Der jüdische Antikenkenner Ludwig Pollak prägte den Kunsthandel Roms fast 50 Jahre lang. Dem Vatikan schenkte er den fehlenden Arm des
Laokoon, den er 1903 bei einem Steinmetz entdeckt hatte. Pollak starb mit seiner Familie in Auschwitz. Nun wurden vor seiner letzten Wohnstatt »Stolpersteine« verlegt.
Vor dem römischen Palazzo Odescalchi gegenüber der Kirche Santi Apos-toli glänzen seit Donnerstag, 20. Januar, vier kleine Messing-tafeln im Straßenpflaster. Sie tragen die Namen, Geburts- und Sterbedaten von Ludwig Pollak, seiner Frau und seinen beiden erwachsenen Kindern. Die »Stolpersteine« des deutschen Künstlers Gunter Demnig erinnern auf Straßen in ganz Europa an Menschen, die in Hitlers »Drittem Reich« ermordet oder deportiert wurden.
Zu seinen Lebzeiten galt der altösterreichische Antikenhändler Ludwig Pollak als höchst angesehene Persönlichkeit im Kulturleben Roms. »Er ist ein sehr umtriebiger, erfolgreicher, interessanter, eloquenter, sympathischer, voller Energie steckender Mensch gewesen, der sehr viele Persönlichkeiten kannte«, so beschreibt ihn die Kunsthistorikerin Tatjana Bartsch, sie ist Fotothekarin an der Bibliotheca Hertziana, dem deutschen Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte in Rom, wo Pollak über Jahrzehnte Stammgast war. »Für uns heute ist er auch deshalb sehr interessant, weil die ganze Geschichte des Kunsthandels in Rom in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Pollak sich widerspiegelt.«
Rom und seine
Schätze im Erdreich
Geboren 1868 in Prag in eine einfache jüdische Textilhändlerfamilie, studierte und promovierte Pollak in Wien. Als von der Antike beseelter Archäologe ging er 1895 nach Rom, wo er für den Rest seines Lebens blieb. Dem Kunsthändler, Antiquar, Sammler und Privatgelehrten fehlte es nicht an Beschäftigung. Denn Rom wuchs rasant, vieles wurde um- und neugebaut in jenen Jahrzehnten, und oft genug fanden sich im Erdreich, sowie man einen Keller aushob, 2000 Jahre alte Schätze, die stofflichen Zeugen von Roma Caput Mundi. In Dutzenden kleineren und größeren Steinmetz-Magazinen Roms machten Kenner wie Pollak ihre Entdeckungen.
»Pollak verband auf eine ganz besondere Weise die klassische gelehrte Bildung mit einem unglaublich praktischen Spürsinn«, vermerkt Tatjana Bartsch. »Er hatte, wie die Italiener sagen, ›naso‹, einen großartigen Spürsinn. Er konnte hervorragend Echtes und Falsches unterscheiden. Pollak hatte aber auch die Kontakte, diese Stücke dann an den Mann zu bringen, in Museen weltweit. Er hat Antiken vermittelt bis hin nach New York.«
Seinen spektakulärsten Fund machte Pollak 1903. Bei einem Steinmetz entdeckte er den fehlenden Arm der Laokoon-Gruppe. Diese Skulptur gilt als berühmteste Antike der Welt und steht seit ihrer Wiederentdeckung 1506 im Vatikan, mehr noch: Sie ist der Grundstein der Vatikanischen Museen.
»Jeder andere wäre an diesem unscheinbaren Fragment vorübergegangen. Aber Pollak wusste sofort, was er vor sich sah, denn diese Steinmetz-Werkstatt befand sich am Fuße des Colle Oppio, keine zwanzig Meter entfernt von der Domus Aurea, wo die originale Laokoon Gruppe 1506 gefunden worden ist. Und das wusste Pollak, und er wusste natürlich auch, dass der rechte Arm des Laokoon eine moderne Ergänzung darstellt, dass also der originale fehlte.«
Fiebernd, wie wir annehmen können, erwarb Pollak das Marmorfragment und brachte es nach Hause. Dort zeigte er es dem Direktor der Vatikanischen Museen, Bartolomeo Nogara, den er gut kannte. Noch waren beide nicht sicher, ob der Arm zum echten Laokoon gehörte oder zu einer späteren Kopie. »Und nichtsdestotrotz hat Pollak dann beschlossen, er kann mit diesem Fragment natürlich nichts anderes machen, als es in die Vatikanischen Museen zu bringen. Und mit dem Papst macht man auch keine Geschäfte, das ist ganz klar.«
So schenkte der jüdische Antikenhändler dem Papst den fehlenden Arm der weltberühmten Skulptur, die seit 400 Jahren Generationen von Gelehrten und gebildeten Kunstliebhabern auf »Grand Tour« in den Vatikan zog. Der Arm erwies sich als der echte. Wer heute den Laokoon im Achteckigen Hof der Vatikanischen Museen sieht, sieht ihn mit dem von Pollak gefundenen Arm.
1938:
Alles wird anders
1938 änderte sich das Leben jüdischer Bürger auch in Italien radikal. Österreich wurde mit dem sogenannten »Anschluss« Teil des nationalsozialistischen Deutschlands, und nach einem Besuch Hitlers bei Mussolini erließ Italien antijüdische Rassegesetze nach dem Vorbild des »Dritten Reiches«. Ludwig Pollak, der häufig für seine Forschungen die Bibliotheca Hertziana besucht hatte, hatte dort schon 1935 Hausverbot erhalten. Ein kompletter Bruch mit allem, was vorher war.
»Denn Pollak ist für unser Institut eine sehr wichtige Figur, im Grunde genommen über die gesamten ersten 40, 50 Jahre des Instituts hinweg«, bestätigt Tatjana Bartsch. »Er war mit unserer Gründerin Henriette Hertz gut bekannt, die ja auch Jüdin war. Er war einer der häufigsten Benutzer unserer Bibliothek. Wir treffen Pollak in sämtlichen Besucherbüchern, aber auch fast allen Veranstaltungen, die das Institut ausgerichtet hat.«
Mehr noch: »Er hat der Bibliothek Bücher und der Fotothek Fotos geschenkt. Aus seinen Tagebüchern und Memoiren erfahren wir viel über unsere eigene Geschichte. Insofern begegnet er uns ständig wieder, auch in unseren eigenen Forschungen. Er ist eine Art unsichtbares Hausmitglied.«
Im September 1943 besetzen die Nationalsozialisten das inzwischen zum Feindesland gewordene Rom. Einen Monat später: die Judenrazzia. Frühmorgens am 16. Oktober werden Ludwig Pollak, seine Frau Julia und seine beiden erwachsenen Kinder wie 1.000 weitere Juden in ihren Häusern festgenommen und zur Militärschule am Tiber gebracht. Unweit davon, im Vatikan, ist Bartolomeo Nogara entsetzt über diese Nachricht. In einem Brief an die deutschen Autoritäten versucht der Museumsdirektor, Pollak und seine Familie zu retten. Das Schreiben hat sich im Archiv der Museen erhalten. Pollak habe sich nie politisch betätigt, argumentiert Nogara, er sei »auf die korrekteste und ehrenhafteste Weise« seinem Beruf als Antikenhändler nachgegangen, genieße überall Ansehen, beim Deutschen Archäologischen Institut in Rom wie auch im Vatikan, Nogara führt sogar den geschenkten Arm des Laokoon ins Feld. Umsonst. Der Zug mit Familie Pollak ist abgefahren, direkt nach Auschwitz. Alle vier sterben am 23. Oktober 1943 in den Gaskammern.
Die Initiative zur Verlegung der »Stolpersteine« für Familie Pollak kam aus der Bibliotheca Hertziana. »Es für viele von uns auch ein Bedürfnis zu sagen, wir möchten, dass auch im öffentlichen Stadtraum Roms an Pollak gedacht wird«, so Tatjana Bartsch, die treibende Kraft hinter der Aktion. Was sie sich erhofft von den »Stolpersteinen« vor dem Palazzo Odescalchi? »Natürlich soll man erst mal darüber stolpern… Pollak, seine Frau, seine Kinder wurden als Juden deportiert und als Juden ermordet. Und an dieses Unrecht müssen wir immer erinnern. Das darf nicht vergessen werden, auch wenn es jetzt schon fast 80 Jahre her ist.«
Von Gudrun Sailer