Gesandte des Papstes an der Seite der Flüchtlinge

Die Waffen müssen schweigen

 Die Waffen müssen schweigen  TED-011
18. März 2022

Vatikanstadt. Wie von Papst Franziskus beim Angelusgebet am 6. März angekündigt, sind zwei Kardinäle in die Ukraine gereist. Kardinal Michael Czerny, der Präfekt »ad interim« des Dikasteriums für den Dienst zuguns-ten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen, brach am 8. März zunächst nach Ungarn auf, wo er in Budapest mit freiwilligen Helfern der Caritas und der Malteser zusammentraf. Diese kümmern sich am Bahnhof Keleti täglich um etwa 2.500 Personen auf der Flucht aus der Ukraine. Die Menschen erhalten Lebensmittel, Medikamente oder Kleidung, die Helfer unterstützen sie zudem bei der Suche nach einer vorübergehenden Unterkunft. Am Nachmittag besuchte der Kardinal die Budapester Petrus-Canisius-Kirche, in der die Gemeinschaft »Sant’Egidio« ihre Flüchtlingshilfe organisiert. Vor seiner Weiterreise am folgenden Tag traf Czerny Ungarns stellvertretenden Ministerpräsidenten Zsolt Semjen. Dabei habe er ihn gebeten, die Willkommenskultur für ukrainische Flüchtlinge beizubehalten und auf andere Notleidende auszudehnen, berichtete Vatican News.

Am 9. März besuchte er Flüchtlinge im west-ukrainischen Berehowe, direkt an der Grenze zu Ungarn, sprach mit Menschen in einem zur Notunterkunft umfunktionierten Studentenwohnheim und im örtlichen Zentrum der Caritas. Zudem traf sich Czerny mit Vertretern verschiedener christlicher Konfessionen sowie der örtlichen jüdischen Gemeinde. »Wir sind alle schwach im Angesicht des Krieges«, so Czerny zu den Anwesenden. Dennoch bekräftigte er noch einmal die Bereitschaft des Papstes, alles für den Frieden zu tun: »Wenn Sie eine Idee haben, was getan werden kann, zögern Sie nicht, einen Vorschlag zu machen«, bat Czerny.

Auf dem Rückweg aus dem ungarisch-ukrainischen Grenzgebiet machte der Kardinal erneut in Budapest Halt. Dort besuchte er den Jesuiten-Flüchtlingsdienst, den Bahnhof Nyugati und ein Aufnahmezentrum der Mal-teser. In einer Gemeinde, in der geflüchtete Jugendliche untergekommen sind, erinnerte er laut Vatican News daran, dass er hier sei, »weil der Papst seine Nähe und Hoffnung für die Ukraine zum Ausdruck bringen will«. »Man darf niemals den Weg der Diplomatie verlassen«, sagte Czerny der italienischen Tageszeitung Il Giornale im Interview. Niemals dürfe gesagt werden, der Dialog sei unmöglich. Es brauche immer wieder neue Anläufe. Er sei von seiner Kindheit in einem ehemals kommunistischen Land geprägt, so der gebürtige Tscheche. Es sei nicht möglich, angstfrei in ein Kriegsgebiet zu reisen. Aber er sei mit großem Respekt behandelt worden. »Ich bin sehr dankbar, dass ich einreisen und die Flüchtlinge besuchen konnte.« Besonders beeindruckt hätten ihn der Mut und die große Hilfsbereitschaft der Bevölkerung. Viele Menschen blieben im Land, um ihren Mitmenschen zu helfen, darunter zahlreiche Geistliche verschiedener Konfessionen, sogar mit Familie, berichtete Czerny. Die Menschen spürten und schätzten sehr, dass der Papst ihnen mit seinen Gedanken und Gebeten nahe sei.

Kardinal Michael Czerny zeigte sich schockiert von dem Anschlag auf eine Entbindungsklinik im ukrainischen Mariupol. »Bombenanschlag und Krankenhaus, diese beiden Worte im selben Satz lassen einen bereits erschaudern. Wenn Sie dann noch lesen, dass es um Kindermedizin geht – das ist inakzeptabel! Wir müssen diese Angriffe auf die Zivilbevölkerung stoppen.«

Der Bombenangriff auf die Kinderklinik lös-te weltweit Entsetzen aus. Sie fühle sich machtlos, sagte die Präsidentin des päpstlichen Kinderkrankenhauses Bambino Gesù, Mariella Enoc, dem italienischen TV-Sender Rai 1. »Diese Kinder haben Namen, Gesichter. Sie sind keine Kategorie, sie sind Menschen«, so Enoc. 1924 durch eine Schenkung an den Heiligen Stuhl übergegangen, zählt das Bambino Gesù mit seiner Forschungseinrichtung heute zu den führenden Kinderkliniken Europas. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs wurden einige Kinder zur Behandlung in die Klinik gebracht. Auch Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin verurteilte den Angriff als »nicht hinnehmbar«. Es gebe keinen Grund, keine Motivation, so etwas zu tun. Er sei sehr besorgt über das, was in der Ukraine passiere. Wie der Direktor des Vatikanischen Presseamtes, Matteo Bruni, bestätigte, hat der Kardinalstaatssekretär am 8. März ein Telefonat mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow geführt. Zu Forderungen nach einem Ende der bewaffneten Angriffe und nach humanitären Korridoren habe Lawrow ihm in dem 30-minütigen Gespräch keine Garantien geben wollen. Er habe zugehört und dann seinen Standpunkt dargelegt. Parolin habe die Bereitschaft des Heiligen Stuhls bekräftigt, »alles zu tun, um sich in den Dienst des Friedens zu stellen«.

Der ebenfalls vom Papst entsandte Kardinal Konrad Krajewski, Päpstlicher Almosenpfleger, reiste über Polen in das Kriegsgebiet und brachte vatikanische Hilfsgüter mit. Papst Franziskus habe außerdem Benzin für polnische Lastwagen kaufen lassen, die aktuell Hilfsgüter nach Kiew, Odessa und Schytomyr brächten. Am Abend des 7. März erreichte Krajewski die polnisch-ukrainische Grenze. Er besuchte unter anderem das ostpolnische Lublin, wohin viele Ukrainer vor dem Krieg geflohen sind. Außerdem verteilte er von Franziskus gesegnete Rosenkränze und besuchte Geflüchtete in einer Turnhalle in
Przemysl. Nach eigenen Worten sandte er dem Papst Fotos von der Grenze, wo Frauen mit kleinen Kindern in der Kälte in langen Schlangen stünden. »Das sind Szenen, die mich schaudern lassen«, so der Kardinal. Am 8. März wurde Krajewski in der westukrainischen Stadt Lwiw (Lemberg) vom griechisch-katholischen Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk und dem römisch-katholischen Lemberger Erzbischof Mieczyslaw Mokrzycki empfangen. Während ihrer Begegnung telefonierten der Kardinal und die beiden ukrainischen Bischöfe auch mit Franziskus, wie die griechisch-katholische und die römisch-katholische Kirche mitteilten. Der Kardinal schilderte demnach dem Papst seine ersten Eindrücke des Besuchs. Mokrzycki dankte Franziskus nicht nur für seine Gebete, sondern auch für die Entsendung Krajewskis in die Ukraine. »Dank ihm spüren wir, dass der Heilige Vater uns nahe sein will«, so der Erzbischof.

Am Donnerstagmittag, 10. März, betete Krajewski in Lwiw (Lemberg) gemeinsam mit katholischen, orthodoxen, protestantischen, jüdischen und muslimischen Vertretern für ein Ende des Krieges. Das etwa 35-minütige Gebetstreffen wurde live im Internet übertragen. Krajewski kniete dabei vor dem Altar in der römisch-katholischen Kathedrale und bat um Frieden für die Ukraine. Ein Rabbiner hatte zuvor das Schofar geblasen, dessen Ton die Gläubigen wachrütteln soll.

In der Ukraine besuchte der Kardinal soziale Einrichtungen und traf Geflüchtete und Opfer des russischen Krieges gegen die Ukraine. Gegenüber Vatican News hatte Krajewski seinen Wunsch zum Ausdruck gebracht, nach Lwiw auch in andere ukrainische Diözesen zu kommen. Das hänge allerdings von den
Umständen ab, und diese ließen es letztendlich nicht zu. So besuchte der Kardinal am
12. März eine Pfarrei in Zhovkva in der Nähe von Lwiw (Lemberg) an der polnischen Grenze und kehrte anschließend in den Vatikan zurück.

In einem telefonisch geführten Interview während der Rückfahrt mit dem Auto betonte der Päpstliche Almosenpfleger, dass er in der Ukraine unermessliches Leid gesehen habe, aber auch einen tiefen, hoffnungsvollen Glauben und große Nächstenliebe. Seine Reise sei eine Mission im Zeichen des Evangeliums gewesen, geprägt vom Teilen und von Hoffnung, trotz des ständigen Sirenenalarms und der gequälten Gesichter der vielen Frauen, die mit ihren Kindern auf dem Arm auf der Flucht seien. »Ich bin in die Ukraine gereist, um unsere Brüder und Schwestern zu unterstützen, um ihnen den Segen des Heiligen Vaters zu bringen, um ihnen nahe zu sein und mit ihnen zu beten«, so der Kardinal. Auch habe er den Menschen guten Willens danken wollen, »die den Flüchtlingen ihre Häuser zur Verfügung stellen, den vielen Freiwilligen in der Ukraine und auch den vielen Spendern«. Die Waffen des Kriegs müssten schweigen, damit die »Waffen des Glaubens«, Gebet, Frieden und Einheit, sich durchsetzen könnten. »Ich habe viele Rosenkränze mitgebracht, die ich den Soldaten und den Menschen geben konnte, die das Land in Richtung polnische Grenze verlassen wollten. Wir haben auch viel gebetet. Überall beteten wir. Dann habe ich immer Tränen gesehen, wenn ich den Menschen sagte: ›Hier, diese Rosenkränze sind vom Heiligen Vater, der dir nahe ist und für dich betet.‹«