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Zum 50. Todestag von Kardinal Eugène Tisserant

Eine große Persönlichkeit, die es wiederzuentdecken gilt

 Eine große Persönlichkeit, die es wiederzuentdecken gilt  TED-011
18. März 2022

Anlässlich des 50. Jahrestages des Todes von Kardinal Tisserant hat das Päpstliche Komitee für Geschichtswissenschaften im Campo Santo Teutonico im Vatikan einen runden Tisch zum Thema »Eugène Tisserant. Orientalist, Seelsorger, ›Gerechter unter den Völkern‹« organisiert. Der Kardinal war ein vielseitig begabter Mann, der sich intensiv intellektuell, seelsorgerisch und diplomatisch betätigte. Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem hat ihn dafür gewürdigt, dass er Juden bei der Flucht vor der nationalsozialistischen Verfolgung geholfen hat.

»Ne pas perdre du temps – Keine Zeit verlieren.« So lautete Eugène Tisserants Motto. Daran erinnerte Paul VI. in seiner Ansprache aus Anlass des 80. Geburtstages des Kardinals, eines hochkultivierten Mannes und Kenners der altorientalischen Sprachen, der eine besondere Leidenschaft für die Archäologie hegte und ein »mit den unterschiedlichsten Tätigkeiten erfülltes, stets geordnetes, stets fieberhaftes, immer von konkreten Ergebnissen gekröntes« und »überaus arbeitsreiches Leben« führte. Der Montini-Papst, den Tisserant 1964 bei den Apostolischen Reisen ins Heilige Land und nach Indien begleitete, definierte ihn als einen »Mann des Studiums«, der abwechselnd »Schriftsteller, Lehrer, Soldat, Verwalter, Reisender und stets exemplarischer Priester« sowie ein »eifriger Bischof« gewesen sei.

Eugène Tisserant kam am 24. März 1884 im französischen Nancy zur Welt. Bereits in den im Priesterseminar verbrachten Jahren zeigte er besonderes Interesse an den alten Sprachen und beschäftigte sich mit Hebräisch, dann lernte er das Syrisch-Aramäische und vertiefte seine Kenntnisse der orientalischen Patrologie. Er studierte auch an der »École biblique et archéologique française« in Jerusalem, musste dann aber 1905 seinen Militärdienst antreten. Nebenher setzte er seine Studien fort und vervollkommnete seine Kenntnis nicht nur des Hebräischen und Syrischen, sondern auch des Arabischen, Äthiopischen und Assyrischen. Für die letztgenannte Sprache hatte er in Rom einen Lehrstuhl inne. Er wurde am
4. August 1907 zum Priester geweiht.

Umfassende kulturelle Bildung

In der Hauptstadt hielt er auch Lehrveranstaltungen in Hebräisch und Chaldäisch ab. Tisserant bereitete die Revision der gesamten orientalischen Abteilung der Vatikanischen Druckerei vor, nachdem er die dafür erforderlichen Schrifttypen wieder erworben hatte, und schloss sich dem kleinen Kreis derer an, die sich für den christlichen Osten interessierten. Im Alter von gerade einmal 24 Jahren wurde er Skriptor in der Abteilung der Vatikanbibliothek für orientalische Handschriften. Er unternahm zahlreiche Reisen in den Nahen und Mittleren Osten, die es ihm ermöglichten, die religiöse, kulturelle, soziale und politische Vielfalt und Komplexität dieser geografischen Gebiete aus erster Hand kennenzulernen. Am 15. Juni 1936 wurde er von Pius XI. zum Kardinal ernannt. Tisserant war Sekretär der Kongregation für die Orientalischen Kirchen und setzte sich in dieser Funktion besonders dafür ein, den Gemeinschaften der katholischen Ostkirchen güns-tige Lebens- und Entwicklungsbedingungen anzubieten. Am 18. Februar 1946 wurde er zum Kardinalbischof des suburbikarischen Bistums Porto-Santa Rufina ernannt, und elf Jahre später vertraute ihm Pius XII. das Amt des Archivars und Bibliothekars der Heiligen Römischen Kirche an, das er nahezu ein Vierteljahrhundert lang ausüben sollte. Er nahm an den Konklaven der Jahre 1939, 1958 und 1963 teil – an den beiden letzteren als Dekan des Kardinalskollegiums –, wie auch am Zweiten Vatikanischen Konzil, und er diente im Lauf seines Lebens sechs Päpsten, von Pius X. bis hin zu Paul VI. Am
21. Februar 1972 verstarb Kardinal Tisserant im Alter von 87 Jahren in Albano Laziale und wurde in der Kathedrale SS Cuori di Gesù e Maria in La Storta beigesetzt, der Bischofskirche der Diözese, deren Bischof er gewesen war.

Seine lange Karriere in der Kirche verdankt er seiner umfassenden kulturellen Bildung und seiner Gelehrsamkeit, seiner Diplomatie, aber auch seinen persönlichen Qualitäten. Er war ungeduldig, überkritisch, mitunter cholerisch und ausgesprochen anspruchsvoll. Seine aller-innersten Wesenszüge sind aber in seinem Briefwechsel zu finden. Als Mitglied der »Société des prêtres de Saint-François-de-Sales« – einer Priesterbruderschaft von Diözesanpries-tern, deren Mitglieder denen, die sie führen, ausführliche monatliche Berichte über die Fortschritte und Schwierigkeiten ihres geistlichen Weges vorlegen – offenbart Tisserant seine ganze Demut und die feste Entschlossenheit, Gott und der Kirche zu dienen, wie auch die Sorge, dass sein alltägliches Gebet nichts weiter als eine kalte Formalität sei. Später sollte man seinen Schriften entnehmen, dass er der Vorsehung gegen-über stets fügsam und offen war.

Als Erneuerer der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek förderte er die freie Bibelforschung. Die Forschung nahm immer einen wichtigen Platz in seinem Leben ein, was soweit ging, dass er mehrfach einen Teil seiner Ferien dem Besuch der bedeutendsten Bibliotheken Europas widmete. Die Katholiken des östlichen Ritus lagen ihm sehr am Herzen, und als Bischof von Porto-Santa Rufina verwandelte er die Diözese durch seine häufigen Pastoralbesuche, die Ausbildung des Klerus und die Förderung von Laienvereinigungen in ein Mus-terbeispiel religiöser Vitalität.

Furchtloser Einsatz für Juden

Im Zweiten Weltkrieg engagierte sich der französische Kardinal dafür, den Juden bei der Flucht vor der rassistischen Verfolgung zu helfen, und aus diesem Grund wurde ihm seitens der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem postum der Titel eines »Gerechten unter den Völkern« zuerkannt. »Kardinal Tisserant hat vielen Menschen geholfen, indem er sie versteckte, sie in der Vatikanischen Apos-tolischen Bibliothek einstellte oder ihnen dabei half, Visa zu bekommen«, so erläuterte sein Biograph, der Historiker Etienne Douilloux. Tisserant konnte mehrere Juden auch dank der Mitarbeit von Msgr. André Bouquin, dem Rektor von San Luigi dei Francesi und Verantwortlichen für ein in der Nähe der Kirche gelegenes Kloster, retten, der auch seinerseits als »Gerechter unter den Völkern« anerkannt wurde. In der Begründung dieser Anerkennung erinnert Yad Vashem an einige Menschen, die von der Hilfe des Kardinals profitierten.

Einer von ihnen war Guido Mendes, Direktor des jüdischen Krankenhauses in Rom, dem aufgrund der Rassegesetze gekündigt worden war. »In einer klaren Herausforderung an die Regierung« verlieh ihm Tisserant eine Ehrenmedaille der Kongregation für die Orientalischen Kirchen, weil er mehrere an Tuberkulose erkrankte Studenten aus dem Nahen und Mittleren Osten behandelt hatte. Der Kardinal setzte sich aber auch dafür ein, Einwanderungsnachweise für die gesamte Familie Mendes zu erhalten, außerdem half er dem Rabbiner Nathan Cassuto und den Professoren Giorgio Levi Della Vida und Aron Friedman und beherbergte und versteckte in seiner Wohnung zwei jüdische Familien.

Von Tiziana Campisi,
Vatican News