Im reifen Alter sandte der Apostel Petrus zwei Briefe an die Gemeinden in der Diaspora in Kleinasien, um die Christen dort zu ermutigen und ihnen Orientierung für Glaube und Leben zu geben. Im zweiten Brief berichtet er von einem Erlebnis mit Jesus, das ihn offenbar tief geprägt hat. »Wir waren Augenzeugen seiner Macht und Größe« (1,16), sagt Petrus; denn er hatte mit ein paar Gefährten Jesus als Verklärten gesehen und eine Stimme, die vom Himmel kam, gehört, »als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren« (1,18). Diese Stimme »von erhabener Herrlichkeit« hatte Jesus mit den Worten bezeichnet: »Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe« (1,17). Auch Lukas berichtet in seinem Evangelium von der Verklärung; aber er zitiert die Gottesrede anders. Jesus ist demnach der »auserwählte Sohn, auf ihn sollt ihr hören« (9,35). Das »Wohlgefallen« reserviert Lukas hingegen der anderen Anrede Gottes an den Menschensohn bei der Taufe im Jordan (3,22).
Sicher hatte der Evangelist Lukas bei
seinen Erzählungen über das Leben und Wirken Jesu die Gemeindebildung vor Augen. Seine Aussagen haben immer eine gewisse moralische Färbung, wie wir es schon in den Evangelien der vergangenen Wochen bemerkt haben. So spricht Lukas auch bei der Verklärung die Autorität Jesu an. Er ist nicht nur der geliebte Sohn, er ist vielmehr der Auserwählte, den wir hören und dem wir nachfolgen sollen.
Dennoch dürfen wir, auch aufgrund der Aussagen des Petrus, einen historischen Kern in der Verklärungsgeschichte annehmen. Petrus hebt mit seinem Zeugnis zudem die Bedeutung der Gotteserscheinung, der »Theophanie«, für das Volk Israel und auch für die frühchristliche Gemeinde hervor. Wenn die Gläubigen auch nicht Gott »von Angesicht zu Angesicht« sehen können, wie etwa Mose
(Ex 24,10) oder Petrus, Jakobus und Johannes bei der Verklärung auf dem Berg Tabor, so können sie doch seine Gegenwart erleben. Nach seinem Zeugnis von der Verklärung Jesu ermahnt Petrus nämlich die Gemeinde: »Ihr tut gut daran, dieses Wort zu beachten, … bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in eurem Herzen« (2 Petr 1,19). Es ist das Wort, das der betenden Gemeinschaft im Gottesdienst lebendig wird. Und dies kann ein ganz konkreter Ruf sein, wie zum Beispiel beim heiligen Antonius dem Einsiedler, der als junger Mensch in einer Kirche bei der Verkündigung des Evangeliums seine Berufung empfing (Athanasius, Leben des heiligen Antonius 2,3-5).
Prälat Winfried König,
Leiter der deutschsprachigen Abteilung
im Päpstlichen Staatssekretariat