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Neues Buch über die vatikanische Außenpolitik erschienen

Der Einsatz der Päpste für den Weltfrieden

 Der Einsatz der Päpste für den Weltfrieden  TED-013
01. April 2022

Jedes Jahr im Januar wird im Osservatore Romano ein interessantes Bild abgedruckt. Eine weiße Gestalt ist umgeben von dunkel gewandeten Männern und Frauen. Einige von ihnen tragen afrikanische Gewänder, andere sind nach arabischer Weise gekleidet. Das Foto zeigt den Neujahrsempfang des Papstes. Insgesamt 184 diplomatische Vertreter sind beim Heiligen Stuhl akkreditiert, nur unwesentlich weniger als bei der Bundesrepublik Deutschland oder den USA. Der Heilige Stuhl ist Ständiger Beobachter bei den Vereinten Nationen und den meisten ihrer Sonderorganisationen, beim Europarat und vielen anderen internationalen Institutionen. Die vatikanischen Vertreter machen dort die Anliegen des Weltfriedens, der globalen Solidarität und der Menschenrechte stark. Der Heilige Stuhl ist wichtigen internationalen Verträgen wie dem Atomwaffensperrvertrag und den Genfer Flüchtlingskonventionen beigetreten. Durch die vielen Besuche von hochrangigen Politikern (nicht selten Absolventen katholischer Schulen oder Universitäten) und die Begegnungen auf Auslandsreisen gehört der Papst zu den am besten informierten und vernetzten Personen der Weltpolitik. Er äußert sich heute wie selbstverständlich zu den großen Themen der internationalen Politik. All dies zeigt, dass die Führungsspitze der katholischen Kirche im 21. Jahrhundert ein herausragendes außenpolitisches Standing hat.

Im Dienst an den
großen Fragen der Menschheit

Dabei ist es natürlich nicht die primäre Aufgabe des katholischen Kirchenoberhauptes, Politik zu treiben. Das ist und bleibt das Mandat des Herrn, das Evangelium allen Völkern zu verkünden. Oder um es mit den Worten Agostino Casarolis, des Architekten der vatikanischen Ostpolitik, zu sagen: »Obwohl der Dienst an der Religion und an der Kirche die vornehmste Pflicht des Heiligen Stuhls ist, ist für ihn der Dienst an den großen Fragen der Menschheit nicht zweitrangig.« Denn es geht der Kirche um den Menschen und um die Menschheit, da sie erfahren ist in allen Fragen, die den Menschen betreffen, Expertin für alles Menschliche, wie Paul VI. 1965 vor der UNO formuliert hat.

Politikwissenschaftler sehen im Heiligen Stuhl die Kategorie der Soft Power verwirklicht. Viele Staaten haben durch ihre militärische oder wirtschaftliche Stärke außenpolitisches Gewicht – andere Staaten dagegen durch die Glaubwürdigkeit ihrer Akteure, durch den Bezug zu moralischen oder religiösen Werten. Der Heilige Stuhl hat wenig Macht, aber viel Einfluss. Auch Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin hat die vatikanische Außenpolitik als Soft Power gedeutet. Der Vatikan setze auf die Fähigkeit zu überzeugen: »Man könnte sagen, der Heilige Stuhl agiert als eine Stimme des Gewissens im Dienst des Allgemeinwohls, indem er die Aufmerksamkeit auf anthropologische, ethische und religiöse Aspekte der verschiedenen Fragen lenkt, die das Leben der Völker, der Nationen und der internationalen Gemeinschaft als ganzer be-rühren.«

Verschiedene Faktoren be-günstigen diese besondere Art der politischen Einflussnahme. Dem Vatikan geht es nicht um kurz-fristige Vorteile, sondern um bleibende Werte. Der Papst muss nicht auf ein Staatsvolk Rücksicht nehmen und braucht nicht um seine Wiederwahl zu bangen. Die vatikanische Politik ist seit jeher diskret und geräuschlos.

Doch das heute Erreichte ist keine Selbstverständlichkeit. Es hat sich vielmehr in den letzten 150 Jahren entwickelt. Die entscheidende Zäsur ist sicher das Jahr 1870, in dem der alte Kirchenstaat untergegangen ist. 59 Jahre mussten die Päpste ohne eigenen Staat auskommen. Gleichwohl wurde der Anspruch auf staatliche Souveränität nie aufgegeben, was sich an den fortbestehenden und neu aufgenommenen diplomatischen Beziehungen zu verschiedenen Staaten zeigt. Unter Leo XIII. kam mit der internationalen Vermittlungstätigkeit etwas entscheidend Neues hinzu. Insgesamt elfmal vermittelte der Heilige Stuhl in zwischenstaatlichen Konflikten oder bot seine guten Dienste zu deren Lösung an. Das internationale Ansehen des Papsttums wurde zusätzlich durch eine neue humanitäre Ausrichtung vermehrt. Positiv rezipiert wurden die Stellungnahme zur Arbeiterfrage und das Engagement gegen die Sklaverei. Daran konnte Benedikt XV. im Ersten Weltkrieg anknüpfen. Überparteilichkeit, Verurteilung des Krieges, humanitäre Initiativen und eine wohlvorbereitete Friedensvermittlung waren starke politische Signale. Ein Beitritt des Heiligen Stuhls zum Völkerbund ließ sich allerdings nicht realisieren.

Mit der Gründung des neuen Staates der Vatikanstadt im Jahr 1929 war die Römische Frage glücklich gelöst und eine Basis für die praktische Zusammenarbeit mit dem italienischen Staat geschaffen. Gleichwohl ist nicht dieser Zwergstaat Akteur der päpstlichen Politik, sondern nach wie vor der Heilige Stuhl, die Führungsspitze der katholischen Kirche.

Eine Einbindung in die internationalen Organisationen wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg möglich. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Neubewertung der Menschenrechte in der Konzilszeit. Unvergessen bleibt der Friedensappell Johannes’ XXIII. während der Kubakrise, der zu ihrer Beilegung beitrug.

Ein wichtiger symbolischer Erfolg war die Mitarbeit bei der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, auf der die vatikanischen Vertreter eine Aufnahme der Religionsfreiheit in die Schlussakte von Helsinki (1975) erreichen konnten. Bürger der kommunistischen Staaten konnten sich nun auf das von ihren Regierungen verbriefte Recht berufen.

Zunehmende Bedeutung
des Faktors Religion

Ein wichtiger Beitrag Johannes Pauls II. waren seit 1986 die Weltfriedenstreffen. Er war überzeugt, dass die Religionen die gemeinsame Verpflichtung haben, den Weltfrieden zu fördern. An dieses Erbe knüpft im Moment besonders deutlich Papst Franziskus an, namentlich durch den interreligiösen Dialog mit Vertretern des Islam.

So glänzend sich die Situation, die eingangs gezeichnet wurde, darstellt, bleiben doch Fragen, was die zukünftige Entwicklung der vatikanischen Außenpolitik angeht. Der Faktor Religion nimmt in der Weltpolitik an Bedeutung zu, dessen ist man sich auch bei der UNO bewusst. Zahlenmäßig steigt der Anteil der Menschen, die sich zu einer Religion bekennen, während der Anteil der Katholiken an der Weltbevölkerung etwa stagniert. Wie können die anderen Religionen oder der Ökumenische Rat der Kirchen mit seinen 350 Mitgliedskirchen stärkeres Gehör finden? Wird sich die Miss-brauchskrise, welche die katholische Kirche in den Grundfesten erschüttert hat, auf
ihre politische Glaubwürdigkeit auswirken? Wie lassen sich christliche Wertvorstellungen in säkular geprägten Organisationen wie der UNO oder der EU stärker einbringen?

Das außenpolitische Gewicht des Heiligen Stuhls gründet wesentlich auf der Glaubwürdigkeit der Päpste. In den vergangenen 150 Jahren hat es eine Reihe persönlich heiligmäßiger und zugleich politisch-diplomatisch versierter Amtsinhaber gegeben. Hierin dürfte der entscheidende Grund liegen, dass die vatikanische Außenpolitik zu einem Erfolgsmodell werden konnte, dessen sich Katholiken auch in schwierigen Zeiten nicht schämen müssen.

Jörg Ernesti, Friedensmacht. Die vatikanische Außenpolitik seit 1870; gebundene Ausgabe, Herder-Verlag 2022, 368 S., ISBN 978-3-451-39199-6, 34 Euro.

Von Prof. DDr. Jörg Ernesti,
Lehrstuhl für Mittlere und Neue Kirchengeschichte der Universität Augsburg