Gedanken zum Sonntag - 10. April: Palmsonntag

Gott braucht jeden Menschen

 Gott braucht jeden Menschen  TED-014
08. April 2022

Zwei Evangelien sind es, die uns am Palmsonntag verkündet werden. Bei der Statio mit der Segnung der Palmzweige, die der Eucharistiefeier vorausgeht, ist es zunächst die Erzählung vom triumphalen Einzug Jesu in Jerusalem. Dann, in der Messfeier, die Leidensgeschichte nach dem jeweiligen Evangelisten des Lesejahres, heuer nach Lukas. Das eine Evangelium prägt seit jeher das Brauchtum des Tages, gibt ihm sozusagen ein grundsätzliches Bild vor. Das andere Evangelium, aufgrund seiner Ausführlichkeit traditionell in verschiedene Rollen aufgeteilt, verkündet, gibt der folgenden Woche ihren großen Rahmen. Schließlich ist der Palmsonntag jener Sonntag, mit dem die Heilige Woche, die Karwoche, beginnt. Die Verkündigung beider Evangelien erst gibt diesem Sonntag seine ganz einzigartige Stellung im liturgischen Jahreskreis.

Die äußere Verbindung zwischen beiden Texten ergibt sich aus der Prozession der versammelten Gottesdienstgemeinde vom Ort der Statio hinein in den Raum der Kirche. Vom Ort, an dem Segen empfangen und mit den Palmzweigen in das Leben und in die Wohnungen getragen wird, hin zum Ort, wo wir selbst zum Segen werden, weil er, der der Segen Gottes schlechthin ist, uns mit hinein nimmt in das Geheimnis seiner Hingabe, die in Leiden, Tod und Auferstehung vollendet und endgültig bleibt. Eine innere Verbindung zwischen den beiden Evangelien des Palmsonntags ergibt sich hingegen vielleicht aus einem kleinen Satz, den Jesus den beiden Jüngern mitgibt, die für ihn das Fohlen für den Einzug besorgen sollen: »Der Herr braucht es!« Gott vollbringt sein Heilswerk in Christus nicht einfach von außen her, an der Schöpfung und uns Menschen vorbei. Er wirkt nicht einfach »etwas« in dieser Welt, und lässt uns dabei als staunende oder jubelnde Zuschauer an der Seite stehen. Erlösung wird dort gewirkt, wo Gott das, was so fern geworden ist von ihm, ganz einholt mit seiner Zuwendung. Und so braucht der Herr das Fohlen, braucht Gott jeden Menschen, indem er ihn losbindet von dem, was ihn draußen lässt und einlädt mitzugehen, indem er ihn mitnimmt in seine Hingabe wie den Schächer, der neben ihm am Kreuz hängt, indem er ihn verwandelt wie Brot und Wein, die vom Letzten Abendmahl her zeitlos sein Dasein für uns, mehr noch: sein in uns sein und in der Welt bleiben, bezeugen. Das ist der Segen des Palmsonntags für die Welt. So nahe kommt Gott, dass wenn alle schweigen und kein Zweig mehr blüht, immer noch die Steine bleiben, um ihn zu preisen.

Michael Max,
Rektor des Päpstlichen Instituts
Santa Maria dell’Anima in Rom