»Nehmt und esst: Das ist mein Leib« – Eine mystagogische Katechese über die Eucharistie (Teil 1)

Die Gabe der Salbung durch das Wort erbitten

 Die Gabe der Salbung durch das Wort erbitten  TED-013
01. April 2022

In dieser Fastenzeit widmet sich der Prediger des Päpstlichen Hauses dem Thema der Eucharistie. In den vier Meditationen folgt er dem Ablauf der heiligen Messe – Wortgottesdienst, Eucharistiefeier und Kommunion – und wird abschließend eine Reflexion über die Verehrung der Eucharistie
außerhalb der heiligen Messe anfügen. Die erste Meditation fand am 11. März in der Vatikanischen Audienzhalle statt.

Neben den vielen Übeln, die die Covid-Pandemie der Menschheit zugefügt hat, gab es aus Sicht des Glaubens zumindest einen positiven Aspekt. Es ist uns bewusst geworden, dass wir die Eucharistie brauchen und dass ihr Fehlen eine Leere hinterlässt. Während der akutesten Phase der Pandemie 2020 hat mich – genauso wie Millionen Katholiken – tief beeindruckt, was es bedeutete, jeden Morgen über das Fernsehen an der von Papst Franziskus in Santa Marta gefeierten heiligen Messe teilzunehmen.

Einige Teilkirchen haben beschlossen, lokal oder national das laufende Jahr einer besonderen Katechese über die Eucharistie zu widmen, und zwar im Hinblick auf eine gewünschte eucharistische Erneuerung in der katholischen Kirche. Dies scheint mir eine gute Entscheidung zu sein und ein Beispiel, dem man folgen sollte, vielleicht indem man auch Aspekte in Erwägung zieht, die seltener berücksichtigt werden. Daher habe ich gedacht, einen kleinen Beitrag zu diesem Projekt zu leisten und die Reflexionen dieser
Fastenzeit einer vertieften Betrachtung des eucharistischen Geheimnisses zu widmen.

Die Eucharistie steht im Mittelpunkt des gesamten Kirchenjahres, in der Fastenzeit nicht weniger als sonst. Wir feiern sie jeden Tag, das tägliche Ostern. Jeder noch so kleine Fortschritt in ihrem Verständnis führt zu einem Fortschritt im geistlichen Leben des Einzelnen und der kirchlichen Gemeinschaft. Andererseits ist die Eucharistie, weil sie repetitiv zu sein scheint, leider stark der Gefahr ausgesetzt, zur Routine und etwas Selbstverständliches zu werden. Der heilige Johannes Paul II. hat in der Enzyklika Ecclesia de Eucharistia vom April 2003 darauf hingewiesen, dass die Christen das »Staunen über die Eucharistie« wiederentdecken und stets lebendig halten müssen. Und das ist das Ziel, dem unsere Reflexionen dienen sollen: das Staunen über die Eucharistie wiederzufinden.

In Zeiten der Pandemie – und jetzt zusätzlich noch mit den Gräueln des Krieges vor Augen – über die Eucharistie zu sprechen, bedeutet nicht, die Realität, in der wir leben, auszublenden, sondern es ist eine Aufforderung, diese von einem höheren und weniger kontingenten Standpunkt aus zu betrachten. Die Eucharistie ist die Gegenwart jenes Ereignisses in der Geschichte, das für immer die Rollenverteilung zwischen Siegern und Opfern umgestürzt hat, denn am Kreuz hat Christus das Opfer zum wahren Sieger werden lassen: »Victor quia victima«, sagt Augus-tinus: Sieger weil Opfer. Die Eucharistie liefert uns den wahren Schlüssel zur Deutung der Geschichte. Sie versichert uns, das Jesus bei uns ist, nicht nur der Absicht nach, sondern wirklich in dieser unserer Welt, die uns von einem Augenblick zum anderen aus den Händen zu gleiten scheint. Er sagt uns immer neu: »Habt Mut: Ich habe die Welt besiegt!« (Joh 16,33).

Die Eucharistie
in der Heilsgeschichte

Gehen wir von einer Frage aus: Was ist der Platz der Eucharistie in der Geschichte des Heils? Die Antwort lautet: Sie nimmt keinen Platz ein, sondern durchzieht die gesamte Heilsgeschichte. Die Eucharistie ist koextensiv zur Heilsgeschichte. Aber sie ist in den verschiedenen Zeiten oder Phasen des Heils auf drei verschiedene Weisen präsent: im Alten Testament als Typus oder Vorausbild, im Neuen Testament als Ereignis und in der Zeit der Kirche als Sakrament. Das Vorausbild nimmt das Ereignis vorweg und bereitet es vor, das Sakrament »verlängert« das Ereignis und aktualisiert es.

Im Alten Testament, so sagte ich, ist die Eucharistie als Vorausbild enthalten. Eines dieser Bilder ist das Manna, ein anderes das Opfer des Melchisedek, ein weiteres das Opfer Isaaks. In der von Thomas von Aquin zum Fronleichnamsfest geschaffenen Sequenz Lauda Sion Salvatorem singen wir: »Lang im Bild war’s vorbereitet: Isaak, der zum Opfer schreitet; Osterlamm, zum Mahl bereitet; Manna nach der Väter Sinn.« (»In figúris præsignátur, cum Isaac immolátur, agnus paschæ deputátur, datur manna pátribus.«) Insofern sie Vorausbilder der Eucharis-tie sind, nennt der heilige Thomas diese Riten die »Sakramente des Alten Bundes« (S.Th., III, q.60, a. 2,2).

Mit dem Kommen Christi und dem Geheimnis von Tod und Auferstehung ist die Eucharistie nicht mehr als Vorausbild gegenwärtig, sondern als Ereignis, als Wirklichkeit. Wir nennen es »Ereignis«, weil es historisch geschehen ist, eine einmalige Tatsache in Zeit und Raum, ein einziges Mal (»semel«) geschehen und unwiederholbar: Christus »ist am Ende der Zeiten ein einziges Mal erschienen, um durch sein Opfer die Sünde zu tilgen« (Hebr 9,26).

Und schließlich, in der Zeit der Kirche, ist die Eucharistie als Sakrament gegenwärtig, das heißt unter den Zeichen von Brot und Wein, eingesetzt von Christus. Es ist wichtig, dass wir den Unterschied zwischen Ereignis und Sakrament klar sehen, das heißt den Unterschied zwischen Geschichte und Liturgie. Wir wollen uns vom heiligen Augustinus helfen lassen. Der heilige Kirchenlehrer sagt: »Wir wissen und halten mit starkem Glauben daran fest: Einmal ist Christus für uns gestorben, der Gerechte für die Sünder, der Herr für die Knechte. Wir wissen genau, dass dies ein einziges Mal geschehen ist; und doch erneuert das Sakrament es regelmäßig, als würde das wiederholt geschehen, was der Geschichte zufolge ein einziges Mal geschehen ist. Und doch bilden Ereignis und Sakrament keinen Gegensatz, als wäre das Sakrament trügerisch und nur das Ereignis wäre wahr. Denn was in der Geschichte ein einziges Mal geschehen ist, dessen Feier erneuert (renovat) das Sakrament öfter im Herzen der Gläubigen. Die Geschichte offenbart das, was nur einmal geschehen ist und wie es geschehen ist, die Liturgie bewirkt, dass die Vergangenheit nicht vergessen wird; nicht in dem Sinn, dass sie sie neu geschehen lässt (non faciendo), sondern in dem Sinn, dass sie sie feiert (sed celebrando)« (Sermo 112; PL 38,643).

Die Beziehung, die zwischen dem einzigen Kreuzesopfer und der heiligen Messe besteht, zu erläutern, das ist eine sehr heikle Angelegenheit und war seit jeher einer der größten Streitpunkte zwischen Katholiken und Protestanten. Augustinus gebraucht, wie wir gesehen haben, zwei Verben: »erneuern« und »feiern«, die absolut richtig sind, allerdings unter der Voraussetzung, dass das eine im Lichte des anderen verstanden wird: Die heilige Messe erneuert das Kreuzesereignis, indem es dies feiert (nicht wiederholt!), und sie feiert es, indem sie es erneuert (nicht nur daran erinnert!). Das Wort, das heute den größten ökumenischen Konsens findet, ist wahrscheinlich das (auch von Paul VI. in der Enzyklika Mysterium fidei verwendete) Verb »vergegenwärtigen« (Nr.35), verstanden im Sinne von neu gegenwärtig machen. In diesem Sinne »vergegenwärtigt« die Eucharistie das Kreuz.

In der Geschichte gab es also nur eine einzige Eucharistie, die von Jesus mit seinem Leben und seinem Tod verwirklicht wurde; in der Liturgie dagegen gibt es dank des Sakraments so viele Eucharistiefeiern, wie sie je gefeiert worden sind und bis zum Ende der Welt noch gefeiert werden. Das Ereignis hat ein einziges Mal (semel) stattgefunden, das Sakrament verwirklicht sich »jedes Mal« (quotiescumque). Durch das Sakrament der Eucharistie werden wir auf geheimnisvolle Weise Zeitgenossen des Ereignisses; das Ereignis wird gegenwärtig für uns und wir für das Ereignis.

Unsere Reflexionen in dieser Fastenzeit werden die Eucharistie in ihrer gegenwärtigen Präsenz zum Gegenstand haben, das heißt als Sakrament. In der frühen Kirche gab es eine besondere Katechese, »mystagogische Katechese« genannt, die dem Bischof vorbehalten war und die nach der Taufe erteilt wurde, nicht vorher. Ihr Ziel war, den Neugetauften die Bedeutung der liturgischen Riten und die Tiefe der Glaubensgeheimnisse zu offenbaren: Taufe, Firmung und insbesondere die Eucharistie. Was wir hier tun wollen, ist genau dies: eine kleine mystagogische Katechese über die Eucharistiefeier halten. Um ihrem sakramentalen und rituellen Wesen möglichst nahe zu entsprechen, werden wir dem Ablauf der heiligen Messe in ihren drei Teilen folgen – Wortgottesdienst, Eucharistiefeier und Kommunion – und abschließend eine Reflexion über die Verehrung der Eucharistie außerhalb der heiligen Messe anfügen.

Der Wortgottesdienst

In den allerersten Tagen der Kirche waren Wortgottesdienst und Eucharistiefeier voneinander getrennt. Die Apostelgeschichte berichtet, dass die Jünger »Tag für Tag einmütig im Tempel verharrten«; dort hörten sie die Lesungen aus der Bibel, beteten mit den anderen Juden die Psalmen und Gebete; sie taten das, was man im Wortgottesdienst tut; dann versammelten sie sich getrennt von ihnen in ihren Häusern, um »das Brot zu brechen«, das heißt um die Eucharistie zu feiern (vgl. Apg 2,46).

Schon bald aber war diese Praxis für die Christen nicht mehr möglich, sowohl aufgrund der Feindseligkeit der jüdischen Autoritäten ihnen gegenüber als auch wegen der neuen, ganz auf Christus ausgerichteten Bedeutung, die die heiligen Schriften für sie erhalten hatten. So geschah es, dass auch das Hören der Schrift vom Tempel und der Synagoge in die christlichen Kultstätten verlegt wurde und nach und nach die Gestalt des aktuellen Wortgottesdienstes annahm, die dem Eucharistischen Hochgebet vorausgeht. In der Eucharistiefeier, wie sie der heilige Justinus im 2. Jahrhundert in der Ersten Apologie (67, 3-4) beschreibt, ist der Wortgottesdienst ein wesentlicher Bestandteil, aber neben die Lesungen aus dem Alten Testament sind nun auch jene Lesungen getreten, die er die »Denkwürdigkeiten der Apostel« nennt, das heißt die Evangelien und die Briefe, das heißt das Neue Testament.

Das Hören der biblischen Lesungen erhält in der Liturgie einen neuen, tieferen Sinn als in anderen Kontexten. Es hat nicht so sehr eine bessere Kenntnis der Bibel zum Ziel, wie das der Fall ist, wenn man sie zu Hause oder in einer Bibelschule liest, sondern vielmehr sollen sie die Gläubigen den erkennen lassen, der im Brotbrechen gegenwärtig wird, und jedes Mal einen besonderen Aspekt des Geheimnisses erhellen, das sie kurz danach empfangen werden. Das zeigt sich gleichsam programmatisch in der Begebenheit der beiden Emmausjünger. Als die Jünger die Erklärung der Schriften hörten, begann ihr Herz zu schmelzen, so dass sie in der Lage waren, ihn zu erkennen, »als er das Brot brach« (Lk 24,13-35). Das war der erste »Wortgottesdienst« in der Geschichte der Kirche!

Das zweite Merkmal: In der heiligen Messe werden die Worte und Begebenheiten aus der Bibel nicht nur erzählt, sondern neu erlebt: Die Erinnerung wird Wirklichkeit und Gegenwart. Was »in jener Zeit« geschah, geschieht »in dieser Zeit«, »heute« (hodie), wie die Liturgie es gerne ausdrückt. Wir sind nicht nur Hörer des Wortes, sondern Gesprächspartner und Akteure in ihm. An uns, die Anwesenden, ist das Wort gerichtet. Wir sind aufgefordert, den Platz der Personen einzunehmen, von denen erzählt wird.

Einige Beispiele sollen uns helfen, dies zu verstehen. Wenn in der Ersten Lesung die Begebenheit verlesen wird, wo Gott im brennenden Dornbusch zu Mose spricht: In der heiligen Messe stehen wir vor dem wahren brennenden Dornbusch… Ein anderes Mal ist die Rede von Jesaja, dessen Lippen mit glühender Kohle für seine Sendung gereinigt werden: Wir werden die wahre glühende Kohle auf den Lippen empfangen, das Feuer, das Jesus auf die Erde gebracht hat… Ezechiel wird aufgefordert, die Buchrolle mit den prophetischen Weissagungen zu essen: Wir werden den essen, der selbst das Wort ist, Fleisch geworden und Brot geworden.

Dies wird noch deutlicher, wenn wir vom Alten zum Neuen Testament übergehen, von der Ersten Lesung zum Evangelium. Die Frau, die an Blutungen litt, ist sicher, dass sie geheilt werden wird, wenn es ihr gelingt, den Saum von Jesu Gewand zu berühren: Was sollen wir von uns sagen, die wir sehr viel mehr als den Saum seines Gewandes berühren werden? Einmal habe ich im Evangelium die Stelle von Zachäus gehört und war beeindruckt von deren »Aktualität«. Ich war
Zachäus, die Worte waren an mich gerichtet: »Ich muss heute in deinem Haus bleiben.« Und von mir konnte man sagen: »Er ist bei einem Sünder eingekehrt.« Und zu mir sagte Jesus, nachdem ich ihn in der Kommunion empfangen hatte: »Heute ist diesem Haus Heil geschenkt worden« (vgl. Lk 19,1-10).

Das gilt für jede einzelne Begebenheit aus dem Evangelium. Wie sollte man sich in der heiligen Messe nicht mit dem Gelähmten identifizieren, zu dem Jesus sagt: »Deine Sünden sind dir vergeben.« Und: »Steh auf und geh nach Hause!« (vgl. Mk 2,5.11); mit Simeon, der das Jesuskind in seinen Armen hält (vgl. Lk 2,27-28); mit Thomas, der seine Wunden berührt (Joh 20,27-28)? Am zweiten Sonntag im Jahreskreis des aktuellen liturgischen Kalenders wurde das Evangelium gelesen, wo Jesus zum Mann mit der gelähmten Hand sagt: »Streck deine Hand aus! Er streckte sie aus und seine Hand wurde wiederhergestellt« (Mk 3,5). Unsere Hand ist nicht gelähmt, aber wir alle haben, manche mehr und manche weniger, eine gelähmte Seele, ein verhärtetes Herz. Und dem, der zuhört, sagt Jesus in jenem Augenblick: »Streck deine Hand aus!« Streck dein Herz vor mir aus, mit dem Glauben und der Bereitschaft jenes Mannes.

Die Heilige Schrift, die in der Liturgie verkündet wird, hat Auswirkungen, die über jede menschliche Erklärung hinausgehen, genauso wie die Sakramente, die bewirken, was sie bezeichnen. Die von Gott inspirierten Texte haben auch die Macht zu heilen. Nach der Verkündigung des Evangeliums in der heiligen Messe war der Priester oder Diakon früher eingeladen, das Evangelienbuch zu küssen und dabei die Worte zu sprechen: »Durch die Worte des Evangeliums mögen getilgt werden unsere Sünden« (»Per evangelica dicta deleantur nostra delicta.«)

Im Lauf der Kirchengeschichte ist Bedeutsames geschehen als Folge des Hörens der biblischen Lesungen in der heiligen Messe. Ein junger Mann hörte eines Tages das Evangelium, wo Jesus zu dem reichen Jüngling sagt: »Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib ihn den Armen; und du wirst einen Schatz im Himmel haben; und komm, folge mir nach!« (Mk 19,21). Er verstand, dass dieses Wort an ihn persönlich gerichtet war. Deshalb ging er nach Hause, verkaufte alles, was er besaß, und zog sich in die Wüste zurück. Sein Name war Antonius: Er war der Begründer des Mönchtums. Viele Jahrhunderte später betrat ein anderer junger Mann, der sich kurz zuvor bekehrt hatte, mit einem Gefährten eine Kirche. Im Evangelium jenes Tages sagte Jesus zu seinen Jüngern: »Nehmt nichts mit auf den Weg, keinen Wanderstab und keine Vorratstasche, kein Brot, kein Geld und kein zweites Hemd!« (Lk 9,3). Der junge Mann wandte sich an seinen Begleiter und sagte: »Hast du gehört? Das ist es, was der Herr auch von uns will.« So begann der Franziskanerorden.

Der Wortgottesdienst ist die beste Ressource, die wir haben, damit die heilige Messe jedes Mal eine neue, anziehende Feier ist, und wir die große Gefahr einer monotonen Wiederholung vermeiden, die besonders die Jugendlichen langweilig finden. Damit dies Wirklichkeit wird, müssen wir mehr Zeit und Gebet in die Vorbereitung der Predigt inves-tieren. Die Gläubigen sollten verstehen können, dass das Wort Gottes die realen Situationen des Lebens berührt und es das einzige Wort ist, das Antworten auf die ernstesten Lebensfragen hat.

Es gibt zwei Arten, eine Predigt vorzubereiten. Man kann sich an den Schreibtisch setzen und das Thema auf der Grundlage der eigenen Erfahrungen und Kenntnisse wäh-len. Und dann, wenn der Text fertig ist, kniet man nieder und bittet Gott, den eigenen Worten den Heiligen Geist einzugießen. Das ist gut, aber das ist nicht prophetisch. Um prophetisch zu sein, müsste man dem umgekehrten Weg folgen: zuerst niederknien und Gott fragen, welches Wort er für sein Volk erklingen lassen will.

Denn Gott hat ein Wort für jede Gelegenheit, und er wird es seinem Diener offenbaren, wenn er ihn demütig und inständig darum bittet. Zu Beginn wird es nur eine kleine Bewegung des Herzens sein, ein kleines Licht für den Verstand, ein Schriftwort, das die Aufmerksamkeit anzieht und Licht auf eine erlebte Situation wirft. Es handelt sich allem Anschein nach nur um einen kleinen Samen, aber er enthält das, was die Menschen in jenem Moment brauchen.

Anschließend kann man sich an den Schreibtisch setzen, seine Bücher aufschlagen, Notizen zu Rate ziehen, die eigenen Gedanken sammeln und ordnen, in den Kirchenvätern, geistlichen Lehrern, zuweilen auch bei den Dichtern nachschlagen. Aber jetzt ist es nicht mehr das Wort Gottes, das im Dienst deiner Kultur und Bildung steht, sondern deine Bildung steht im Dienst des Wortes Gottes. Nur so offenbart das Wort seine ihm innewohnende Macht.

Das Werk des Heiligen Geistes

Aber eines muss noch hinzugefügt werden: All die dem Wort Gottes geschenkte Aufmerksamkeit allein reicht nicht aus. Auf sie muss die »Kraft aus der Höhe« herabkommen. In der Eucharistiefeier ist das Wirken des Heiligen Geistes nicht auf den Augenblick der Wandlung allein beschränkt, auf die Epiklese, die vor der Wandlung gebetet wird. Seine Gegenwart ist ebenso unerlässlich für den Wortgottesdienst und auch, das werden wir später sehen, für die Kommunion.

Der Heilige Geist setzt in der Kirche das Wirken des Auferstandenen fort, der nach dem Pascha den Jüngern »den Sinn für das Verständnis der Schriften öffnete« (Lk 24,45). Die Konstitution Dei Verbum des Zweiten Vatikanischen Konzils sagt, dass »die Heilige Schrift in dem Geist gelesen und ausgelegt werden muss, in dem sie geschrieben wurde« (Nr. 12). Im Wortgottesdienst wirkt der Heilige Geist durch die geistliche Salbung in dem, der spricht, und auch in dem, der zuhört. »Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe« (Lk 4,18). Damit hat Jesus darauf hingewiesen, woher das verkündete Wort seine Kraft erhält. Es wäre ein Irrtum, allein auf die sakramentale Salbung zu vertrauen, die wir ein für alle Mal bei der Priester- oder Bischofsweihe empfangen haben. Diese befähigt uns, bestimmte heilige Handlungen zu vollziehen, zu leiten, zu predigen und die Sakramente zu spenden. Sie ermächtigt uns sozusagen, bestimmte Dinge zu tun, aber sie verleiht uns nicht notwendigerweise etwas von jener Vollmacht, die die Menge spürte, wenn Jesus sprach. Sie sichert die apostolische Nachfolge, aber nicht notwendigerweise den Erfolg des Apostolats!

Aber wenn die Salbung durch die Gegenwart des Heiligen Geistes gegeben wird und seine Gabe ist, was können wir tun, um sie zu empfangen? Wir müssen vor allem von einer Gewissheit ausgehen: »Ihr habt die Salbung von dem, der heilig ist…«, versichert uns der heilige Johannes (1 Joh 2,20). Das heißt, dank der Taufe und der Firmung – und für einige durch Priester- oder Bischofsweihe – besitzen wir die Salbung bereits. Ja, der katholischen Lehre zufolge hat sie in unserer Seele ein unauslöschliches Merkmal hinterlassen, wie eine Prägung oder ein Siegel. »Gott aber ist es, der uns […] gesalbt hat«, schreibt der Apostel. »Er hat uns auch sein Siegel aufgedrückt und als ersten Anteil den Geist in unsere Herzen gegeben« (2 Kor 1,21-22).

Diese Salbung aber ist wie wohlriechendes Öl in einem Gefäß: Es bleibt wirkungslos und verbreitet keinen Duft, wenn man das Gefäß nicht zerbricht und öffnet. So geschah es mit dem Alabastergefäß, das die Frau im Evangelium zerbrach, wonach das Haus vom Duft des Öls erfüllt wurde (Mk 14,3; Joh 12,3). Hier kommt unser Anteil an der Salbung zum Tragen. Sie hängt nicht von uns ab, aber es liegt an uns, die Hindernisse zu beseitigen, die ihre Ausstrahlung verhindern. Es ist nicht schwer zu verstehen, was es für uns bedeutet, das Alabastergefäß zu zerbrechen. Das Gefäß ist unsere Menschlichkeit, unser Ich, manchmal unser steriler Intellektualismus. Es zu zerbrechen bedeutet, Gott gegenüber zu »kapitulieren« und der Welt Widerstand zu leisten.

Zum Glück für uns hängt nicht alles von unserer asketischen Anstrengung ab. Sehr viel vermögen hier der Glaube, das Gebet, die demütige Bitte, das heißt, wir sollen die Salbung erbitten, bevor wir eine Predigt oder eine wichtige Tätigkeit im Dienst am Reich Gottes in Angriff nehmen. Während wir uns auf die Verkündigung des Evangeliums und die Predigt vorbereiten, lässt die Liturgie uns den Herrn bitten, unser Herz und unsere Lippen zu reinigen, damit wir das Evangelium würdig verkünden können. Wa-rum nicht manchmal sagen (oder zumindest innerlich denken): »Salbe mein Herz und meinen Verstand, allmächtiger Gott, damit ich dein Wort mit der Sanftmut und der Macht des Heiligen Geistes verkünden kann«?

Die Salbung ist nicht nur für die Prediger notwendig, damit sie das Wort wirksam verkünden können, sondern auch für die Hörer, um es aufzunehmen. Der Evangelist Johannes schreibt an seine Gemeinschaft: »Ihr habt die Salbung von dem, der heilig ist, und ihr alle wisst es… Was euch betrifft, so bleibt die Salbung, die ihr von ihm empfangen habt, in euch und ihr braucht euch von niemandem belehren zu lassen« (1 Joh 2,20.27). Das heißt nicht, dass jede Unterweisung von außen nutzlos wäre, aber sie allein nützt wenig. Der heilige Augustinus merkt in seinem Kommentar zum ersten Johannesbrief an: »Innen also ist der Lehrer, der lehrt; Christus lehrt, seine Eingebung lehrt. Wo aber seine Salbung und seine Eingebung nicht ist, da tönen vergebens von außen die Worte« (3,13).

Hoffen wir, dass Christus uns auch heute mit seiner inneren Inspiration belehrt hat und mein Reden nicht ein »vergebliches Tönen der Worte« gewesen ist.

Von Kardinal Raniero Cantalamessa