»Nehmt und esst: Das ist mein Leib« – Eine mystagogische Katechese über die Eucharistie (Teil 2)

Durch die Feier der Eucharistie selbst Eucharistie werden

Caltanissetta Passione Adr
08. April 2022

Wir wollen nun unsere Reflexion über das Geheimnis der Eucharistie fortsetzen. Thema der heutigen mystagogischen Katechese ist der zentrale Teil der heiligen Messe, das Eucharistische Hochgebet oder die Anaphora, in deren Mittelpunkt die Wandlung steht. Wir werden dies unter zwei Gesichtspunkten betrachten: einmal in Bezug auf Liturgie und Ritus, zum anderen theologisch und existentiell.

Liturgie und Ritus betreffend verfügen wir heute über ein neues Hilfsmittel, das weder den Kirchenvätern noch den mittelalterlichen Kirchenlehrern zur Verfügung stand. Dieses neue Hilfsmittel ist die Wiederannäherung zwischen Christen und Juden. Schon seit den ersten Tagen der Kirche führten verschiedene historische Faktoren zu einer Betonung der Unterschiede zwischen Christentum und Judentum, bis dahin, sie als gegensätzlich zu betrachten, wie das Ignatius von Antiochien in seinem Brief an die Magnesier (10,3) tut. Sich von den Juden zu unterscheiden – hinsichtlich des Osterdatums, der Fasttage und in vielen anderen Dingen –, das wurde eine Art Parole. Ein an die eigenen Gegner und an Häretiker gerichteter Vorwurf war gerade der: jüdischen Bräuchen zu folgen.

Das Drama des jüdischen Volkes und das neue Klima des vom Zweiten Vatikanischen Konzil begonnenen Dialogs mit dem Judentum ermöglichten eine bessere Kenntnis des jüdischen Ursprungs der Eucharistie. Wie man das christliche Pascha nicht versteht, wenn man es nicht als Erfüllung dessen sieht, was das jüdische Pascha ankündigte, so versteht man die Eucharistie nicht ganz, wenn man sie nicht als Erfüllung dessen sieht, was die Juden im Rahmen ihres rituellen Mahles taten und sagten. Ein erstes wichtiges Resultat dieser Wende ist, dass heutzutage kein ernsthafter Wissenschaftler mehr die These vertritt, die christliche Eucharistie sei im Lichte jenes Mahls zu erklären, das bei einigen hellenistischen Mysterienkulten üblich war, wie man dies dagegen über ein Jahrhundert lang versucht hatte.

Die Kirchenväter übernahmen die Schriften des jüdischen Volkes, aber nicht ihre Liturgie, zu der sie nach der Trennung von Kirche und Synagoge keinen Zugang mehr hatten. Sie verwendeten allerdings die in den Schriften enthaltenen Vorzeichen oder Vorausbilder – das Osterlamm, das Isaak-Opfer, das Opfer Melchisedeks, das Manna –, aber nicht den konkreten liturgischen Kontext, in dem das jüdische Volk all diese Erinnerungen feierte, das heißt das rituelle Mahl, das einmal pro Jahr als Paschamahl (Seder) und wöchentlich im Synagogengottesdienst begangen wurde. Die erste Bezeichnung für die Eucharistie im Neuen Testament stammt von Paulus, der sie als »Herrenmahl« (1 Kor 11,20) bezeichnet, »kuriakon deipnon«, mit offensichtlichem Bezug auf das jüdische Mahl, von dem sie sich durch den Glauben an Jesus unterscheidet. Die Eucharistie ist das Sakrament der Kontinuität zwischen Altem und Neuem Testament, zwischen Judentum und Christentum.

Die Eucharistie und
die jüdische Berakha

Aus dieser Perspektive sieht Benedikt XVI. die Eucharistie im zweiten Band über Jesus von Nazaret. Im fünften Kapitel, das der Einsetzung der Eucharistie gewidmet ist, folgt er der nunmehr vorherrschenden Meinung der Wissenschaftler und akzeptiert die johanneische Chronologie, nach der das Letzte Abendmahl, von dem das vierte Evangelium spricht, kein Paschamahl war, sondern ein feierliches Abschiedsmahl (eben das »Letzte Abendmahl«), und stimmt der Ansicht zu, dass man »die Entwicklung der christlichen Eucharistie – des Hochgebets – aus der jüdischen Berakha nachzeichnen« kann. (S. 149, unter Bezugnahme auf den französischen Theologen Louis Bouyer).

Aus verschiedenen kulturellen und historischen Gründen hat man seit der Scholastik die Eucharistie im Licht der Philosophie zu erklären versucht, insbesondere der aristotelischen Begriffe von Substanz und Akzidenz. Auch hier stellte man das neue Wissena jener Zeit in den Dienst des Glaubens und folgte so dem, was bereits die Kirchenväter getan hatten. In der heutigen Zeit müssen wir dasselbe tun, aber eher mit den neuen historischen und liturgischen als den philosophischen Erkenntnissen. Sie haben den Vorteil, mehr den Kategorien zu entsprechen, in denen Jesus dachte und sprach, die sicherlich nicht die aristotelischen Begriffe von Materie und Form, Substanz und Akzidenz waren, sondern jene von Zeichen und Wirklichkeit sowie die Kategorie des Gedächtnisses.

Einigen jüngeren Studien folgend, vor allem von Louis Bouyer, möchte ich das helle Licht zu zeigen versuchen, das auf die Eucharistie fällt, wenn wir die Einsetzungsberichte vor dem Hintergrund dessen sehen, was wir von jüdischen Mahlfeiern wissen. Das Neue der von Jesus vollzogenen Gesten wird dadurch nicht gemindert, sondern vielmehr ganz klar hervorgehoben.

Das Bindeglied zwischen dem alten und dem neuen Ritus wird in der Didachè deutlich, einem Text aus der Zeit der Apostel, den wir als den ersten Entwurf eines eucharistischen Hochgebets betrachten können. Der jüdische Ritus bestand aus einer Reihe von Gebeten, »Berakha« genannt, auf Griechisch: »Eucharistie«. Zu Beginn des Mahls nahmen die Anwesenden der Reihe nach einen Becher mit Wein in die Hand. Bevor sie daraus tranken, sprachen sie einen Segen, den die Liturgie uns fast wörtlich bei der Gabenbereitung wiederholen lässt: »Gepriesen bist du, Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt. Du schenkst uns den Wein, die Frucht des Weinstocks…«

Aber das Mahl begann offiziell erst dann, wenn der Vater der Familie oder das Oberhaupt der Gemeinschaft das Brot gebrochen hatte, das unter den Mahlteilnehmern ausgeteilt werden musste. In der Tat nimmt Jesus das Brot, spricht den Segen, bricht es und teilt es aus mit den Worten: »Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird.« Und hier wird der Ritus – der nur eine Vorbereitung war – Wirklichkeit.

Nach dem Segnen des Brotes wurden die normalen Gerichte aufgetragen. Wenn das Mahl dem Ende zuging, waren die Tischgenossen bereit für die große rituelle Handlung, die die Feier abschloss und ihr ihre tiefste Bedeutung verlieh. Alle wuschen sich die Hände wie zu Beginn. Derjenige, der dem Ritus vorstand, hatte einen Becher mit Wasser vermischten Weines vor sich und forderte dann dazu auf, die drei Dankgebete zu sprechen: das erste für Gott, den Schöpfer; das zweite für die Befreiung aus Ägypten; das dritte, damit Gott sein Werk in der Gegenwart fortsetzen möge. Nach dem Gebet ging der Becher von Hand zu Hand und jeder trank daraus. Das ist der alte Ritus, den Jesus im Lauf seines Lebens oft gefeiert hat.

Lukas sagt, dass Jesus nach dem Mahl den Kelch nahm und sprach: »Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird« (22,20). Etwas Entscheidendes geschieht in jenem Augenblick, in dem Jesus diese Worte den Formeln der Dankgebete, das heißt der jüdischen »Berakha«, hinzufügt. Jener Ritus war ein heiliges Mahl, bei dem man dem rettenden Gott dankte und ihn feierte, jenem Gott, der sein Volk gerettet hatte, um mit ihm einen Bund der Liebe zu schließen, im Blut eines Lammes. Jetzt, das heißt in dem Augenblick, wo Jesus im Begriff ist, sein Leben als das wahre Lamm für die Seinen hinzugeben, erklärt er den Alten Bund für beendet, den sie gerade gemeinsam liturgisch feierten. In jenem Augenblick schließt er in wenigen, einfachen Worten mit den Seinen den neuen und ewigen Bund in seinem Blut.

Indem Jesus die Worte hinzufügt: »Tut dies zu meinem Gedächtnis!«, verleiht er seiner Hingabe Dauerhaftigkeit. Von der Vergangenheit richtet sich der Blick in die Zukunft. All das, was er bei jenem Mahl getan hat, ist jetzt in unsere Hände gelegt. Indem wir wiederholen, was er getan hat, erneuert sich jener zentrale Akt der Menschheitsgeschichte: sein Tod für die Welt. Das Vorausbild des Paschalammes, das am Kreuz Ereignis wird, ist uns im Mahl als Sakrament gegeben, das heißt als fortdauernde Gedächtnisfeier des Ereignisses.

Priester und Opfer

Das bis hierher Gesagte betraf den liturgischen und rituellen Aspekt. Jetzt möchte ich zu den persönlichen, existentiellen Überlegungen kommen, mit anderen Worten zur Rolle, die wir als Priester und Gläubige in diesem Augenblick der heiligen Messe haben. Um die Aufgabe des Priesters bei der Wandlung zu verstehen, ist es von entscheidender Bedeutung, das Wesen des Opfers und des Priestertums Christi zu verstehen, denn daraus ergibt sich das christliche Pries-tertum, sowohl das durch die Taufe allen Gläubigen gemeinsame Priestertum als auch das der geweihten Amtsträger.

Tatsächlich sind wir nicht mehr »Priester nach der Ordnung Melchisedeks«. Wir sind Priester »nach der Ordnung Jesu Christi«. Am Altar handeln wir »in persona Christi«, das heißt wir stellen den Hohepriester dar, der Christus ist. Zu diesem Thema hat das Symposium über das Priestertum, das im vergangenen Monat in dieser Audienzhalle stattgefunden hat, unendlich mehr gesagt, als ich dies in dieser meiner kurzen (schon davor verfassten) Reflexion tun kann. Aber es ist doch notwendig, hier etwas zu sagen, um die Eucharistie besser zu verstehen.

Der Hebräerbrief erklärt, worin die Neuheit und Einzigartigkeit des Priestertums Christi besteht: »Nichat mit dem Blut von Böcken und jungen Stieren, sondern mit seinem eigenen Blut ist er ein für alle Mal in das Heiligtum hineingegangen und so hat er eine ewige Erlösung bewirkt« (9,12). Jeder Priester opfert etwas, das nicht er selbst ist, Christus hat sich selbst geopfert. Jeder andere Priester bringt Opfer dar, Christus bringt sich selbst als Opfer dar!

Der heilige Augustinus hat in wenigen Worten das Wesen dieser neuen Art des Pries-tertums zusammengefasst, in dem Pries-ter und Opfer ein und dieselbe Person sind: »Ideo sacerdos quia sacrificium«, darum Pries-ter, weil Opfer (Bekenntnisse X,43).

Der französische Wissenschaftler René Girard hat das Neue des Opfers Christi definiert als »zentrale Tatsache der Religionsgeschichte der Menschheit«, die der engen Verbindung zwischen dem Heiligen und der Gewalt für immer ein Ende gesetzt hat (Des choses cachées depuis la fondation du monde. 1978, Deutsche Ausgabe: Das Ende der Gewalt. Analyse des Menschheitsverhängnisses. Herder, Freiburg 2009).

In Christus ist es Gott selbst, der Opfer geworden ist. Nicht mehr die Menschen sind es, die Gott Opfer darbringen, um ihn zu besänftigen und ihn günstig zu stimmen. Gott ist es, der sich selbst für die Menschheit opfert, indem er seinen einzigen Sohn dem Tod ausliefert (vgl. Joh 3,16). Jesus ist nicht mit dem Blut anderer gekommen, sondern mit dem eigenen Blut. Er hat nicht seine Sünden auf die Schultern der anderen geladen – der Tiere oder Menschen –, sondern er hat die Sünden der anderen auf seine eigenen Schultern genommen: »Er hat unsere Sünden mit seinem eigenen Leib auf das Holz des Kreuzes getragen« (1 Petr 2,24). All das bedeutet, dass wir in der heiligen Messe zugleich Pries-ter und Opfer sein müssen.

Im Lichte dieser Überlegungen wollen wir über die Wandlungsworte nachdenken: »Nehmt und esst, das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird.«

In diesem Zusammenhang möchte ich etwas von meiner eigenen kleinen Erfahrung sagen, das heißt darüber, wie mir die kirchliche und persönliche Tragweite der eucharistischen Wandlung klar geworden ist. In den Anfangsjahren meines Priestertums erlebte ich den Moment der Wandlung so: Ich schloss die Augen, neigte den Kopf, versuchte, mich all dem zu entziehen, was um mich herum war, um mich in Jesus hineinzuversetzen, der im Abendmahlssaal zum ersten Mal jene Worte sprach: »Accipite et manducate. Nehmt und esst…« Die Liturgie flößte diese Haltung ein, da die Wandlungsworte über Brot und Wein gebeugt und mit leiser Stimme auf Latein gesprochen wurden.

Dann kam die Liturgiereform des Zweiten Vatikanums. Man begann, die heilige Messe so zu feiern, dass der Blick auf die Kirchengemeinde gerichtet war und nicht mehr auf Latein, sondern in der Volkssprache. Das hat mir geholfen zu verstehen, dass meine vorherige Haltung nicht die ganze Bedeutung meiner Teilnahme an der Wandlung zum Ausdruck brachte. Der Jesus aus dem Abendmahlssaal existiert nicht mehr. Er ist nunmehr der auferstandene Christus, genauer gesagt: Christus, der tot war, aber jetzt in alle Ewigkeit lebt (vgl. Offb 1,18). Aber dieser Christus ist der ganze Christus, »totus Chris-tus«, Haupt und Leib untrennbar miteinander verbunden. Wenn es also dieser ganze Christus ist, der die Wandlungsworte spricht, dann spreche auch ich sie mit ihm. Ich spreche sie »in persona Christi«, im Namen Chris-ti, aber ich spreche sie auch selbst, das heißt in meinem Namen.

Von dem Tag an, als ich dies verstanden hatte, begann ich, im Augenblick der Wandlung nicht mehr die Augen zu schließen, sondern zumindest manchmal auf die Brüder und Schwestern zu blicken, die ich vor mir hatte. Oder wenn ich alleine zelebriere, denke ich an diejenigen, denen ich im Laufe des Tages begegnen werde und denen ich meine Zeit widmen muss, oder ich denke sogar an die ganze Kirche, und an sie gewandt sage ich mit Jesus: »Nehmt und esst alle davon, das ist mein Leib, den ich für euch hingeben will… Nehmt und trinkt, das ist mein Blut, das ich für euch vergießen will…«

In der Folgezeit hat der heilige Augustinus all meine diesbezüglichen Zweifel beseitigt. »In ea re quam offert, ipsa [Ecclesia] offertur«, heißt es in einem berühmten Abschnitt aus De civitate Dei (X,6): »In dem, was [die Kirche] darbringt, wird sie selbst dargebracht.« Und in neuerer Zeit schrieb eine mexikanische Mystikerin, Concepción Cabrera de Armida – Conchita genannt, gestorben 1937 und 2019 von Papst Franziskus selig gesprochen –, folgende Worte an ihren Sohn, der Jesuit war und kurz vor der Priesterweihe stand: »Denk daran, mein Sohn: Wenn du die heilige Hostie in Händen hältst, wirst du nicht sagen: ›Das ist der Leib Jesu, das ist sein Blut‹, sondern du wirst sagen: ›Das ist mein Leib, das ist mein Blut‹, das heißt in dir muss eine vollkommene Verwandlung geschehen, du musst dich in ihm verlieren, musst ein anderer Jesus sein.«

Dies alles gilt nicht nur für die geweihten Priester, sondern für alle Getauften. Ein berühmter Konzilstext bringt das mit den folgenden Worten zum Ausdruck: »Die Gläubigen wirken kraft ihres königlichen Priestertums an der eucharistischen Darbringung mit… In der Teilnahme am eucharistischen Opfer, der Quelle und dem Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens, bringen sie das göttliche Opferlamm Gott dar und sich selbst mit ihm; so übernehmen alle bei der liturgischen Handlung ihren je eigenen Teil, sowohl in der Darbringung wie in der heiligen Kommunion, nicht unterschiedslos, sondern jeder auf seine Art« (Lumen gentium, 10-11).

Der Leib Christi ist auf zweifache Weise auf dem Altar: sein realer Leib (der aus Maria, der Jungfrau geborene Leib, gestorben, auferstanden und in den Himmel aufgefahren) und sein mystischer Leib, die Kirche. Also ist sein wirklicher Leib auf dem Altar wahrhaft gegenwärtig und sein mystischer Leib auf mystische Weise, wo »mystisch« bedeutet: kraft seiner untrennbaren Einheit mit dem Haupt. Es besteht keinerlei Vermischung zwischen den beiden Weisen, die voneinander unterschieden, aber untrennbar verbunden sind.

Weil es zwei »Opfer« und zwei »Gaben« auf dem Altar gibt – einmal das, was Leib und Blut Christi werden soll (Brot und Wein), und zum anderen das, was der mystische Leib Christi werden soll –, gibt es auch zwei Epiklesen in der heiligen Messe, das heißt zwei Anrufungen des Heiligen Geistes. In der ersten heißt es: »Sende deinen Geist auf diese Gaben herab und heilige sie, damit sie uns werden Leib und Blut deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus.« In der zweiten Epiklese nach der Wandlung wird dann gesagt: »Erfülle uns mit seinem Heiligen Geist, damit wir ein Leib und ein Geist werden in Christus. Er mache uns auf immer zu einer Gabe, die dir wohlgefällt.«

Und so baut die Eucharistie die Kirche auf: Die Eucharistie baut die Kirche auf, indem sie die Kirche Eucharistie werden lässt. Die Eucharistie ist nicht nur allgemein Quelle oder Ursache der Heiligkeit der Kirche; sie ist auch ihre »Form«, das heißt das Modell. Die Heiligkeit des Christen muss sich der »Form« der Eucharistie entsprechend verwirklichen, sie muss eine eucharistische Heiligkeit sein. Der Christ kann sich nicht darauf beschränken, die Eucharistie zu feiern, er muss mit Jesus Eucharistie sein.

Leib und Blut

Jetzt können wir aus dieser Lehre die praktischen Konsequenzen für unser alltägliches Leben ziehen. Wenn auch wir in die Wandlung einbezogen sind und zu unseren Brüdern und Schwestern sagen: »Nehmt und
esst, das ist mein Leib. Nehmt und trinkt, das ist mein Blut«, dann müssen wir wissen, was »Leib« und »Blut« bedeuten, um zu wissen, was wir opfern.

Der Begriff »Leib« bezeichnet in der Bibel nicht eine Komponente, einen Bestandteil des Menschen, der vereint mit den anderen Komponenten Seele und Geist den ganzen Menschen bildet. In der Sprache der Bibel und damit in der Sprache Jesu und des heiligen Paulus bedeutet »Leib«: der ganze Mensch, insofern er sein Leben in einem sterblichen Körper lebt. »Leib« meint also das ganze Leben. Mit der Einsetzung der Eucharistie hat uns Jesus sein ganzes Leben als Gabe hinterlassen, vom ersten Augenblick der Menschwerdung an bis zum letzten Augenblick, mit allem, was dieses Leben konkret erfüllt hat: Stille, Anstrengung und Mühe, Gebet, Konflikte, Demütigungen. Nicht das Leben als Abstraktum, sondern das »gelebte« Leben.

Dann sagt Jesus: »Das ist mein Blut.« Was fügt er mit dem Wort »Blut« hinzu, wenn er uns bereits mit seinem Leib sein ganzes Leben geschenkt hat? Er fügt den Tod hinzu! Nachdem er uns sein Leben geschenkt hat, schenkt er uns auch den wertvollsten Teil dieses Lebens, seinen Tod. Der Begriff des Blutes meint in der Bibel nicht einen Teil des Leibes, das heißt einen Teil eines Teils des Menschen. Es verweist vielmehr auf ein Ereignis: den Tod. Wenn das Blut der Sitz des Lebens ist (so dachte man), dann ist sein »Vergießen« ein anschauliches Zeichen für den Tod. Die Eucharistie ist das Geheimnis des Leibes und Blutes des Herrn, das heißt seines Lebens und seines Todes.

Kommen wir nun zu uns selbst: Was opfern wir, wenn wir in der heiligen Messe gemeinsam mit Jesus unseren Leib und unser Blut aufopfern? Auch wir opfern das, was Jesus opfert: Leben und Tod. Mit dem Wort »Leib« geben wir all das hin, was konkret unser Leben ausmacht, das wir in dieser Welt leben: Zeit, Gesundheit, Energie, Fähigkeiten, Zuneigung, vielleicht auch nur ein Lächeln. Mit dem Wort »Blut« bringen auch wir die Hingabe unseres Todes zum Ausdruck. Nicht notwendigerweise den Tod am Ende des Lebens, das Martyrium für Christus oder für den Nächsten. Tod ist all das in uns, was schon jetzt den Tod vorbereitet und vorwegnimmt: Demütigungen, Misserfolge, Krankheiten, alters- und krankheitsbedingte Einschränkungen.

All dies verlangt aber von uns, dass wir uns nach Ende der heiligen Messe anstrengen, um das, was wir gesagt haben, auch in die Wirklichkeit umzusetzen, das heißt, dass wir uns trotz all unserer Grenzen wirklich anstrengen, unseren Brüdern und Schwes-tern unseren »Leib« zu geben, das heißt Zeit, Energie, Aufmerksamkeit, mit einem Wort unser Leben. Nachdem wir zu den Brüdern und Schwestern gesagt haben: »Nehmt und esst«, müssen wir uns wirklich »verzehren« lassen und das vor allem von denen, die es nicht mit der Höflichkeit und Vorsicht tun, die wir erwarten würden. Als der heilige Ignatius von Antiochia sich auf dem Weg nach Rom befand, um dort als Märtyrer zu sterben, schrieb er in seinem Brief an die Römer: »Weizen Christi bin ich, und durch der wilden Tiere Zähne werde ich gemahlen, um reines Brot für den Herrn zu werden« (4,1). Wenn wir uns aufmerksam umschauen, dann sieht jeder von uns diese spitzen Zähne der wilden Tiere, die ihn zermahlen: Kritik, Auseinandersetzungen, verborgene oder offene Gegnerschaft, Meinungsstreitigkeiten mit den Menschen in unserer Umgebung, unterschiedliche Charaktere.

Stellen wir uns einmal vor, was geschehen würde, wenn wir die heilige Messe mit dieser ganz persönlichen Teilnahme feiern würden, wenn wir wirklich alle bei der Wandlung sagen würden, die einen laut, die anderen still, je der eignen Berufung entsprechend: »Nehmt und esst.« Ein Priester, ein Gemeindepfarrer, und besonders ein Bischof feiert auf diese Weise die heilige Messe und geht dann hinaus, um zu beten, zu predigen, Beichte zu hören, die zu ihm kommenden Menschen zu empfangen, die Kranken zu besuchen, zuzuhören: Auch sein Tag ist Eucharistie. Ein großer geistlicher Meister aus Frankreich, Pierre Olivaint (1816-1871), hat gesagt: »Morgens in der heiligen Messe bin ich der Priester und Jesus ist das Opfer. Während des Tages ist dann Jesus der Priester und ich bin das Opfer.« Auf diese Weise ahmt ein Priester den »guten Hirten« nach, weil er wirklich sein Leben für die Schafe hingibt.

Unsere Unterschrift
auf dem Geschenk

Mit Hilfe eines Beispiels aus der Welt der Menschen möchte ich zusammenfassen, was in der Eucharistiefeier geschieht. Stellen wir uns eine kinderreiche Familie vor, in der ein Sohn, der Erstgeborene, seinen Vater über alle Maßen liebt und bewundert. Zu seinem Geburtstag möchte er ihm ein kostbares Geschenk machen. Bevor er es ihm gibt, bittet er jedoch all seine Brüder und Schwestern, das Geschenk zu unterschreiben. Der Vater erhält es so als Zeichen der Liebe aller seiner Kinder ohne Unterschied, auch wenn nur einer den Preis für dieses Geschenk bezahlt hat.

Das geschieht im eucharistischen Opfer. Jesus bewundert und liebt den himmlischen Vater unendlich. Ihm will er jeden Tag bis ans Ende der Welt das kostbarste Geschenk machen, das man sich vorstellen kann, das Geschenk seines Lebens. In der heiligen Messe lädt er all seine Brüder und Schwes-tern ein, ihre Unterschrift unter dieses Geschenk zu setzen, so dass Gottvater es erhält als Geschenk all seiner Kinder ohne Unterschied, auch wenn nur einer den Preis für dieses Geschenk bezahlt hat. Und welchen Preis!

Unsere Unterschrift, das sind die wenigen Tropfen Wasser, die im Kelch mit dem Wein vermischt werden. Sie sind nur Wasser, aber im Kelch vermischt werden sie ein einziger Trank. Die Unterschrift aller ist das feierliche Amen, das die Gemeinde nach der Doxologie spricht oder singt: »Durch ihn und mit ihm und in ihm ist dir, Gott, allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes alle Herrlichkeit und Ehre jetzt und in Ewigkeit… Amen!«

Wir wissen aber, dass derjenige, der etwas unterschrieben hat, dann auch die mit der Unterschrift eingegangen Verpflichtungen erfüllen muss. Das heißt, dass auch wir nach der Feier der heiligen Messe aus unserem Leben ein Geschenk der Liebe an den Vater und für die Brüder und Schwestern machen müssen. Denn wir sind nicht nur aufgerufen die Eucharistie zu feiern, sondern auch selbst Eucharistie zu werden. Gott möge uns helfen, dies zu verwirklichen!

Von Kardinal Raniero Cantalamessa