Die Wiederentdeckung von Ostia Antica

Ein Verdienst päpstlicher Archäologie

Archaeological site of Ostia Antica, a colony founded in the 7th century BC. near Rome, it developed ...
25. Februar 2022

Das vor den Toren Roms gelegene Ostia Antica gilt als eine der bedeutendsten Ausgrabungsstätten der römischen Welt. Dass Besucher dort Ausgrabungen vorfinden, die den Vergleich mit denen von Pompeji nicht zu scheuen brauchen, verdanken sie den Päps-ten, vor allem dem seligen Pius IX. (Giovanni Maria Mastai-Ferretti, 1846-1878).

Der Sage nach wurde Ostia im 7. Jahrhundert v. Chr. durch Ancius Marcius, den vierten König von Rom, gegründet. Die ältesten archäologischen Funde reichen jedoch nicht über das vierte vorchristliche Jahrhundert hinaus. In republikanischer und kaiserlicher Zeit diente die Stadt als Hafen für die Kriegs- und Frachtschiffe Roms. Seine Blütezeit erlebte Ostia im zweiten nachchristlichen Jahrhundert; damals zählte die Stadt über 50.000 Einwohner.

Das christliche Ostia wurde als besondere, als die ehrwürdigste Tochter des Heiligen Stuhls betrachtet – »Praeminet Ecclesia Ostiensis a Sede Apostolica cuius est specialis filia; est honorabilior inter alias«. Schon der heilige Augustinus (354-430) berichtet, dass es dem Bischof von Ostia zukam, den Papst zum Bischof zu weihen, wenn dieser vor seiner Wahl die entsprechende Weihe nicht empfangen hatte (noch heute besitzt der Dekan des Kardinalskollegiums, dem Ostia als Titularsitz zugewiesen ist, dieses Privileg).

Mit dem Niedergang des Römischen Reiches kam die städtebauliche Entwicklung Ostias zum Erliegen, wobei der Ort jedoch nicht verfiel. Cassiodor beschreibt Ostia noch zu Beginn des 6. Jahrhunderts als eine »schmuckreiche Stadt«, und Prokop nennt es »eine einst ansehnliche Stadt, die jedoch keine Stadtmauer mehr besitzt«.

Im 6. und 7. Jahrhundert wurde die Stadt Opfer verheerender Überfälle und Plünderungen. Nun setzte auch für das alte Ostia der Niedergang ein. Der erste Papst, der ein neues Ostia entstehen lassen wollte, war Gregor IV. (827-844). Unweit der alten Hafenstadt errichtete der Pontifex sein »Gregoriopolis«. Es sollte der Abwehr nordafrikanischer Piraten dienen. 858 gab Nikolaus I. (858-867) der kleinen Ansiedlung mit dem pompösen Namen, der aber nicht lange beibehalten wurde, eine Befestigung, die die Päpste in den nachfolgenden Jahrhunderten kontinuierlich erneuerten und durch zusätzliche Bauten verstärkten.

Ostia verlor immer größere Teile seiner antiken Bausubstanz. 1063 fuhren Beauftragte der Stadt Pisa mit Schiffen die Küste des Tyrrhenischen Meers nach Ostia hinab, um sich hier kostenloses Baumaterial für ihren Dom zu holen. Auch der im 14. Jahrhundert errichtete Dom von Orvieto und zahlreiche Kirchen Genuas nutzten die Ruinen als Steinbruch. Selbst die Päpste scheuten nicht davor zurück, sich an ihrer »geliebten Tochter« schadlos zu halten. Nicht einmal ein so gelehrter, von der Antike begeisterter Pontifex wie Pius II. (Enea Silvio Piccolomini, 1458-1464) widerstand der Versuchung, die Ruinen für neue Bauvorhaben in der Ewigen Stadt zu nutzen.

Ein Eintrag in den Registern der Apostolischen Kammer des Jahres 1463 gibt darüber Auskunft, dass der Piccolomini-Papst seine Erlaubnis dazu erteilt hatte, in Ostia nach antikem Marmor zu suchen, um diesen für Arbeiten in Alt-St. Peter zu verwenden. Und ein päpstliches Breve vom 23. Juli 1598, unterzeichnet von Klemens VIII. (Ippolito Aldo-brandini, 1592-1605), gab die Ermächtigung zu umfangreichen Ausgrabungen in Ostia, um Material für den Bau der neuen Peterskirche zu beschaffen.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts erwuchs überall in Europa ein Interesse an antiken Ausgrabungsstücken. Ostia wurde von unkundigen und nur auf materielle Interessen ausgerichteten Ausgräbern heimgesucht. Die Plünderung und Verwüstung der antiken Stadt nahm derartige Dimensionen an, dass sich Pius VII. (Barnaba Chiaramonti, 1800-1822) gezwungen sah, ein Edikt zu erlassen, das alle »wilden« Ausgrabungen untersagte. Im Juli 1801 ernannte der Papst den aus Ligurien stammenden Archäologen Carlo Fea (1753-1836) zum Generalpräsidenten der Ausgrabungen in den Päpstlichen Staaten und einen jungen gelehrten Antiquar, Giuseppe Petrini, zum Direktor der archäologischen Arbeiten in Ostia.

Fea war schon früh als Befürworter einer gesetzlichen Kontrolle des Kunsthandels und der staatlichen Aufsicht über die Ausgrabungen aus römischer Zeit in Erscheinung getreten. Unter Fea und Petrini fanden in der ehemaligen Hafenstadt Roms zwei große Ausgrabungen statt, vom Dezember 1801 bis zum Juni 1802 und vom Dezember 1802 bis zum Juni 1804. Leider gibt es keine vollständige Beschreibung der aufgefundenen Gegenstände; viele der Münzen, Ringe, Inschriften, Skulpturen und Säulen gingen verloren. Die damals noch recht junge archäologische Wissenschaft besaß erhebliche Mängel in der Methode der Grabungen und der Katalogisierung der Fundstücke.

Erst 1855 begann man auf Wunsch des seligen Pius IX. mit der systematischen Ausgrabung und Rekonstruktion von Ostia Antica. Zum »Commissario delle Antichità« (Kommissar der Altertümer) berief der Papst Pietro Ercole Visconti (1802-1880). Von Pius IX. selbst kam die kluge Entscheidung, dass die Ruinen ausgegraben und mit ihren Marmor- und sonstigen Dekorationen »in situ« (am Ort) belassen und dass nur Einzelgegenstände gesammelt und in den päpstlichen Museen aufbewahrt werden sollten.

Zudem ordnete der Papst 1865 an, auf dem Gelände der Ausgrabungen ein Museum zu errichten, das noch heute besteht und eine äußerst sehenswerte Sammlung archäologischer Funde aufweist. Pietro Ercole Visconti suchte Ostia mindestens einmal in der Woche auf und fertigte jedes Mal über seinen Besuch einen ausführlichen Bericht an, den er unverzüglich an den Papst sandte. Die Funde ließ sich Pius IX. regelmäßig präsentieren. Der Papst stattete Ostia Antica sechsmal einen Besuch ab: im Oktober der Jahre 1856 und 1857, im April 1858 und 1859 sowie in den Maimonaten der Jahre 1860 und 1866.

Die Verdienste, die sich der letzte Souve-rän des alten Kirchenstaates durch eine konsequente und systematische Förderung der Archäologie erworben hatte, zeigen sich beispielhaft in Ostia. Hier wird das Bemühen, Geschichte für die Nachwelt zu erhalten, erfahrbar. So stellte schon König Ludwig I. von Bayern fest: »Die Ausgrabungen von Ostia werden für Rom infolge des verlängerten Aufenthalts der Fremden von großem Vorteil sein; das ist die richtige Art, den Reichtum Roms zu erhöhen: die Fremden zu erfreuen, sie in die Künste und alles Schöne verliebt zu machen.«

Von Ulrich Nersinger