Bevor ich einige Gedanken mit euch teile, möchte ich Seiner Eminenz Metropolit Polykarpos, dem Vertreter des Ökumenischen Patriarchats, Seiner Gnaden Ian Ernest, dem persönlichen Vertreter des Erzbischofs von Canterbury in Rom, und den Vertretern der anderen anwesenden christlichen Gemeinschaften meinen Dank aussprechen. Und ich danke euch allen, Brüder und Schwestern, dass ihr zum Gebet gekommen seid. Ich begrüße insbesondere die Studenten: die des Ecumenical Institute of Bossey, die ihre Kenntnis der katholischen Kirche vertiefen; die anglikanischen Studenten des Nashotah College in den Vereinigten Staaten von Amerika; die orthodoxen und orientalisch-orthodoxen Studenten, die ihrem Studium durch das Stipendium des Komitees für die kulturelle Zusammenarbeit mit den orthodoxen Kirchen nachgehen. Nehmen wir den schmerzvollen Wunsch Jesu an, der will, dass wir »eins« sind (Joh 17,21), und gehen wir mit seiner Gnade auf die volle Einheit zu!
Die Sterndeuter helfen uns auf dieser Reise. Schauen wir uns heute Abend ihre Wegstrecke an, die aus drei Etappen besteht: Sie beginnt im Osten, führt durch Jerusalem und erreicht schließlich Betlehem.
1. Zunächst machten sich die Sterndeuter »aus dem Osten« (Mt 2,1) auf den Weg, denn von dort her sahen sie, wie der Stern aufstieg. Sie brechen von Osten her auf, von dort, wo das Sonnenlicht aufgeht, aber sie sind auf der Suche nach einem größeren Licht. Diese Weisen geben sich nicht mit ihrem eigenen Wissen und ihren Traditionen zufrieden, sondern wollen mehr. So begeben sie sich auf eine riskante Reise, getrieben von der Unruhe der Suche nach Gott. Liebe Brüder und Schwestern, lasst auch uns dem Stern Jesu folgen! Lassen wir uns nicht vom Schein der Welt ablenken, der nur mit Sternschnuppen leuchtet. Folgen wir nicht den Moden des Augenblicks, die erlöschende Meteoren sind; folgen wir nicht der Versuchung, in unserem eigenen Licht zu glänzen, das heißt, uns in unserer eigenen Gruppe abzuschotten und uns selbst zu bewahren. Unser Blick soll auf Christus, auf den Himmel gerichtet sein, auf den Stern Jesu. Folgen wir ihm, seinem Evangelium, seiner Einladung zur Einheit, ohne uns Gedanken darüber zu machen, wie lang und beschwerlich der Weg sein wird, um sie ganz zu erreichen. Vergessen wir nicht, dass die Kirche, unsere Kirche, auf dem Weg der Einheit in ihrem Schauen auf das Licht weiterhin das »mysterium lu-nae« ist. Wir wollen uns gemeinsam danach sehnen und zusammen fortschreiten und uns gegenseitig unterstützen, wie es die Sterndeuter taten. Die Tradition hat sie oft in vielfältigen Kleidern dargestellt, um die Verschiedenheit der Völker zu zeigen. In ihnen spiegeln sich unsere Unterschiede, unsere verschiedenen Traditionen und christlichen Erfahrungen wider, aber auch unsere Einheit, die aus derselben Sehnsucht entspringt: auf den Himmel zu schauen und auf der Erde gemeinsam zu gehen. Gehen.
Der Osten lässt uns auch an die Christen denken, die in verschiedenen durch Krieg und Gewalt dezimierten Regionen leben. Eben darum hat der Rat der Kirchen im
Nahen Osten die Texte für diese Gebetswoche vorbereitet. Diese unsere Brüder und Schwes-tern haben viele schwierige Herausforderungen zu bewältigen, doch mit ihrem Zeugnis geben sie uns Hoffnung: Sie erinnern uns daran, dass der Stern Christi in der Dunkelheit leuchtet und nicht untergeht; dass der Herr aus der Höhe unsere Schritte begleitet und ermutigt. Um ihn herum, im Himmel, leuchtet eine Vielzahl von Märtyrern gemeinsam ohne Unterschied der Konfession: Sie zeigen uns auf der Erde einen eindeutigen Weg, den der Einheit!
2. Die Sterndeuter aus dem Osten kommen in Jerusalem an, mit der Sehnsucht nach Gott im Herzen, und sagen: »Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen« (V. 2). Doch von ihrer Sehnsucht nach dem Himmel werden sie in die harte Realität der Erde zurückgebracht: »Als König Herodes das hörte«, sagt das Evangelium, »erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem« (V. 3). In der heiligen Stadt sehen die Sterndeuter nicht das Licht des Sterns sich widerspiegeln, sondern erleben den Widerstand der dunklen Mächte der Welt. Nicht nur Herodes fühlt sich von der Neuheit eines Königtums bedroht, das sich von dem durch die weltliche Macht korrumpierten unterscheidet, sondern ganz Jerusalem wird durch die Ankündigung der Sterndeuter beunruhigt.
Auch auf unserem Weg zur Einheit können wir aus demselben Grund ins Stocken geraten, der jene Menschen lähmte: die Angst, die Verstörung. Es ist die Furcht vor dem Neuen, die Gewohnheiten und erworbene Sicherheiten ins Wanken bringt; es ist die Angst, dass der andere meine Traditionen und gefes-tigten Schemata infrage stellt. Aber im Grunde ist es die Angst, die im menschlichen Herzen wohnt und von der uns der auferstandene Herr befreien will. Lassen wir seinen österlichen Zuspruch auf unserem Weg der Gemeinschaft ertönen: »Fürchtet euch nicht« (Mt 28,5.10). Haben wir keine Angst, den Bruder oder die Schwester unseren Ängsten voranzustellen! Der Herr möchte, dass wir einander vertrauen und miteinander gehen, trotz unserer Schwächen und Sünden, trotz vergangener Fehler und gegenseitiger Verletzungen.
Das Ereignis der Sterndeuter ermutigt uns auch darin. In Jerusalem, einem Ort der Enttäuschung und des Widerstands, wo der vom Himmel gewiesene Weg an den vom Menschen errichteten Mauern zu zerbrechen scheint, entdecken sie den Weg nach Betlehem. Es sind die Priester und Schriftgelehrten, die den Hinweis geben, indem sie die Schrift durchforschen (vgl. Mt 2,4). Die Sterndeuter finden Jesus nicht nur dank des Sterns, der inzwischen verschwunden ist; sie benötigen das Wort Gottes. Auch wir Chris-ten können den Herrn nicht ohne sein lebendiges und wirksames Wort erreichen (vgl. Hebr 4,12). Es ist dem ganzen Volk Gottes gegeben worden, damit es gemeinsam mit dem ganzen Volk Gottes empfangen, gebetet und betrachtet wird. Nähern wir uns also Jesus durch sein Wort, aber nähern wir uns durch das Wort Jesu auch unseren Geschwis-tern. Sein Stern wird auf unserem Weg erneut aufgehen und uns Freude schenken.
3. So erging es auch den Sterndeutern, als sie die letzte Etappe erreichten: Betlehem. Dort betreten sie das Haus, werfen sich nieder und huldigen dem Kind (vgl. Mt 2,11). So findet ihre Reise den Abschluss: gemeinsam, im selben Haus, in der Anbetung. Die Sterndeuter gehen damit den Jüngern Jesu voraus, die sich am Ende des Evangeliums auf dem Berg in Galiläa vor dem auferstandenen Herrn niederwerfen (vgl. Mt 28,17). Sie werden so zu einem prophetischen Zeichen für uns, die wir uns nach dem Herrn sehnen, die wir auf den Straßen der Welt Weggefährten sind, die wir durch die Heilige Schrift die Zeichen Gottes in der Geschichte suchen. Brüder und Schwestern, auch für uns kann die volle Einheit im selben Haus nur durch die Anbetung des Herrn entstehen. Liebe Schwestern und liebe Brüder, die entscheidende Etappe auf dem Weg zur vollen Gemeinschaft erfordert ein intensiveres Gebet, sie erfordert die Anbetung, sie verlangt die Anbetung Gottes.
Die Sterndeuter erinnern uns jedoch daran, dass wir einen Schritt vollziehen müssen, um anzubeten: Zuerst müssen wir uns niederwerfen. Das ist der Weg: sich niederbeugen, die eigenen Ansprüche beiseiteschieben, um nur den Herrn im Mittelpunkt zu lassen. Wie oft ist der Stolz das eigentliche Hindernis für die Gemeinschaft gewesen! Die Sterndeuter hatten den Mut, Prestige und Ansehen zu Hause zu lassen und sich in die Erniedrigung der armen Hütte in Betlehem zu begeben; so entdeckten sie »eine große Freude« (Mt 2,10). Demütig werden, verlassen, einfach werden: Bitten wir Gott heute Abend um diesen Mut, den Mut der Demut, den einzigen Weg, um Gott im selben Haus, am selben Altar anzubeten.
Nachdem die Sterndeuter sich in Anbetung niedergeworfen haben, öffnen sie in Betlehem ihre Schatullen und bringen Gold, Weihrauch und Myrrhe zum Vorschein (vgl. V. 11). Das erinnert uns daran, dass wir uns nur nach dem gemeinsamen Gebet, nur vor Gott, in seinem Licht, der Schätze, die jeder von uns besitzt, wirklich bewusstwerden. Aber es sind Schätze, die allen gehören, die dargeboten und geteilt werden müssen. Es sind in der Tat Gaben, die der Geist für das Wohl aller, für den Aufbau und die Einheit seines Volkes bestimmt. Wir werden dessen gewahr, wenn wir beten, aber auch, wenn wir dienen: Wenn wir den Bedürftigen etwas geben, bringen wir es Jesus dar, der sich mit den Armen und Ausgegrenzten identifiziert (vgl. Mt 25,34-40); und er verbindet uns miteinander.
Die Gaben der Sterndeuter versinnbilden, was der Herr von uns empfangen möchte. Gott soll das Gold, das kostbarste Element, erhalten; denn Gott steht an erster Stelle. Auf ihn müssen wir schauen, nicht auf uns; auf seinen Willen, nicht auf den unseren; auf seine Wege, nicht auf die unseren. Wenn der Herr wirklich an erster Stelle steht, können sich unsere Entscheidungen, auch die kirchlichen, nicht mehr nach der Politik der Welt richten, sondern nur nach den Wünschen Gottes. Und dann ist da der Weihrauch, der uns an die Bedeutung des Gebets erinnert, das wie ein wohlgefälliger Duft zu Gott aufsteigt (vgl. Ps 141,2). Lasst uns nicht müde werden, füreinander und miteinander zu beten. Die Myrrhe schließlich, die zur Verehrung des vom Kreuz herabgenommenen Leibes Jesu eingesetzt werden wird (vgl. Joh 19,39), verweist uns auf die Sorge um das leidende Fleisch des Herrn, das in den Gliedern der Armen gepeinigt wird. Lasst uns den Bedürftigen dienen, lasst uns gemeinsam dem leidenden Jesus dienen!
Liebe Brüder und Schwestern, lassen wir uns von Sterndeutern den Weg weisen; machen wir es wie sie, die »auf einem anderen Weg« (Mt 2,12) nach Hause zurückkehrten. Ja, wie Saulus vor seiner Begegnung mit Christus müssen wir unsere Richtung ändern, die Route unserer Gewohnheiten und Vorteile umkehren, um den Weg zu finden, den der Herr uns zeigt, den Weg der Demut, den Weg der Geschwisterlichkeit und der Anbetung. Gib uns, Herr, den Mut, unsere Wege zu ändern, uns zu bekehren, deinem Willen zu folgen und nicht unseren eigenen Zweckmäßigkeiten; gemeinsam voranzuschreiten, auf dich zu, der du uns durch deinen Geist eins machen willst. Amen.