»Kein Prophet wird in seiner Heimat anerkannt«, ruft Jesus in der Synagoge von Nazaret aus. Auch er kommt in seiner Vaterstadt mit seiner Botschaft nicht an. Er versucht nicht, sich anzubiedern, seinen Zuhörern zu gefallen oder ihre Erwartungen zu bedienen, sondern geht auf Konfrontationskurs. Jesus deckt auf, was an festgefahrenen Überzeugungen, Ansprüchen und Hass in ihren Herzen verborgen ist – unter der Hülle anfänglichen Staunens und aufkeimender Bewunderung.
Christen haben als Getaufte Anteil an Jesu prophetischer Sendung. Das schließt immer auch ein, Zeichen des Widerspruchs zu sein und aus der Entscheidung für das Leben aus dem Geist Christi heraus andere Prioritäten zu setzen und Entscheidungen zu fällen. Es geht dabei nicht um Besserwisserei, Jenseitsfixierung oder kirchliche Parallelwelten. In unterschiedlichen Situationen werden sich Christen jedoch der Distanz bewusst zwischen ihrer Taufverpflichtung und dem, was »die Welt« (hier im Sinne von Gottvergessenheit und Widergöttlichem) treibt. »Jesus aber schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg«, heißt es im Evangelium. Auch Nachfolger Christi bleiben in der Welt, aber nicht unkritisch im Treiben dieser Welt.
Die Entschlossenheit, sich ganz von Jesus Christus (durch-)formen zu lassen, bringt Scheidung und Abschiede mit sich. Sie ist mit einem Sich-Treibenlassen, dem gedankenlosen Mitschwimmen im gesellschaftlichen Mainstream, nicht kon-form, sondern führt zur Absage an Denk- und Verhaltensweisen, die mit dem Evangelium und der Würde eines Getauften nicht vereinbar sind.
Distanz hilft, die nötige Freiheit zu gewinnen und einen klaren Blick für die Realität. Sie kann Hut heilsamen Widerstands sein. »Alles, was zur Tiefe drängt, braucht die Behütung eines gütigen Abseits«, notierte die Schriftstellerin Gertrud von Le Fort in ihren Aufzeichnungen und Erinnerungen. Nur so sind Weitblick, christliches Zeugnis und fruchtbarer Einsatz in dieser Welt auch heute möglich.
Sr. Manuela Scheiba OSB,
Abtei St. Gertrud – Alexanderdorf,
Am Mellensee