Audienz für die Teilnehmer an der Vollversammlung der Kongregation für die Glaubenslehre

Notwendige Schritte der Wiedergutmachung

 Notwendige Schritte der Wiedergutmachung  TED-005
04. Februar 2022

Meine Herren Kardinäle,

liebe Mitbrüder im bischöflichen

und priesterlichen Dienst,

liebe Brüder und Schwestern!

Mit Freude empfange ich euch zum Abschluss der Arbeiten eurer Vollversammlung. Ich danke dem Präfekten für seine Einführung und begrüße euch alle, die Oberen, Beamten und Mitglieder der Kongregation für die Glaubenslehre. Erneut möchte ich euch meine Dankbarkeit aussprechen für euren wertvollen Dienst an der Weltkirche bei der Förderung und Bewahrung der Integrität der katholischen Glaubens- und Sittenlehre. Eine fruchtbringende Integrität.

Bei diesem Anlass möchte ich einige Gedanken mit euch teilen, die ich an drei Worten festmache: Würde, Unterscheidung und Glaube.

Das erste Wort: Würde. Wie ich am Anfang der Enzyklika Fratelli tutti geschrieben habe, ist es mein großer Wunsch, »dass wir in dieser Zeit, die uns zum Leben gegeben ist, die Würde jedes Menschen anerkennen und bei allen ein weltweites Streben nach Geschwisterlichkeit zum Leben erwecken« (Nr. 8). Wenn die Geschwisterlichkeit die Bestimmung ist, die der Schöpfer für den Weg der Menschheit vorgezeichnet hat, dann bleibt der Hauptweg dorthin die Anerkennung der Würde jedes Menschen.

In der heutigen Zeit jedoch, die von zahlreichen Auseinandersetzungen im sozialen sowie politischen Bereich und sogar im Gesundheitswesen geprägt ist, wächst die Versuchung, den anderen als Fremden oder Feind zu betrachten und ihm eine wirkliche Würde abzusprechen. Daher sind wir in dieser Zeit ganz besonders aufgefordert – »ob gelegen oder ungelegen« (2 Tim 4,2) und treu der zweitausendjährigen Lehre der Kirche folgend –, daran zu erinnern, dass die Würde jedes Menschen ein ihm wesenseigenes Merkmal ist und vom Augenblick seiner Empfängnis bis zu seinem natürlichen Tod besteht. Gerade die Bekräftigung einer solchen Würde ist die unerlässliche Voraussetzung für den Schutz einer persönlichen und sozialen Existenz und auch die notwendige Bedingung, damit Geschwisterlichkeit und soziale Freundschaft sich unter allen Völkern der Erde verwirklichen können.

Von Anfang ihrer Mission an hat die Kirche stets den unantastbaren Wert der Menschenwürde verkündet und gefördert. Denn der Mensch ist das Meisterwerk der Schöpfung: Er ist von Gott gewollt und geliebt als Partner seiner ewigen Ratschlüsse, und für sein Heil hat Jesus sein Leben hingegeben bis zum Tod am Kreuz für jeden Menschen, für einen jeden von uns.

Ich danke euch daher für die Reflexion über die Bedeutung der Menschenwürde, die ihr begonnen habt, unter Berücksichtigung der Herausforderungen, die die aktuelle Realität in dieser Hinsicht stellt.

Das zweite Wort ist Unterscheidung. Von den Gläubigen wird heute immer mehr die Kunst der Unterscheidung der Geister gefordert. Im Epochenwandel, den wir erleben, stehen die Gläubigen einerseits vor völlig neuen und komplexen Problemen, andererseits gibt es ein steigendes Bedürfnis nach Spiritualität, das nicht immer im Evangelium seinen Bezugspunkt findet. So geschieht es nicht selten, dass man es mit vorgeblichen übernatürlichen Phänomenen zu tun hat, hinsichtlich derer das Volk Gottes sichere, begründete Erklärungen erhalten muss.

Die Übung der Unterscheidung der Geister findet dann einen notwendigen Anwendungsbereich im Kampf gegen Missbrauch jeder Art. Mit Gottes Hilfe setzt die Kirche sich derzeit entschlossen dafür ein, den Opfern von Missbrauchstaten, die durch ihre Mitglieder verübt wurden, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, und wendet dabei mit besonderer Sorgfalt und Strenge das vorgesehene kanonische Recht an. Vor diesem Hintergrund habe ich vor kurzem die Normen in Bezug auf die der Glaubenskongregation vorbehaltenen Straftaten aktualisiert, mit dem Wunsch, dem gerichtlichen Vorgehen größere Wirksamkeit zu verleihen. Dies allein reicht aber nicht aus, um dem Phänomen Einhalt zu gebieten, doch ist es ein notwendiger Schritt zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit, zur Wiedergutmachung des Skandals und zur Besserung des Täters.

Ein ähnliches Unterscheidungsbemühen kommt auch in einem anderen Bereich zum Ausdruck, der euch täglich beschäftigt: die Auflösung des Ehebandes in favorem fidei. Wenn die Kirche kraft ihrer petrinischen Vollmacht die Auflösung eines nicht-sakramentalen Ehebandes gewährt, dann handelt es sich nicht nur darum, kirchenrechtlich gesehen eine Ehe zu beenden, deren Scheitern eine Tatsache ist, sondern in Wirklichkeit soll durch diesen ausgesprochen pastoralen Akt stets der katholische Glaube – in favorem fidei! – in der neuen Verbindung und in der Familie gefördert werden, deren Kern die neue Ehe sein wird.

Und hier möchte ich auch kurz auf die Notwendigkeit der Unterscheidung beim synodalen Prozess eingehen. Jemand könnte meinen, dass der synodale Prozess darin besteht, alle anzuhören, eine Umfrage zu machen und die Ergebnisse mitzuteilen. So und so viele Stimmen… Nein. Ein synodaler Prozess ohne Unterscheidung der Geister ist kein synodaler Prozess. Man muss beim synodalen Prozess kontinuierlich Unterscheidung üben in Bezug auf die Meinungen, die Standpunkte, die Reflexionen. Man kann den synodalen Prozess nicht voranbringen ohne Unterscheidung. Diese Unterscheidung ist das, was aus einer Synode eine wahre Synode macht, deren wichtigste Persönlichkeit, sagen wir es einmal so, der Heilige Geist ist, und kein Parlament oder eine Meinungsumfrage, die die Medien machen können. Daher möchte ich unterstreichen: Beim synodalen Prozess ist Unterscheidung wichtig.

Das letzte Wort ist Glaube. Eure Kongregation ist nicht nur aufgerufen, den Glauben zu verteidigen, sondern ihn auch zu fördern. Ohne Glaube wäre die Präsenz der Gläubigen in der Welt auf die einer humanitären Hilfsorganisation beschränkt. Der Glaube muss die Herzmitte des Lebens und Handelns jedes Getauften sein. Und zwar kein genereller, unklarer Glaube, als wäre es verwässerter Wein, der seinen Wert verliert, sondern ein echter, aufrichtiger Glaube, wie ihn der Herr möchte, wenn er zu seinen Jüngern sagt: »Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn…« (Lk 17,6). Daher dürfen wir niemals vergessen, »dass ein Glaube, der uns nicht in eine Krise führt, ein Glaube in Krise ist; ein Glaube, der uns nicht wachsen lässt, ist ein Glaube, der wachsen muss; ein Glaube, der nicht Fragen aufwirft, ist ein Glaube, über den wir uns Fragen stellen müssen; ein Glaube, der uns nicht belebt, ist ein Glaube, der belebt werden muss; ein Glaube, der uns nicht erschüttert, ist ein Glaube, der erschüttert werden muss« (Ansprache an die Römische Kurie, 21. Dezember 2017).

Geben wir uns nicht mit einem halbherzigen, gewohnheitsmäßigen, lehrbuchhaften Glauben zufrieden. Arbeiten wir mit dem Heiligen Geist zusammen und arbeiten wir untereinander zusammen, damit das Feuer, das Jesus in die Welt gebracht hat, weiter brennen und die Herzen vieler entzünden kann.

Meine Lieben, ich danke euch von Herzen für eure Arbeit und ermutige euch, mit der Hilfe des Herrn voranzugehen. Und bitte vergesst nicht, für mich zu beten. Danke.

(Orig. ital. in O.R. 21.1.2022)