Begegnung mit Bischöfen, Priestern, Ordensleuten, Seminaristen und Katechisten

Begegnung in der Kathedrale St. Dionysius Areopagita in Athen

 Begegnung in der Kathedrale St. Dionysius Areopagita in Athen  TED-050
17. Dezember 2021

Liebe Brüder im Bischofsamt,

liebe Priester, Ordensleute und

Seminaristen,

liebe Brüder und Schwestern,

kalispera sas! [Guten Abend!]

Ich danke euch sehr herzlich dafür, wie ihr mich empfangen habt, und für die Grußworte, die Erzbischof Rossolatos an mich gerichtet hat. Und ich danke Ihnen, Schwester, für Ihr Zeugnis: Es ist wichtig, dass Ordensmänner und -frauen ihren Dienst in diesem Geist tun, mit einer leidenschaftlichen Liebe, die zu einem Geschenk für die Gemeinschaft wird, in die sie gesandt sind. Danke! Danke auch an Rokos für das schöne Zeugnis des Glaubens, den er in seiner Familie, im täglichen Leben, zusammen mit den Kindern lebt, die sich, wie viele junge Menschen, ab einem gewissen Punkt Fragen stellen, sich selbst in Frage stellen und ein wenig kritisch gegenüber einigen Dingen werden. Aber das ist auch gut so, denn es hilft uns als Kirche, nachzudenken und etwas zu ändern.

Ich freue mich, euch in einem Land zu begegnen, das ein Geschenk ist, ein Erbe der Menschheit, das Fundament, auf dem der Westen errichtet wurde. Wir alle sind ein biss-chen Kinder und Schuldner eures Landes: Ohne die Poesie, die Literatur, die Philosophie und die Kunst, die sich hier entwickelt haben, könnten wir viele Facetten der menschlichen Existenz nicht verstehen und auch viele innere Fragen über Leben, Liebe, Schmerz und auch den Tod nicht zufriedenstellend beantworten.

Inmitten dieses reichen Erbes wurde hier am Anfang des Christentums eine »Werkstatt« für die Inkulturation des Glaubens eingerichtet, die von der Weisheit so vieler Kirchenväter geprägt wurde, die mit ihrer heiligen Lebensführung und ihren Schriften ein leuchtendes Vorbild für die Gläubigen aller Zeiten sind. Wenn wir uns aber fragen, wer die Begegnung zwischen dem frühen Chris-tentum und der griechischen Kultur eingeleitet hat, so kommen wir am Apostel Paulus nicht vorbei. Er war es, der die »Werkstatt des Glaubens« eröffnete und diese beiden Welten in Einklang brachte. Und er tat es genau hier, wie die Apostelgeschichte berichtet: Er gelangte nach Athen, er begann auf den öffentlichen Plätzen zu predigen und die Gelehrten der damaligen Zeit bringen ihn zum Areopag (vgl. Apg 17,16-34), dem Rat der Ältesten, der Weisen, die über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu befinden hatten. Verweilen wir bei dieser Begebenheit und lassen wir uns auf unserem Weg als Kirche von zwei Haltungen des Apostels leiten, die für unsere gegenwärtige Glaubensvertiefung nützlich sind.

Die erste Haltung ist das Vertrauen. Als Paulus predigte, begannen sich einige Philosophen zu fragen, was dieser »Schwätzer« (V. 18) sie zu lehren versuchte. So nennen sie ihn einen Schwätzer: jemand, der Dinge erfindet und dabei die Gutgläubigkeit seiner Zuhörer ausnutzt. Also bringen sie ihn zum Areopag. Wir sollten uns also nicht vorstellen, dass sie ihm hier eine offene Bühne bieten. Im Gegenteil, sie bringen ihn dorthin, um ihn zu befragen: »Können wir erfahren, was das für eine neue Lehre ist, die du vorträgst? Du bringst uns recht befremdliche Dinge zu Gehör. Wir wüssten gern, worum es sich handelt« (VV. 19-20). Paulus ist also in die Enge getrieben.

Diese Umstände seiner Mission in Griechenland sind auch für uns heute von Bedeutung. Der Apostel steht mit dem Rücken zur Wand. Bereits kurz zuvor war er in Thessaloniki an seiner Verkündigung gehindert worden und musste nachts fliehen, weil man ihn beschuldigte, im Volk Unruhe gestiftet zu haben. In Athen angekommen, hält man ihn für einen Scharlatan und führte ihn als unwillkommenen Gast auf den Areopag. Er erlebt hier also keinen Triumph, sondern erfüllt seinen Auftrag unter schwierigen Bedingungen. Vielleicht spüren auch wir in vielen Momenten unseres Weges die Müdigkeit und manchmal auch die Frustration, eine kleine Gemeinschaft oder eine Kirche mit wenigen Kräften zu sein, die sich in einem Umfeld bewegt, das nicht immer güns-tig ist. Denkt über die Geschichte von Paulus in Athen nach. Er war allein, in der Minderheit, und es gab kaum Aussicht auf Erfolg. Aber er hat sich nicht entmutigen lassen, er hat die Mission nicht aufgegeben. Und er widerstand der Versuchung, sich zu beklagen. Das ist sehr wichtig: hütet euch vor dem Jammern. Die Haltung des wahren Apostels ist diese: mit Zuversicht voranzugehen und die Unruhe unerwarteter Situationen der Gewohnheit und Wiederholung vorzuziehen. Paulus hat diesen Mut. Woher stammt er? Aus seinem Vertrauen in Gott. Er hat den Mut des Vertrauens: Vertrauen in die Größe Gottes, der es liebt, immer in unserer Schwachheit zu wirken.

Liebe Brüder und Schwestern, wir sind zuversichtlich, denn eine kleine Kirche zu sein, macht uns zu einem beredten Zeichen des Evangeliums, des von Jesus verkündigten Gottes, der die Kleinen und Armen erwählt, der die Geschichte durch die einfachen Taten der Demütigen verändert. Wir als Kirche brauchen keine Gesinnung der Eroberung und des Sieges, nicht die Pracht großer Zahlen und weltlichen Glanzes. All das ist gefährlich. Es ist die Versuchung des Triumphalismus. Wir sind aufgerufen, uns an dem Senfkorn zu orientieren, das winzig ist, aber bescheiden und langsam wächst: »Es ist das kleinste von allen Samenkörnern«, sagt Jesus, »sobald es aber hochgewachsen ist«, wird es »zu einem Baum« (Mt 13,32). Wir sollen ein Sauerteig sein, der in geduldiger und stiller Verborgenheit im Teig der Welt aufgeht, dank des unablässigen Wirkens des Heiligen Geis-tes (vgl. V. 33). Das Geheimnis des Reiches Gottes liegt im Kleinen, in dem, was man oft nicht sieht und das keinen Lärm macht. Der Apostel Paulus, dessen Name auf das Kleine verweist, ist voll Zuversicht, weil er sich diese Worte des Evangeliums zu Herzen genommen hat, so sehr, dass er seine Brüder und Schwestern in Korinth entsprechend lehrt: »Das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen […] das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen« (1 Kor 1,25.27).

Deshalb, liebe Brüder und Schwestern, möchte ich euch sagen: Schätzt das Gering-sein hoch und nehmt es an. Es bewirkt in euch, dass ihr Gott vertraut, Gott allein. Eine Minderheit zu sein – und die Kirche ist in der ganzen Welt eine Minderheit – heißt nicht unbedeutend zu sein, sondern den vom Herrn eröffneten Weg zu gehen, den Weg der Kleinheit, der Kenosis, der Erniedrigung, des Entgegenkommens, der Synkatábasis Gottes in Jesus Chris-tus. Er erniedrigte sich so sehr, dass er sich in den Falten der Menschheit und in den Wunden unseres Fleisches verbarg. Er rettete uns, indem er uns diente. In der Tat, sagt Paulus, »er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave« (Phil 2,7). Oft sind wir versessen auf die äußere Erscheinung, auf die Sichtbarkeit, aber »das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten könnte« (Lk 17,20). Es kommt im Verborgenen, wie der Regen, langsam, auf die Erde. Helfen wir uns gegenseitig, dieses Vertrauen in Gottes Werk zu erneuern und die Begeisterung für den Dienst nicht zu verlieren. Nur Mut, gehen wir weiter auf diesem Weg der Demut, der Kleinheit!

Ich möchte nun eine zweite Haltung hervorheben, die Paulus auf dem Areopag in Athen zeigte: das Annehmen. Dies ist eine innere Haltung, die für die Evangelisierung notwendig ist. Sie will nicht den Raum und das Leben des Anderen in Beschlag nehmen, sondern die frohe Botschaft in den Boden seiner Existenz säen. Dazu muss man vor allem lernen, die Saat, die Gott bereits vor unserer Ankunft in sein Herz gelegt hat, anzunehmen und zu erkennen. Denken wir daran: Gott ist uns immer voraus, Gott ist unserer Aussaat immer voraus. Evangelisieren heißt nicht, ein leeres Gefäß zu füllen, sondern vor allem, das ans Licht zu bringen, was Gott bereits zu wirken begonnen hat. Und das ist die außergewöhnliche Pädagogik, die der Apostel vor den Athenern an den Tag legt. Er sagt ihnen nicht: »Ihr macht alles falsch« oder »Ich werde euch jetzt die Wahrheit lehren«, sondern er beginnt damit, dass er ihre religiöse Gesinnung aufgreift: »Ihr Männer von Athen, nach allem, was ich sehe, seid ihr sehr fromm. Denn als ich umherging und mir eure Heiligtümer ansah, fand ich auch einen Altar mit der Aufschrift: ›Einem unbekannten Gott‹« (Apg 17,22-23). Er greift einen Reichtum der Athener auf. Der Apostel respektiert die Würde seiner Gesprächspartner und greift ihre religiöse Sensibilität auf. Obwohl die Straßen von Athen voller Götzen waren, die ihn »heftig erzürnten« (vgl. V. 16), nimmt Paulus die in den Herzen dieser Menschen verborgene Sehnsucht nach Gott auf und auf freundliche Weise möchte er ihnen das Wunder des Glaubens zum Geschenk machen. Sein Stil ist nicht aufdringlich, sondern konstruktiv. Er beruht nicht auf Proselytenmacherei, niemals, sondern auf der Sanftmut Jesu. Und das ist möglich, weil Paulus eine geistliche Sicht der Wirklichkeit hat: Er glaubt, dass der Heilige Geist im Herzen des Menschen wirkt, jenseits religiöser Etiketten. Dies haben wir von Rokos eben gehört. An einem bestimmten Punkt entfernen sich die Kinder ein wenig von der religiösen Praxis, aber der Heilige Geist hat gewirkt und wirkt weiter, und so glauben sie sehr stark an die Einheit, an die geschwisterliche Verbundenheit mit ihrem Nächsten. Der Geist wirkt immer über das hinaus, was man äußerlich sieht, daran sollten wir denken! Die Haltung der Apostel aller Zeiten beginnt also mit der Annahme des Anderen. Vergessen wir nicht: »Die Gnade setzt die Kultur voraus, und die Gabe Gottes nimmt Gestalt an in der Kultur dessen, der sie empfängt« (Evangelii gaudium, 115). Es gibt keine abstrakte Gnade, die über unseren Köpfen kreist; die Gnade nimmt immer Gestalt an in einer Kultur, dort nimmt sie Gestalt an.

In Bezug auf den Besuch von Paulus auf dem Areopag sagte Benedikt XVI., dass uns agnostische oder atheistische Menschen sehr am Herzen liegen müssen, dass wir aber achtgeben müssen, da diese Menschen vielleicht erschrecken, wenn wir von Neuevangelisierung sprechen. »Sie wollen sich nicht als Objekt von Mission sehen und ihre Freiheit des Denkens und des Wollens nicht preisgeben« (Ansprache an die Römische Kurie, 21. Dezember 2009). Auch von uns wird heute die Haltung des Annehmens, der Stil der Gastfreundschaft, ein Herz, das von dem Wunsch beseelt ist, die menschlichen, kulturellen oder religiösen Unterschiede miteinander zu vereinen, verlangt. Die Herausforderung besteht darin, eine Leidenschaft für das Zusammensein zu entwickeln, die uns – Katholiken, Orthodoxe und die Brüder und Schwestern anderer Glaubensrichtungen, auch die agnostischen Brüder und Schwestern, alle – dazu bringt, einander zuzuhören, gemeinsam zu träumen und zusammenzuarbeiten und eine »Mystik« der Geschwisterlichkeit zu kultivieren (vgl. Evangelii gaudium, 87). Die Vergangenheit bleibt weiter eine offene Wunde auf dem Weg dieses Dialogs, der annimmt, aber stellen wir uns mutig dieser Herausforderung unserer Tage!

Liebe Brüder und Schwestern, hier auf griechischem Boden hat der heilige Paulus ein gelassenes Gottvertrauen an den Tag gelegt. Dadurch konnte er den ihm gegenüber misstrauisch gestimmten Areopagiten dennoch freundlich begegnen. Mit diesen beiden Haltungen verkündete er jenen Gott, der den Menschen, zu denen er sprach, unbekannt war. Und es gelang ihm, das Antlitz eines Gottes zu zeigen, der in Jesus Christus den Samen der Auferstehung, das universale Recht auf Hoffnung – das Recht auf Hoffnung ist ein Menschenrecht – in das Herz der Welt gesät hat. Als Paulus diese gute Nachricht verkündet, verlacht ihn die Mehrheit und geht weg. »Einige Männer aber schlossen sich ihm an und wurden gläubig, unter ihnen auch Dionysius, der Areopagit, außerdem eine Frau namens Damaris und noch andere mit ihnen« (Apg 17,34). Die Mehrheit geht weg; ein kleiner Rest schließt sich Paulus an, darunter Dionysius, nach dem diese Kathedrale benannt ist! Es ist ein kleiner Rest, aber so webt Gott die Fäden der Geschichte, von damals bis zu euch heute. Ich wünsche euch von Herzen, dass ihr die Arbeit in eurer historischen Werkstatt des Glaubens fortsetzt, und zwar mit diesen beiden Zutaten, mit Vertrauen und mit der Bereitschaft zur Annahme, um das Evangelium als eine Erfahrung der Freude und auch als Erfahrung der Geschwisterlichkeit zu kosten. Mit Zuneigung schließe ich euch in mein Beten ein und bitte euch: Vergesst nicht, für mich zu beten. O Theós na sas evloghi! [Gott segne euch!]