Liebe Brüder und Schwestern,
schönen Sonntag, guten Tag!
Das Evangelium der Liturgie des heutigen Sonntags erzählt das sogenannte Gleichnis vom verlorenen Sohn (vgl. Lk 15,11-32). Es führt uns zum Herzen Gottes, der immer mit Mitgefühl und Zärtlichkeit vergibt, immer. Gott vergibt immer; wir sind es, die es müde werden, um Vergebung zu bitten, aber er vergibt immer. Es sagt uns, dass Gott ein Vater ist, der seinen Sohn nicht nur wieder aufnimmt, sondern sich auch freut und feiert, als er zurückkehrt, nachdem er seinen ganzen Besitz verprasst hat. Wir sind dieser Sohn, und es ist bewegend, daran zu denken, wie sehr der Vater uns immer liebt und auf uns wartet.
Aber in eben diesem Gleichnis gibt es auch den älteren Sohn, der in eine Krise gerät angesichts dieses Vaters, was auch uns in eine Krise stürzen kann. In der Tat haben auch wir diesen älteren Sohn in uns, und wir sind wenigstens teilweise versucht, ihm Recht zu geben: Er hat immer seine Pflicht getan, hat nie das Zuhause verlassen, und deshalb ist er empört, als er sieht, dass der Vater seinen Bruder, der sich schlecht benommen hat, wieder aufnimmt. Er protestiert und sagt: »Siehe, so viele Jahre schon diene ich dir und nie habe ich dein Gebot übertreten«, aber für »diesen deinen Sohn« richtest du gar ein Fest aus! (V. 29—30). »Ich verstehe dich nicht.« Das ist die Empörung des älteren Sohnes.
Diese Worte fördern das Problem des älteren Sohnes zutage. In seiner Beziehung zum Vater gründet er alles auf die bloße Befolgung der Befehle, auf das Pflichtgefühl. Das kann auch unser Problem sein, das Problem, das wir untereinander haben und mit Gott: aus den Augen verlieren, dass er der Vater ist, und eine distanzierte Religion leben, die aus Verboten und Pflichten besteht. Und die Folge dieser Distanz ist die Rigidität dem Nächsten gegenüber, den man nicht mehr als Bruder betrachtet. Im Gleichnis sagt der ältere Sohn zum Vater nämlich nicht: mein Bruder, nein, er sagt: dein Sohn, als wollte er sagen: er ist nicht mein Bruder. Und am Ende läuft gerade er Gefahr, draußen zu bleiben. Tatsächlich – so sagt der Text – »wollte er nicht hineingehen« (V. 28). Weil da der andere war.
Als der Vater das sieht, geht er hinaus, um ihn zu bitten: »Mein Kind, du bist immer bei mir und alles, was mein ist, ist auch dein«
(V. 31). Er versucht, ihm verständlich zu machen, dass jedes Kind für ihn sein ganzes Leben ist. Eltern wissen das gut, denn sie kommen dem Gefühl Gottes sehr nahe. Es ist schön, was ein Vater in einem Roman sagt: »Als ich Vater wurde, habe ich Gott verstanden« (H. de Balzac, Vater Goriot). An dieser Stelle des Gleichnisses öffnet der Vater dem älteren Sohn sein Herz und spricht ihm gegen-über zwei Bedürfnisse aus, die keine Gebote, sondern Herzensbedürfnisse sind: »Aber man muss doch ein Fest feiern und sich freuen; denn dieser, dein Bruder, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden« (V. 32). Prüfen wir, ob auch wir in unserem Herzen die beiden Bedürfnisse des Vaters haben: feiern und sich freuen.
Vor allem feiern, das heißt denen unsere Nähe zeigen, die umkehren oder auf dem Weg sind, die in einer Krise stecken oder weit weg sind. Warum soll man das tun? Weil es hilft, Angst und Entmutigung zu überwinden, die durch die Erinnerung an die eigenen Sünden entstehen können. Wer Fehler gemacht hat, fühlt sich oft von seinem eigenen Herzen getadelt; Distanz, Gleichgültigkeit und harte Worte helfen nicht. Deshalb muss man ihm dem Vater zufolge einen herzlichen Empfang bereiten, der ihn zum Weitermachen ermutigt. »Aber Pater, der hier hat viel auf dem Kerbholz!«: ein herzlicher Empfang. Und wir, handeln wir so? Suchen wir nach denen, die weit weg sind, wollen wir mit ihnen feiern? Wie viel Gutes kann ein offenes Herz, ein
offenes Ohr, ein aufrichtiges Lächeln bewirken; feiern, nicht Menschen in Verlegenheit bringen! Der Vater hätte sagen können: Nun gut, mein Sohn, komm nach Hause, geh zurück an die Arbeit, geh in dein Zimmer, packe aus und geh an die Arbeit! Und das wäre eine gute Vergebung gewesen. Aber nein! Gott kann nicht vergeben, ohne zu feiern! Und der Vater veranstaltet ein Fest, weil er sich freut, dass sein Sohn zurückgekehrt ist.
Und dann soll man sich dem Vater zufolge freuen. Wer ein auf Gott eingestimmtes Herz hat, freut sich über die Reue eines Menschen, so schwerwiegend seine Fehler auch gewesen sein mögen. Er bleibt nicht bei den Fehlern stehen, er zeigt nicht mit dem Finger auf das Böse, sondern er freut sich über das Gute, denn das Gute des anderen ist auch das meine! Verstehen wir es, andere auf diese Weise zu sehen?
Ich möchte euch eine Geschichte erzählen, eine fiktive Geschichte, aber eine, die das Herz des Vaters zeigt. Vor drei, vier Jahren gab es eine Pop-Oper zum Thema »Der verlorene Sohn«, mit der ganzen Geschichte. Und am Ende, als der Sohn beschließt, zu seinem Vater zurückzukehren, sagt er zu einem Freund: »Weißt du, ich habe Angst, dass mein Vater mich zurückweist, dass er mir nicht verzeiht«. Und der Freund empfiehlt ihm: »Schicke einen Brief an deinen Vater und sage: ›Vater, es tut mir leid, ich möchte nach Hause kommen, aber ich bin nicht sicher, ob dir das recht ist. Wenn du mich empfangen willst, dann hänge bitte ein weißes Taschentuch ins Fenster.‹« Und dann trat er die Reise an. Und als er kurz vor dem Haus war, wo die Straße ihre letzte Kurve machte, sah er sein Haus vor sich. Und was sah er? Nicht ein Taschentuch: es war voll von weißen Taschentüchern, in den Fenstern, in allen! So empfängt uns der Vater, mit Fülle, mit Freude. Das ist unser Vater!
Bringen wir es fertig, uns für die anderen zu freuen? Möge die Jungfrau Maria uns lehren, die Barmherzigkeit Gottes anzunehmen, damit sie zum Licht werde, in dem wir unseren Nächsten sehen.
Nach dem Angelus sagte der Papst:
Liebe Brüder und Schwestern!
Mehr als ein Monat ist seit dem Einmarsch in die Ukraine vergangen, seit dem Beginn dieses grausamen und sinnlosen Krieges, der, wie jeder Krieg, eine Niederlage für alle, für uns alle darstellt. Man muss den Krieg ablehnen, einen Ort des Todes, wo Väter und Mütter ihre Kinder begraben, wo die Menschen ihre Geschwister töten, ohne sie auch nur gesehen zu haben, wo die Mächtigen entscheiden und die Armen sterben.
Der Krieg zerstört nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft einer Gesellschaft. Ich habe gelesen, dass seit dem Beginn des Angriffs auf die Ukraine jedes zweite Kind vertrieben worden ist. Das bedeutet, die Zukunft zu zerstören und bei den Jüngsten und Unschuldigsten unter uns dramatische Traumata zu verursachen. Das ist die Bestialität des Krieges, ein barbarischer und gotteslästerlicher Akt!
Der Krieg darf nichts Unvermeidliches sein: Wir dürfen uns nicht an den Krieg gewöhnen! Vielmehr müssen wir die Empörung von heute in das Engagement von morgen verwandeln. Denn wenn wir aus dieser Geschichte genauso hervorgehen wie wir vorher waren, dann werden wir alle auf die eine oder andere Art schuldig sein. Angesichts der Gefahr der Selbstzerstörung möge die Menschheit begreifen, dass die Zeit gekommen ist, den Krieg abzuschaffen, ihn aus der Geschichte der Menschheit zu tilgen, bevor er den Menschen aus der Geschichte tilgt. Ich bitte jeden politischen Verantwortungsträger, darüber nachzudenken und sich dafür einzusetzen! Und mit Blick auf die gequälte Ukraine zu verstehen, dass jeder Kriegstag die Situation für alle verschlimmert. Deshalb erneuere ich meinen Appell: Genug, haltet inne, die Waffen müssen schweigen, verhandelt ernsthaft über den Frieden! Lasst uns erneut und unermüdlich zur Königin des Friedens beten, der wir die Menschheit, insbesondere Russland und die Ukraine, mit großer und inniger Beteiligung geweiht haben. Lasst uns gemeinsam beten. Gegrüßt seist du, Maria...
Ich grüße euch alle, die Römer und die Pilger, die aus Italien und aus verschiedenen Ländern gekommen sind. Insbesondere grüße ich die Gläubigen aus Mexiko, Madrid und León, die Studenten aus Pamplona und Huelva und die jungen Leute aus verschiedenen Ländern, die in Loppiano eine Zeit der Schulung absolviert haben. Ich grüße die Mitglieder der Gemeinde Unserer Lieben Frau von Valme in Rom und jene aus San Giorgio in Bosco, Bassano del Grappa und Gela; die Firmlinge aus Frascati und die Gruppe »Freunde des Zachäus« aus Reggio Emilia; sowie das Förderkomitee des Marsches für Frieden und Geschwisterlichkeit von Perugia nach Assisi, das mit einer Schulgruppe gekommen ist, um sein Engagement für die Friedenserziehung zu erneuern.
Ich grüße die Teilnehmer des Rom-Marathons! In diesem Jahr haben sich auf Initiative von »Athletica Vaticana« zahlreiche Athleten an Solidaritätsinitiativen für bedürftige Menschen in der Stadt beteiligt. Ich gratuliere euch!
Vor genau zwei Jahren haben wir von diesem Platz aus um ein Ende der Pandemie gefleht. Heute haben wir es für ein Ende des Krieges in der Ukraine getan. Beim Verlassen des Platzes wird euch unentgeltlich ein Buch angeboten, das von der Vatikanischen Covid-19-Kommission in Zusammenarbeit mit dem Dikasterium für Kommunikation herausgegeben wurde, um euch einzuladen, in schwierigen Zeiten zu beten, ohne Angst und immer im Vertrauen auf den Herrn.
Ich wünsche allen einen schönen Sonntag. Und bitte vergesst nicht, für mich zu beten. Gesegnete Mahlzeit und auf Wiedersehen.