Interview mit Mariella Enoc, Präsidentin des Kinderkrankenhauses Bambino Gesù

Die Liebe von Eltern, die jede Prüfung überwindet

 Die Liebe von Eltern, die jede Prüfung überwindet  TED-007
18. Februar 2022

Der alltägliche Heldenmut der Eltern ist auch der Heldenmut jener Mütter und Väter, die die allerschmerzlichste und in vielerlei Hinsicht unverständlichste Prüfung erdulden müssen, auch wenn sie Rückhalt im Glauben finden: die Krankheit und das Leiden der eigenen Kinder. »Warum müssen Kinder leiden?», so fragte sich Dostojewski, und im Grunde fragen wir alle uns das mit ihm. Eine Frau, die diesen Familien mit ihrem Schmerz und ihren Hoffnungen Tag für Tag begegnet, ist Mariella Enoc, seit 2015 Präsidentin des Bambino Gesù, des größten Kinderkrankenhauses Europas. Wir haben sie, die uns an diesem Ort des Leidens und der Liebe, der ihr »Herz erobert hat«, empfangen hat, gebeten, uns ideell, still und unauffällig in die Stationen des Krankenhauses eintreten zu lassen, um diese heldenmütige Kraft mit Händen zu greifen, von der Papst Franziskus spricht.

Der Papst hat im Interview mit dem Osservatore Romano am 13. Januar betont, dass Eltern, die sich zum Wohl ihrer Kinder jedem Hindernis stellen, Helden sind. Was bedeutet für Sie, für Ihre Aufgabe beim Bambino Gesù, das jeden Tag aufs Neue abgelegte Zeugnis der Eltern von Kindern, die in Ihr Krankenhaus eingeliefert werden?

Die Eltern zeigen einen enormen Mut, vor allem aber eine Ausdauer und eine Liebe, die tatsächlich bis zum Heldenmut gehen kann. Ich denke da etwa an Eltern, die aus Ländern kommen, wo die Kinder nicht behandelt werden können, und die wir hier aufnehmen. Sie kommen her, kennen die Sprache nicht, kennen die Kultur nicht, kennen das Ambiente nicht. Wir stellen ihnen eine kulturelle Mittelsperson für den Dialog mit den Ärzten zur Verfügung, aber davon abgesehen leben diese Menschen isoliert. Folglich sind auch sie Helden. Die Eltern sind Helden, die es sogar noch fertigbringen, ihr Lächeln, die Fassung zu bewahren. Den Müttern sage ich oft: »Geht zum Friseur, denn eure Kinder sollen euch schön und unbeschwert sehen.« Und sie bringen auch den Mut auf, es zu tun. Sicher, es gibt auch Eltern, die es nicht über sich bringen, sich vom Bett ihrer Kinder zu entfernen, und das führt manchmal zu Problemen in ihrer Beziehung und auch zu Problemen mit den gesunden Geschwistern zuhause. Es ist wirklich eine Welt für sich. Es ist eine komplizierte Welt, in der es viele Eltern sogar fertigbringen, auf der Station als Freiwillige zu arbeiten, wo eines ihrer Kinder gestorben ist, und das finde ich ganz außergewöhnlich.

Die Eltern bringen, wenn es um ihre Kinder geht, eine ungeheure Kraft auf…

Es gibt Abende, an denen ich, wenn ich das Krankenhaus verlasse, wirklich leide, wenn ich die Leute im Hof sehe, die da auf dem Boden sitzen… Gerade das ist der Grund dafür, dass ich jetzt daran arbeite, dem Krankenhaus einen würdigeren Standort zu geben. Es gibt Eltern, die monatelang neben dem Bett ihres Kindes auf einem Feldbett übernachten. Ich erinnere mich daran, wie viele Väter – zu der Zeit, als ich ernannt worden bin – im Auto übernachteten, weil die Mama beim Kind schlief. Heute haben wir auch für sie ein Gästehaus. Es gibt wirklich eine ungeheure Kraft der Eltern. Insofern: ja, in diesem Sinne können wir sagen, dass sie Helden sind, Helden der Liebe! Helden, keine Heiligenbildchen, denn sie sind wirkliche Menschen, die zu lieben verstehen, die es fertigbringen, ihren Kindern in die Augen zu sehen und sich freuen, sobald sie ihr Kind anlächelt und ihnen Mut macht, denn oft sind es die Kinder, die ihren Eltern Mut machen.

Gibt es – unter den vielen – irgendeine Geschichte, die Sie besonders berührt hat, die auch jenen Eltern eine Botschaft der Hoffnung zu vermitteln vermag, die sich augenblicklich in derselben Lage befinden?

Heutzutage werden, um ein Beispiel zu nennen, 85 Prozent der Leukämiekranken wieder gesund. Das ist eine Botschaft der Hoffnung, denn wenn früher von »Leukämie« die Rede war, dann galt das als ein Todesurteil. Die Transplantationen: Hier werden Leber-, Nieren-, Herztransplantationen vorgenommen… Wie viele Eltern spenden einen Teil ihrer Leber ihren Kindern, oder spenden ihnen eine Niere! Das gibt Grund zur Hoffnung, weil es die Möglichkeit schenkt, am Leben zu bleiben. Denken wir sodann an alle schweren dysmetabolischen Krankheiten. Ende Februar eröffnen wir ein erstes Zentrum für palliative Behandlungen, und mir liegt viel daran, von »palliativen Behandlungen« zu sprechen, denn, um die Botschaft des Papstes zum Welttag der Kranken aufzugreifen, diejenigen, die nicht geheilt werden können, müssen immer behandelt werden. Folglich behandeln wir sie! Es ist kein Hospiz: Es ist eine Pflegestätte, an der die Eltern auch lernen, selbst die Behandlungen ihrer Kinder zu übernehmen, die PEG-Magensonde zu wechseln, das Beatmungsgerät im Auge zu behalten. Das gestattet ihnen dann, sie nach Hause zu bringen. Später kommen sie wieder zurück, aber es muss ein Ort sein, wo sie sich trotz allem behandelt fühlen. Die schreckliche Geschichte von Charlie Gard und Alfie Evans hat mich tief geprägt. Ich habe mir gesagt: »Die Kinder können, ohne sinnlose Therapien, behandelt werden, auch wenn sie nicht geheilt werden können.«

Im Hinblick auf die zwischenmenschlichen Beziehungen hat COVID alles noch schwieriger gemacht. Wie haben Sie sich am Bambino Gesù organisiert, um das Leben der Eltern und der Kinder, die hier in Ihrem Krankenhaus sind, so »normal« wie möglich zu machen?

In erster Linie dadurch, dass wir den Eltern gestattet haben, immer präsent zu sein. Sodann muss ich sagen, dass ich beispielsweise veranlasst habe – und zwar auch schon vor COVID – dass die Eltern in die Intensivstation zu ihren Kindern gehen durften, weil es für mich schrecklich war, an Eltern zu denken, die draußen vor der Tür auf Nachrichten über ihre Kinder warten. Deshalb habe ich darum gebeten, dass sie Zutritt zur Intensivstation erhielten. Die Ärzte haben ein wenig Widerstand geleistet, aber dann haben sie eingesehen, dass das im Grunde dazu beitrug, den Zustand des Kindes zu verbessern. So konnte beispielsweise, als Kinder stationär in unserer Zweigstelle in Polidoro eingewiesen wurden, ein Elternteil – und wenn er oder sie positiv waren, galt das noch mehr, aber auch, wenn sie nicht positiv waren – im Zimmer beim Kind sein. So hatten wir den Fall eines 17-Jährigen mit Autismus, dem wir immer einen Pfleger oder eine Krankenschwester zur Seite stellen mussten, weil es wirklich kompliziert ist, einen an Autismus leidenden Jungen ins Zimmer zu sperren, aber da war immer auch seine Mutter da.

Sie haben vom Heldentum der Eltern gesprochen, die im Bambino Gesù liegen. Aber auch viele der Ärzte, des Pflegepersonals, der Gesundheitsfachkräfte dort sind Eltern. Was bewundern Sie an ihnen am meisten?

Dies ist ein wirklich ganz besonderes Krankenhaus, wo die Ärzte wirklich hingebungsvoll arbeiten. In ihrer Eigenschaft als Eltern können sie das Leiden noch viel besser verstehen. Ärzte, die am ersten Weihnachtsfeiertag vom Tisch aufstehen und aufbrechen, um in Griechenland ein Kind zu holen, das ins Krankenhaus muss oder um ein Herz für eine Transplantation zu transportieren. In dieser Zeit, in der die Zahl der COVID-positiven Kinder zugenommen hat, gab es Ärzte, die – ohne Bereitschaftsdienst zu haben – Weihnachten und Neujahr ruhig hier verbrachten, ohne sich jedoch als Helden zu fühlen. Das kommt ihnen ganz natürlich, ganz spontan. Ich denke, dass das eine große Besonderheit dieses Krankenhauses, dieser menschlichen und wissenschaftlichen Gemeinschaft ist. Und dann herrscht da ein Ton, dessen wir uns nicht rühmen, der aber sehr präsent ist: ein geistiges Raunen. In der Kommunikation, in der Liebe, in der Empathie kommt dieser Sinn für eine gelebte Spiritualität, für eine verkörperte Spiritualität, wirklich zum Tragen.

Das Bambino Gesù befindet sich in Rom, aber in den letzten Jahren hat es die Horizonte seiner Einsätze immer weiter ausgedehnt, vor allem zugunsten von Kindern in Kriegsgebieten oder in Gebieten, wo äußerste Armut herrscht: Syrien, Zentralafrika, Kambodscha… Wie sieht im Hinblick auf dieses Engagement Ihr Traum für die nahe Zukunft aus?

Wir leisten eine großartige Ausbildungsarbeit. Was wir tun können ist, dass wir das enorme Wissen weitergeben, über das dieses Krankenhaus verfügt: die wissenschaftliche Forschung, in die wir viel investieren. Das alles ist ein ungeheurer Wissensschatz. Und der kann und darf nicht nur uns gehören. Man muss ihn den anderen schenken. Insofern sind für mich das Allerwichtigste die Schulungen bzw. Weiterbildungen, die wir, oft auch persönlich, und jetzt auch über eine mehrsprachige Online-Plattform, ermöglicht haben. Auch mit Ländern kommunizieren, von denen manch einer denkt, dass es unmöglich sei, dass dort etwas rezipiert würde. Man muss Vertrauen in diese Leute setzen, an sie glauben, sonst hinken sie im Vergleich mit uns immer hinterher. So haben wir beispielsweise in Syrien mit dem staatlichen Krankenhaus zusammengearbeitet. Unsere Ärzte sind in einer schwierigen Zeit dorthin gegangen und haben die Nachwuchsmediziner dort unterrichtet. Ihr könnt euch die Genugtuung darüber gar nicht vorstellen, wie viele bestimmte Verfahren sie ihnen haben beibringen können. Dieses Krankenhaus war eine Hölle, aber wir haben daran geglaubt, und statt nur etwas zu bringen – die Arzneien, die Maschinen –, haben wir Erfahrung und Wissen gebracht. Wir haben der Versuchung der Bevormundung nicht nachgegeben. Derzeit haben wir ein Projekt für Fernunterricht für Personal im Gesundheitswesen in Libyen am Laufen. Das sind die Dinge, die ich heute für am Wichtigsten halte. Wir setzen uns hartnäckig dafür ein, und ich denke, dass auch das ein Geschenk ist, das der Papst der Welt macht.

(Orig. ital. in O.R. 22.01.2022)

Von Alessandro Gisotti