwart hebt die dem Glauben des Menschen vorausgehende, objektive Gegenwart keineswegs auf, sondern setzt diese vielmehr voraus und anerkennt sie.

Luther, der die Rolle des Glaubens so stark betont hat, gehört auch zu denen, die die Lehre der Realpräsenz Christi im Altarssakrament mit größter Entschiedenheit vertreten und verteidigt haben. Im Rahmen einer Diskussion mit anderen Reformatoren über dieses Thema, dem sogenannten Marburger Religionsgespräch von 1529, unterstrich er mit Nachdruck, dass er die Worte »das ist mein Leib« nicht anders verstehen könne, als sie klingen. »An den anderen liegt es zu zeigen, dass der Leib Christi nicht da ist, wenn es heißt: Das ist mein Leib.« Er wolle keine auf den Verstand gegründeten Erklärungen hören, denn angesichts so klarer Worte lasse er keine Fragen zu und weise Rationalismus und gesunden Menschenverstand zurück. Materielle Beweise, geometrische Argumentationen, alles weise er vollständig zurück, denn »Gott steht über jeglicher Mathematik und man muss das Wort Gottes voller Staunen anbeten« (vgl. Weimarer Ausgabe, 30, 3, S. 110ff).

Dieser kurze Blick auf die verschiedenen christlichen Traditionen hat uns bereits erahnen lassen, welch unermessliches Geschenk sich der Kirche bietet, wenn die verschiedenen christlichen Konfessionen entscheiden, ihre geistlichen Güter zu teilen, wie dies die ersten Christen taten, von denen gesagt wird, dass sie »alles gemeinsam hatten« (Apg 2,44). Das ist die größte, die ganze Kirche umfassende Agape, die der Herr uns ins Herz legt, die wir verwirklicht sehen wollen, zur Freude des einen Vaters und zur Erneuerung seiner Kirche.

»Kennen«
im biblischen Sinn

Wir haben das Ende unseres kurzen eucharistischen Pilgerwegs zu den verschiedenen christlichen Konfessionen erreicht und haben dabei einige Körbe der übriggebliebenen Brocken der großen Brotvermehrung eingesammelt, die in der Kirche stattgefunden hat. Aber wir können unsere Meditation über das Geheimnis der Realpräsenz nicht hiermit abschließen. Das wäre so, als hätten wir die Brote eingesammelt, ohne etwas davon zu essen. Der Glaube an die reale Gegenwart ist etwas Großartiges, aber er reicht uns nicht, zumindest der in einem bestimmten Sinn verstandene Glaube. Es reicht nicht aus, eine theologisch vollkommene und für die Ökumene offene Vorstellung von der wahrhaften Gegenwart Jesu in der Eucharistie zu haben. Wie viele Theologen wissen alles über dieses Mysterium, aber kennen die Realpräsenz nicht. Denn im biblischen Sinn »kennt« jemand nur dann etwas, wenn er es selbst erfährt. Das Feuer kennt nur der wirklich, der zumindest einmal in die Nähe einer Flamme gekommen ist und schnell zurückweichen musste, um sich nicht zu verbrennen.

Der heilige Gregor von Nyssa hat uns einen wundervollen Ausdruck für diese höchs-te Stufe des Glaubens geschenkt. Er spricht in seinem Kommentar zum Hohelied (XI,5,2) vom »Innewerden einer Gegenwart« (aisthesis tes parusias). Das ist dann gegeben, wenn jemand von der Gegenwart Gottes erfasst wird, eine gewisse Wahrnehmung von seiner Gegenwart hat, nicht nur als abstrakten Begriff. Dabei handelt es sich nicht um eine natürliche Wahrnehmung, denn sie ist Frucht einer Gnade, die wirkt wie der Übergang auf eine andere Ebene, ein Qualitätssprung. Und es besteht eine sehr starke Analogie zu dem, was damals geschah, als Jesus sich nach der Auferstehung zu erkennen gab. Es war etwas Überraschendes, das den Gemütszustand eines Menschen plötzlich vollkommen veränderte.

Nach der Auferstehung waren die Apostel eines Tages zum Fischen auf den See hinausgefahren, als am Ufer ein Mann auftauchte. Ein Gespräch aus der Ferne bahnt sich an: »Habt ihr nichts zu essen?« Sie antworten: »Nein!« Aber da blitzt ein Funke im Herzen von Johannes auf und er ruft aus: »Es ist der Herr!« Das ändert alles und sie eilen zum Ufer (vgl. Joh 21,4ff). Dasselbe geschieht bei den Emmausjüngern: Jesus geht mit ihnen, »doch ihre Augen waren gehalten, sodass sie ihn nicht erkannten«, erst als er das Brot bricht, »wurden ihre Augen aufgetan und sie erkannten ihn« (Lk 24,13ff). Etwas Ähnliches geschieht an dem Tag, an dem ein Christ, nachdem er Jesus oft und oft in der Eucharistie empfangen hat, ihn durch eine Gnade endlich »erkennt«.

Dem Glauben und dem Innewerden der wahren Gegenwart muss spontan die Ehrfurcht, ja die zärtliche Liebe zum eucharistischen Jesus folgen. Das ist ein so zartes, persönliches Gefühl, dass man Gefahr läuft, es zu verderben, wenn man darüber spricht. Das Herz des heiligen Franz von Assisi war ganz erfüllt von diesen Empfindungen gegen-über dem in der Eucharistie gegenwärtigen Jesus. Sein Herz schmilzt vor Jesus im Allerheiligsten Sakrament wie in Greccio vor dem Kind von Betlehem: Er sieht, wie sehr Gott unseren Händen ausgeliefert ist, so schutzlos, so demütig. In seinem Brief an den ganzen Orden schreibt er feurige Worte, die wir nun, an uns gerichtet, zum Abschluss unserer Meditation über die reale Gegenwart Jesu in der Eucharistie hören wollen: »Seht eure Würde, ihr Brüder Priester, und seid heilig, weil er selbst heilig ist! […] Es ist ein großes Elend und eine beklagenswerte Schwäche, wenn ihr euch, während ihr ihn so gegen-wärtig habt, noch um irgendetwas anderes in der ganzen Welt kümmert. Der ganze Mensch erschauere, die ganze Welt erbebe, und der Himmel juble, wenn auf dem Altar in der Hand des Priesters Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, ist! O wunderbare Hoheit und staunenswerte Herablassung! O erhabene Demut! O demütige Erhabenheit, dass der Herr des Alls, Gott und Gottes Sohn, sich so erniedrigt, dass er sich zu unserem Heil unter der anspruchslosen Gestalt des Brotes verbirgt! Seht, Brüder, die Demut Gottes und schüttet vor ihm eure Herzen aus! Erniedrigt auch ihr euch, damit ihr von ihm erhöht werdet! Behaltet darum nichts von euch für euch zurück, damit euch ganz aufnehme, der sich euch ganz hingibt!«

Von Kardinal Raniero Cantalamessa