Gedanken zum Sonntag - 3. April: Fünfter Fastensonntag

In der Mitte der Aufmerksamkeit

 In der Mitte der Aufmerksamkeit  TED-013
01. April 2022

Die Mitte. Die Mitte muss nicht unbedingt immer in der (geographischen oder ausgemessenen) Mitte sein. Wenn sie das ist, durch ein Denkmal auf einem Platz etwa, oder durch eine spezielle Markierung in der Ausrichtung eines Raumes, dann wird alles andere im Verhältnis dazu nur mehr abgestuft, eben: daraufhin geordnet, wahrgenommen. So einer Mitte kann man sich nicht entziehen. Sie dominiert, was sie umgibt. Die Mitte kann aber auch leer bleiben. So wie in manch neu gebauter Kirche, wo der Raum zwischen Altar und Ambo nicht besetzt wird. Die Leerstelle als Mitte erzeugt spannende Beziehungen im Raum, ohne selbst einen Anspruch zu erheben. Gerade das macht sie stark. Sie gibt dem unsichtbar Anwesenden einen Ort und verweist darauf, dass alles liturgische Feiern hier noch einmal von einem anderen her und auf ihn hin ausgerichtet getragen wird. Die freie Mitte muss auch ausgehalten werden. Alles, was die Leere ersetzen möchte, würde ihre Kraft zerstören. Es ist ein Unterschied, ob etwas Aufmerksamkeit auf sich zieht oder ob es Aufmerksamkeit schenkt.

Im Evangelium des kommenden Sonntags geht es auch um diese Mitte. Sie wird zunächst sehr abrupt und fast überfallartig von den Schriftgelehrten und Pharisäern besetzt: Sie stellen eine Frau in die Mitte, die – wie sie sagen – beim Ehebruch ertappt wurde. Dabei geht es aber gar nicht um die Frau. »Was sagst Du, Meister…« Die Frau wird miss-braucht, um Jesus und seine unliebsame Haltung den religiös Mächtigen gegenüber bloßzustellen. Was für eine menschenverachtende Inszenierung! Jesus zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Indem er sich bückt und in den Sand schreibt, macht er in dieser Szene eine andere Mitte stark. »Wer von euch ohne Sünde ist…!«

Der Blick von der Frau und ihrem Vergehen weg auf die eigene Herzmitte löst die Situation auf. Alle gehen weg. Nur Jesus und die Sünderin bleiben. Zwischen ihnen wird eine andere Mitte stark und wirksam, auf die Jesus mit seiner ganzen Existenz heilsam verweist: Die Barmherzigkeit des Vaters, in dessen zentraler, weil liebender Aufmerksamkeit jeder Mensch steht. Der Weg, der sich von dort her getragen weiß, ist immer ein Weg der Umkehr. Wer auf ihm geht wird immer weniger Aufmerksamkeit erreichen oder gar missbrauchen wollen, sondern Aufmerksamkeit schenken.

Michael Max,
Rektor des Päpstlichen Instituts
Santa Maria dell’Anima in Rom