Audienz für die Teilnehmer an der Vollversammlung der Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens

Unterscheiden und begleiten

 Unterscheiden und begleiten  TED-003
21. Januar 2022

Liebe Brüder und Schwestern,

guten Tag!

Ich heiße euch herzlich willkommen zum Abschluss der Vollversammlung der Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens. Ich danke dem Präfekten, Kardinal João Braz de Aviz, für seine einführenden Worte. Ich begrüße den Sekretär, Erzbischof José Rodríguez Carballo, sowie alle anwesenden und hier nicht persönlich anwesenden Mitglieder des Dikasteriums. So viele Kardinäle im Dikas-terium, dies scheint fast ein Konklave zu sein!

Ich danke euch für all die Arbeit, die ihr tut, im Dienst am geweihten Leben in der Weltkirche. Ich möchte sagen: im Dienst am Evangelium. Denn alles, was wir tun, steht im Dienst des Evangeliums, und insbesondere dient ihr jenem »Evangelium«, das das geweihte Leben ist, damit es dies sein kann: Evangelium für die heutige Welt. Ich möchte euch Dank sagen, und ich möchte euch ermutigen, denn ich weiß, dass eure Aufgabe nicht leicht ist. Daher möchte ich meine Nähe zu allen zum Ausdruck bringen, die an die Zukunft des geweihten Lebens glauben. Ich bin euch nahe.

Ich denke zurück an den Geist, der den heiligen Johannes Paul II. beseelte, als er die Bischofssynode zu diesem Thema einberufen hat: Einerseits war da das Bewusstsein um eine schwierige und mühsame Zeit, mit Erneuerungserfahrungen, die nicht immer von positiven Ergebnissen gekrönt waren (vgl. Nachsynodales Apostolisches Schreiben Vita consecrata, 13). Es gab – und es gibt sie
heute noch mehr – die Wirklichkeit des zahlenmäßigen Rückgangs in verschiedenen Teilen der Welt. Vor allem aber herrschte und herrscht die Hoffnung vor, die auf der Schönheit des Geschenks gründet, das das geweihte Leben ist (vgl. ebd.). Eben das ist entscheidend: sich auszurichten auf das Geschenk Gottes, auf die Unentgeltlichkeit seines Rufs, auf die verwandelnde Kraft seines Wortes und seines Geistes. Mit dieser Haltung ermutige ich euch und alle, die in den verschiedenen Instituten und in den Teilkirchen den geweihten Männern und Frauen helfen, mit Vertrauen in die Zukunft zu blicken, ausgehend von einer »deuteronomischen« Erinnerung. Warum sage ich »deuteronomische Erinnerung«? Weil es sehr wichtig ist, sich zu erinnern. Jene Botschaft des Buches Deuteronomium: »Erinnere dich, Israel, erinnere dich.« Jene Erinnerung an die Geschichte, an die eigene Geschichte, jene des eigenen Instituts. Jene Erinnerung an die Wurzeln. Und das lässt uns wachsen. Wenn wir die Erinnerung verlieren, jene Erinnerung an die Wunder, die Gott in der Kirche, in unserem Institut, in meinem Leben – jeder kann das sagen – gewirkt hat, verlieren wir die Kraft und können kein Leben schenken. Darum sage ich »deuteronomische Erinnerung«.

Ich denke, dass sich euer Dienst, heute mehr denn je, in zwei Worten zusammenfassen lässt: »unterscheiden« und »begleiten«. Ich kenne die Vielzahl der Situationen, mit denen ihr täglich zu tun habt. Oft sind es komplexe Situationen, die gründlich untersucht werden müssen, in ihrer Geschichte, im Dialog mit den Oberen der Institute und mit den Hirten. Es ist die ernsthafte und geduldige Unterscheidungsfindung, die nur im Horizont des Glaubens und des Gebets stattfinden kann. Unterscheiden und begleiten. Besonders die in jüngerer Zeit gegründeten Gemeinschaften begleiten, die auch stärker der Gefahr der Selbstbezogenheit ausgesetzt sind.

Und in diesem Zusammenhang gibt es ein wesentliches Unterscheidungskriterium: die Fähigkeit einer Gemeinschaft, eines Instituts, »sich harmonisch in das Leben des heiligen Gottesvolkes einzufügen zum Wohl aller« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 130). Ist dieses Institut fähig, sich in das Leben des heiligen treuen Gottesvolkes einzufügen, oder nicht? Dieses Kriterium ist entscheidend für die Unterscheidung. Das geweihte Leben entsteht in der Kirche, wächst und kann Früchte des Evangeliums nur in der Kirche tragen, in der lebendigen Gemeinschaft des treuen Gottesvolkes: »Die Christen sollen von ihren Hirten über die Echtheit der Charismen und über die Integrität der Gründer in geeigneter Weise unterrichtet werden« (Motu proprio Authenticum charismatis, 1. November 2020).

Beim Unterscheiden und beim Begleiten gibt es einiges, dem stets Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Aufmerksamkeit gegen-über den Gründern, die manchmal zur Selbstbezogenheit neigen und sich als die einzigen Verwahrer oder Ausleger des Charismas fühlen, so als stünden sie über der Kirche. Aufmerksamkeit gegenüber der Berufungspastoral und der Ausbildung, die man den Kandidaten anbietet. Aufmerksamkeit darauf, wie der Dienst der Autorität ausgeübt wird, mit besonderer Rücksichtnahme auf die Trennung zwischen dem inneren Bereich und dem äußeren Bereich – ein Thema, das mir große Sorge macht –, auf die Dauer der Amtszeiten und auf die Anhäufung von Vollmachten. Und Aufmerksamkeit gegenüber dem Miss-brauch von Autorität und von Macht. Über letzteres Thema hatte ich ein kürzlich veröffentlichtes Buch in den Händen, von Salvatore Cernuzio über das Problem des Missbrauchs – nicht über aufsehenerregende Missbrauchsfälle, sondern über den täglichen Missbrauch, der der Kraft der Berufung schadet.

Was die Unterscheidung im Hinblick auf die Approbation neuer Institute, neuer Formen des geweihten Lebens oder neuer Gemeinschaften betrifft, so lade ich euch ein, die Zusammenarbeit mit den Diözesanbi-schöfen weiterzuentwickeln. Und ich ermutige die Hirten, nicht zurückzuschrecken und eure Begleitung vollumfänglich anzunehmen. Es liegt in der Verantwortung des Hirten, diesen Dienst zu begleiten und gleichzeitig anzunehmen. Durch diese Zusammenarbeit, dieses Zusammenwirken zwischen dem Dikasterium und den Bischöfen, kann auch vermieden werden, dass – wie das Konzil es verlangt –, voreilig unzweckmäßige oder kaum lebensfähige Institute entstehen (vgl. Dekret Perfectae caritatis, 19), vielleicht mit gutem Willen, denen aber etwas fehlt. Ihr leis-tet einen wertvollen Dienst durch euer Bestreben, den Hirten und dem Gottesvolk gute Unterscheidungskriterien zu liefern.

Das Aufeinander-Hören der Dikasterien des Heiligen Stuhls und der Hirten, ebenso wie der Generaloberen, ist ein wesentlicher Aspekt des synodalen Weges, den ihr begonnen habt. In einem weiteren und grundlegenderen Sinne würde ich jedoch sagen, dass die geweihten Männer und Frauen aufgerufen sind, einen wichtigen Beitrag zu diesem Prozess zu leisten: einen Beitrag, für den sie aus der Vertrautheit mit der Praxis der Geschwis-terlichkeit und des Miteinander-Teilens sowohl im Gemeinschaftsleben als auch bei der apostolischen Tätigkeit schöpfen – oder schöpfen sollten.

Zu Beginn habe ich von der »deuteronomischen« Erinnerung gesprochen, und mir kommt – bezüglich der Erinnerung an die Wurzeln – etwas in den Sinn, was Maleachi sagt: Was ist die Strafe Gottes? Wenn Gott einen Menschen, ein Volk oder – sagen wir – eine Institution vernichten will, dann lässt er sie, wie Maleachi sagt, »ohne Wurzeln und ohne Triebe« zurück. Wenn wir nicht diese deuteronomische Erinnerung haben und nicht den Mut haben, von dort den Saft zu nehmen, um zu wachsen, dann werden wir auch keine Triebe haben. Ein starker Fluch: ohne Wurzeln und ohne Triebe zu sein.

Liebe Brüder und Schwestern, ich danke euch für die tägliche Arbeit, die ihr im Rahmen der Unterscheidung und der Begleitung vollbringt. Der Herr segne euch, und die Gottesmutter schütze euch. Und – wie die Spanier sagen – »paso la gorra« [ich bitte um ein Almosen] und bitte euch, für mich zu beten, denn ich brauche es. Einen guten Weg durch den Advent und gesegnete Weihnachten!

(Orig. ital. in O.R. 11.12.2021)