Audienz für die Teilnehmer am Generalkapitel der Theatiner

Identität, Gemeinschaft, Mission

  Identität, Gemeinschaft, Mission  TED-004
28. Januar 2022

Liebe Brüder, herzlich willkommen!

Ich empfange euch aus Anlass eures Generalkapitels: es ist das 164. Welch weiter Weg hinter diesen 164, was für eine lange, mit der Vorsehung Gottes zurückgelegte Strecke! Und wie groß muss daher die Dankbarkeit sein!

Ich danke dem Generaloberen für seine Worte und wünsche ihm eine gute Fortsetzung seines Dienstes, in dem er bestätigt wurde.

Im Thema, das in diesen Tagen eure Arbeiten leitet, tritt das Wort »Mission« hervor: »Theatiner für die Mission…« Ich schätze diese Wahl, die im Einklang steht mit der Grundausrichtung der Kirche, der der auferstandene Herr die Dynamik des »Aufbruchs« zur Evangelisierung eingeprägt hat, die jeden Christen und jede Gemeinschaft einbezieht (vgl. Evangelii gaudium, 20). »Mission« war auch die Inspirationsquelle für den Entwurf des neuen Dokuments für die Römische Kurie. Für euch ist diese Dynamik verbunden mit dem Charisma des heiligen Kajetan von Thiene und der Mitgründer des Ordens, das wir zusammenfassen können als apostolische Priesterfraternität, fest verwurzelt im geistlichen Leben und in der konkreten Nächstenliebe zu den Bedürftigen.

Ein Qualitätssprung

Im Leben des heiligen Kajetan – wie in dem vieler anderer heiliger Männer und Frauen – beeindruckt uns, zu sehen, wie es an einem bestimmten Punkt zu einem »Qualitätssprung« kommt, den wir mit biblischen Begriffen eher als »Berufung in der Berufung« bezeichnen würden oder als »zweite Bekehrung«. Es handelt sich um den Übergang von einem bereits guten und geachteten Leben zu einem heiligen Leben, ganz erfüllt von jenem »Mehr«, das vom Heiligen Geist kommt. Dieser Qualitätssprung ist es, der nicht nur das persönliche Leben jenes Mannes oder jener Frau wachsen lässt, sondern auch das Leben der Kirche. Er ist das, was sie in gewissem Sinn »reformiert«, indem er sie läutert und ihre dem Evangelium entspringende Schönheit hervortreten lässt.

Auf dieses Zeugnis, dieses »lebendige Evangelium«, können und müssen wir immer wieder Bezug nehmen, um auf dem persönlichen und dem gemeinschaftlichen Weg voranzukommen, wohl wissend, dass es »für einen Christen unmöglich ist, an seine eigene Sendung auf Erden zu denken, ohne sie als einen Weg der Heiligkeit zu begreifen« (Apostolisches Schreiben Gaudete et exsultate, 19). Auch der heilige Kajetan von Thiene zeigt uns, dass »jeder Heilige eine Mission ist«. Jeder Heilige und jede Heilige ist »ein Entwurf des Vaters, um zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte einen Aspekt des Evangeliums widerzuspiegeln und ihm konkrete Gestalt zu verleihen« (ebd.). Und von uns wird nicht so sehr verlangt, dass wir jenen Heiligen oder jene Heilige im wörtlichen Sinne nachahmen – der, den wir alle in Wirklichkeit nachahmen müssen, das ist Jesus Christus –, sondern dass wir von ihnen die »Methode« übernehmen, die geistliche Dynamik sozusagen, mit der sie das Evangelium gelebt haben, um es in unseren aktuellen Kontext zu übersetzen zu versuchen. Das ist es auch, was ihr euch mit dem allgemeinen Ziel eures Kapitels vorgenommen habt. Ich zitiere: »Das Theatinische Charisma aktualisieren, um auf die aktuellen Herausforderungen zu antworten, ausgehend von unserer Identität.«

Und von der Identität handelt auch das erste besondere Ziel. Darüber brauche ich euch na-türlich nichts zu lehren. Ich möchte nur einen grundlegenden Aspekt des Zeugnisses des heiligen Kajetan unterstreichen: Die Reform muss bei einem selbst anfangen. Als er nach Rom kam, um seine Arbeit
an der Päpstlichen Kurie aufzunehmen, bemerkte er den leider weit verbreiteten geistlichen und auch moralischen Niedergang. Und die Weltlichkeit, die Wurzel ist immer dort, die Weltlichkeit, die einen geistlichen und moralischen Niedergang verursacht. Und während er weiter seine Bürotätigkeit verrichtete, besuchte er regelmäßig das »Oratorium der Göttlichen Liebe«, pflegte das Gebet und die geistliche Formung. Und dann ging er in ein Krankenhaus, um den Patienten beizustehen. Das ist der Weg: Bei sich selbst beginnen, das Evangelium tiefer und kohärenter zu leben. Alle Heiligen verweisen uns auf diesen Weg. Sie sind die wahren Reformer der Kirche. Oder besser gesagt: Es ist der Heilige Geist, der die Kirche formt und reformiert, und das tut er durch das Wort Gottes und durch die Heiligen, die das Wort in ihrem Leben in die Praxis umsetzen. Immer bei sich selbst beginnen.

Euer zweites besonderes Ziel ist die Gemeinschaft. Auch hier sehen wir mit dem Blick auf den heiligen Kajetan, dass der Heilige Geist ihn nicht gedrängt hat, dies allein zu tun und einen individuellen Weg zu gehen. Nein. Er hat ihn berufen, eine Gemeinschaft von Regularkanonikern zu bilden, um das Evangelium entsprechend der Lebensform der Apostel zu leben.

Im Apostolischen Schreiben Gaudete et exsultate – das ihr nochmals lesen solltet, denkt daran, es wird immer gut tun! Mir tut es gut, es zu lesen, weil man vergisst, was man für die anderen geschrieben hat! – habe ich auf einige »heilige Gemeinschaften« hingewiesen, »die das Evangelium auf heroische Weise lebten« (Nr. 141). Und zu diesen könnte man sicher die eurer Mitgründer hinzufügen. Aber gewöhnlich besteht das christliche Leben in den Ordensfamilien und -gemeinschaften aus vielen alltäglichen Gesten. »Die Gemeinschaft, die die kleinen Details der Liebe bewahrt, wo die Mitglieder sich umeinander kümmern und einen offenen und evangelisierenden Raum bilden, ist Ort der Gegenwart des Auferstandenen, der sie entsprechend dem Heilsplan des Vaters heiligt« (ebd., 145).

Sich umeinander kümmern

Hier gibt es einen Satz, den ich unterstreichen möchte: Die Mitglieder kümmern sich umeinander. Brüder, die größte Pest in einer Ordenskongregation, in einer Ordensgemeinschaft besteht darin, dass die Brüder sich nicht umeinander kümmern, ja vielmehr, wenn das Klatschen beginnt. Bitte, ihr sollt jede Form von Klatsch und Tratsch beseitigen. Ihr sollt geweihte Männer sein, Männer des Evangeliums, aber Männer. Wenn du etwas gegen einen anderen hast, dann sollst du »die Hosen anhaben«, es ihm ins Gesicht zu sagen, ihm die Dinge ins Gesicht sagen oder schweigen. Oder jenes andere Kriterium, es dem sagen, der Abhilfe schaffen kann, das heißt den Oberen. Aber keine Grüppchen bilden, denn das ist die Spiritualität des »Holzwurms«, die die Kraft einer Ordensgemeinschaft zu Fall bringt. Bitte keinen Tratsch!

Und schließlich das dritte Ziel, das ihr euch vornehmt: die Mission. »Die Zeichen der Zeit unterscheiden, um das Reich Gottes mitten unter den Menschen zu verkünden und zu leben.« Eurem Gründungscharisma entsprechend ist eure Mission nicht die Mission »ad gentes«. Der heilige Kajetan hat Rom, Venedig und Neapel evangelisiert, und er tat dies vor allem durch das Zeugnis seines Lebens und die Werke der Barmherzigkeit, indem er jenes große »Protokoll« in die Tat umsetzte, dass Jesus uns mit dem Gleichnis vom Jüngsten Gericht in Matthäus 25 (V. 31-46) hinterlassen hat. Er und seine Gefährten haben jener Kirche gedient und sie wachsen lassen, die ein »Feldlazarett« ist, was wir auch heute brauchen. Ich ermutige euch, auf ihren Spuren voranzugehen, fügsam gegen-über dem Heiligen Geist, ohne starre Programme – hütet euch vor der Starrheit, denn die Starrheit ist eine Perversion, die aus dem Klerikalismus hervorgeht, das ist eine andere schlimme Sache, und hinter jeder Form von Starrheit ist etwas faul, immer –, sondern stets fest bleiben in den wesentlichen Dingen: Gebet, Anbetung, Gemeinschaftsleben, brüderliche Liebe, Armut und Dienst an den Armen. All dies mit einem apostolischen Herzen, mit der guten, dem Evangelium entsprechenden Sorge, zuerst das Reich Gottes zu suchen.

Liebe Brüder, wie ihr wisst, war unter den vom heiligen Kajetan evangelisierten Städten auch Buenos Aires! Das Fest des heiligen Kajetan am 7. August hat großen Zulauf. Die Leute verehren ihn als »Schutzpatron des Brotes und der Arbeit« und beten zu ihm. Seiner Fürsprache und der der Muttergottes vertraue ich euren Weg an. Von Herzen segne ich euch, all eure Mitbrüder und euren Einsatz für die Gemeinschaft und die Mission. Und bitte vergesst nicht, für mich zu beten. Danke!

Ich habe darum gebeten, eine kurze Studie über den Tratsch bringen zu lassen, die ein Apostolischer Nuntius vor kurzem angefertigt hat. Mit ist es nach dieser Ansprache eingefallen. Ich denke, es wird gut tun, wenn jeder ein Exemplar davon mit nach Hause nimmt, es ist gratis!

(Orig. ital. in O.R. 15.1.2022)