Der erste Programmpunkt des knapp zweitägigen Papstbesuchs auf der Insel Zypern galt den katholischen Christen. Franziskus traf sie in der maronitischen Kathedrale, die unmittelbar an die Pufferzone angrenzt, die die Insel seit 1974 teilt. Im Inneren waren etwa 400 Priester, Ordensleute und Laien versammelt. Der maronitische Patriarch Béchara Boutros Raï begrüßte den Papst; zwei Ordensfrauen berichteten über ihre Arbeit in der Schule und mit Migranten. Anschließend hielt der Papst die folgende Ansprache:
Seligkeiten, liebe Brüder im Bischofsamt,
liebe Priester, Ordensfrauen und Ordens-
männer, liebe Katecheten, Brüder und
Schwestern, Chérete! [Seid gegrüßt!]
Ich bin froh, in eurer Mitte zu sein. Ich möchte Kardinal Béchara Boutros Raï meinen Dank für die Worte aussprechen, die er an mich gerichtet hat, und den Patriarchen Pierbattista Pizzaballa herzlich grüßen. Ich danke euch allen für euren Dienst, besonders euch, liebe Schwestern, für die pädagogische Arbeit, die ihr in der Schule leistet, die von so vielen Kindern der Insel besucht wird und die ein Ort der Begegnung und des Dialogs ist, wo man auch die Kunst des Brückenbauens erlernen kann. Danke! Ich danke euch allen für eure Nähe zu den Menschen, vor allem in den besonders schwierigen sozialen und beruflichen Umfeldern.
Ich möchte meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass ich dieses Land besuchen und als Pilger auf den Spuren des großen Apostels Barnabas wandeln darf, der ein Sohn dieses Volkes war und ein Jünger, der Jesus liebte und das Evangelium unerschrocken verkündete. Als er die gerade entstehenden christlichen Gemeinden besuchte und das Wirken der Gnade Gottes sah, freute er sich »und ermahnte alle, dem Herrn treu zu bleiben, wie sie es sich im Herzen vorgenommen hatten« (Apg 11,23). Und ich komme mit demselben Wunsch: die Gnade Gottes in eurer Kirche und in eurem Land wirken zu sehen, mich mit euch über die Wunder zu freuen, die der Herr wirkt, und euch zu ermahnen, immer standhaft zu bleiben, ohne müde zu werden und euch niemals entmutigen zu lassen. Gott ist größer! Gott ist größer als unsere Widersprüche. Macht weiter!
Wenn ich euch anschaue, sehe ich den Reichtum eurer Vielfalt. Das ist wirklich ein schöner »Obstsalat«. Alle verschieden. Ich grüße die maronitische Kirche, die im Laufe der Jahrhunderte immer wieder neu auf die Insel gekommen ist und, oft unter großen Schwierigkeiten, im Glauben ausgeharrt hat. Wenn ich an den Libanon denke, macht mir die Krise, in der sich das Land befindet, große Sorgen und ich spüre das Leid eines Volkes, das erschöpft und von Gewalt und Schmerz geprüft ist. In meine Gebete lege ich den Wunsch nach Frieden, der aus dem Herzen dieses Landes aufsteigt, mit hinein. Ich danke euch für das, was ihr in der Kirche für Zypern tut. Die Zedern des Libanon werden in der Heiligen Schrift oft als Sinnbilder für Schönheit und Größe erwähnt. Aber auch eine große Zeder beginnt mit den Wurzeln und sprießt langsam. Ihr seid diese Wurzeln, die nach Zypern umgepflanzt wurden, um den Duft und die Schönheit des Evangeliums zu verbreiten. Ich danke euch!
Ich grüße auch die lateinische Kirche, die hier seit Jahrtausenden präsent ist, und die hier über diese Zeit mit ihren Söhnen und Töchtern den Enthusiasmus des Glaubens wachsen sah und die sich heute, dank der Anwesenheit so vieler Brüder und Schwes-tern mit Migrationshintergrund, als ein »vielfarbiges« Volk präsentiert, als ein wahrer Ort der Begegnung verschiedener ethnischer Gruppen und Kulturen. Diese Gestalt der Kirche spiegelt die Rolle Zyperns auf dem europäischen Kontinent wider: es ist ein Land mit goldenen Feldern, eine Insel, die von den Wellen des Meeres umspült wird, vor allem aber ist sie geschichtlich ein Geflecht von Völkern und ein Mosaik von Begegnungen. So ist auch die Kirche: katholisch, das heißt universal, ein offener Raum, in dem alle willkommen sind und wo alle Gottes Barmherzigkeit und die Einladung zum Lieben erreicht. In der katholischen Kirche gibt es keine Mauern und soll es keine Mauern geben. Das dürfen wir nicht vergessen! Keiner von uns ist hier als Prediger berufen, um Proselyten zu machen, nie. Die Proselytenmacherei ist steril, sie stiftet kein Leben. Wir sind alle von der Barmherzigkeit Gottes gerufen worden, die nicht müde wird zu rufen, die nicht müde wird, uns nahe zu sein, die nicht müde wird zu verzeihen. Wo liegen die Wurzeln unserer christlichen Berufung? In der Barmherzigkeit Gottes. Das dürfen wir nie vergessen. Der Herr enttäuscht nie. Er wartet immer auf uns. Es gibt und es darf keine Mauern in der katholischen Kirche geben, bitte! Sie ist ein gemeinsames Haus, sie ist ein Ort der Beziehung, sie ist ein Zusammenleben der Vielfalt: jener Ritus, jener andere Ritus …; einer denkt über die Kirche in einer Weise, jene Schwester hat sie so gesehen, eine andere wieder anders … Die Verschiedenheit aller, und in dieser Verschiedenheit der Reichtum der Einheit. Wer stiftet die Einheit? Der Heilige Geist. Und wer schafft die Verschiedenheit? Der Heilige Geist. Wer es fassen kann, der fasse es. Er ist der Urheber der Verschiedenheit und ist der Urheber der Harmonie. Der heilige Basilius sagte über ihn: »Ipse harmonia est. – Er selbst ist Harmonie.« Er ist jener, der die Verschiedenheit der Gaben und die harmonische Einheit der Kirche schafft.
Liebe Anwesende, ich möchte mit euch nun einige Gedanken über den heiligen Barnabas, euren Bruder und Patron, teilen und dazu zwei Worte aus seinem Leben und seiner Sendung herausgreifen.
Das erste lautet Geduld. Wir sprechen von Barnabas als einem großen Mann des Glaubens und des Ausgleichs, der von der Kirche Jerusalems – wir können sagen, von der Mutterkirche – als die am besten geeignete Person ausgewählt wurde, um eine neue Gemeinschaft, nämlich die von Antiochia, zu besuchen, welche aus einigen erst kürzlich aus dem Heidentum bekehrten Menschen bestand. Er wird losgeschickt, um zu sehen, was vor sich geht, fast wie ein Entdecker. Er trifft dort auf Menschen, die aus einer anderen Welt und einer anderen Kultur kommen und ein anderes religiöses Empfinden besitzen; Menschen, die gerade ihr Leben geändert haben und deshalb einen Glauben haben, der voller Begeisterung, aber noch zerbrechlich ist, wie im anfänglichen Zustand. In dieser Situation zeichnete sich Barnabas durch eine große Geduld aus. Er kann abwarten. Er kann darauf warten, dass der Baum wächst. Es ist die Geduld, dauernd auf Reisen zu sein, die Geduld, in das Leben bisher unbekannter Menschen einzutreten, die Geduld, Neues aufzunehmen, ohne es vorschnell zu verurteilen, die Geduld der Unterscheidung, die überall die Zeichen des Wirkens Gottes erkennen kann, die Geduld, andere Kulturen und Traditionen zu »studieren«. Barnabas hat vor allem die Geduld des Begleitens: Er lässt sie wachsen und begleitet sie. Er erdrückt den zerbrechlichen Glauben der Neuankömmlinge nicht mit einer strengen, unflexiblen Haltung oder mit überzogenen Forderungen hinsichtlich der Einhaltung der Vorschriften. Nein. Er lässt sie wachsen. Er begleitet sie, nimmt sie an die Hand und steht mit ihnen im Dialog. Er entrüstet sich nicht, wie ein Vater oder eine Mutter sich nicht über ihre Kinder entrüsten, sie begleiten sie vielmehr und helfen ihnen zu wachsen. Behaltet das im Gedächtnis: Die Trennungen und die Proselytenmacherei gehen in der Kirche nicht. Lass es wachsen und begleite es! Und wenn du jemanden tadeln musst, tadele ihn mit Liebe und friedvoll. Das ist der Mensch der Geduld.
Wir brauchen eine geduldige Kirche, liebe Brüder und Schwestern. Eine Kirche, die sich von Veränderungen nicht erschüttern und stören lässt, sondern das Neue gelassen aufnimmt und die Gegebenheiten im Licht des Evangeliums erwägt. Wertvoll sind eure Bemühungen, die ihr vollbringt, wenn ihr die neuen Brüder und Schwestern aufnehmt, die aus anderen Gegenden der Welt auf diese Insel kommen. Wie Barnabas seid auch ihr gerufen, einen geduldigen und aufmerksamen Blick zu pflegen und sichtbare und glaubwürdige Zeichen der Geduld Gottes zu sein, der niemals jemanden draußen vor der Tür und niemals jemanden ohne seine zärtliche Umarmung stehen lässt. Die Kirche in Zypern hat diese offenen Arme: Sie nimmt auf, integriert und begleitet. Das ist eine wichtige Botschaft auch für die Kirche in ganz Europa, die von einer Glaubenskrise gezeichnet ist: Es nützt nichts, impulsiv zu sein, es nützt nichts, aggressiv oder nostalgisch oder klagend zu reagieren, sondern es ist gut, vorwärts zu gehen und die Zeichen der Zeit und auch die Zeichen der Krise zu lesen. Wir müssen wieder anfangen, geduldig das Evangelium zu verkünden, die Seligpreisungen in die Hand zu nehmen und sie vor allem den jungen Generationen zu verkünden. Euch, meinen lieben Brüdern im Bischofsamt, möchte ich sagen: Seid Hirten, die geduldig Nähe suchen, werdet nicht müde, Gott im Gebet zu suchen, den Priestern zu begegnen suchen, die Brüder und Schwes-tern der anderen christlichen Konfessionen mit Respekt und Achtsamkeit, die Gläubigen, wo sie leben. Liebe Priester, die ihr hier seid, euch möchte ich sagen: Seid geduldig mit den Gläubigen, immer bereit, sie zu ermutigen; seid unermüdliche Diener der Vergebung und Barmherzigkeit Gottes. Seid niemals strenge Richter, sondern immer liebevolle Väter.
Wenn ich das Gleichnis vom Verlorenen Sohn lese: der ältere Bruder war ein rigoroser Richter, doch der Vater war barmherzig, das Bild des Vaters, der immer verzeiht, mehr noch, der immer darauf wartet zu verzeihen! Im vergangenen Jahr hat eine Gruppe junger Leute, die Musikstücke aufführen, Popmusik, das Gleichnis vom verlorenen Sohn als Musical mit Dialogen inszeniert … Wunderschön! Doch das Schönste war der abschließende Dialog, wo der Verlorene Sohn zu einem Freund geht und sagt: »So kann ich nicht weitermachen. Ich möchte nach Hause zurückkehren. Doch ich habe Angst, dass mir der Vater die Tür vor der Nase zuschlägt und mich wegjagt. Ich habe diese Angst und weiß nicht, wie ich es machen soll.« – »Aber dein Vater ist doch gütig!« – »Ja, aber weißt du … da ist mein Bruder, der ihn aufstachelt.« Am Ende dieses Musikstücks über den Verlorenen Sohn sagt ihm der Freund: »Mach es so: schreibe deinem Vater und sag ihm, dass du gerne zurückkehren willst, doch Angst hast, dass er dich nicht gut aufnimmt. Sag deinem Vater, er möge, falls er dich gerne empfangen will, ein Taschentuch an das oberste Fenster im Haus anheften, so sagt dir dein Vater im Voraus, ob er dich gut empfangen wird oder wegjagt.« So endet der Akt. Im nächsten Akt ist der Sohn auf dem Weg zum Haus des Vaters. Und als er auf dem Weg ist, wechselt die Szene und man sieht das Haus des Vaters. Es ist voll von weißen Taschentüchern! Voll! So ist Gott für uns. Das ist Gott für uns. Er wird nicht müde zu verzeihen. Und als der Sohn zu sprechen beginnt: »Ach Herr, ich habe …« – »Still«, und er tippt ihm auf den Mund.
Euch Priestern sage ich: Bitte, seid nicht rigoros in der Beichte. Wenn ihr seht, dass ein Mensch in Schwierigkeiten ist, sagt: »Ich habe verstanden, ich habe verstanden.« Das heißt nicht, nachsichtig zu sein, nein. Es will sagen, dass ihr das Herz eines Vaters habt, wie Gott das Herz eines Vaters hat. Das Werk, das der Herr im Leben eines jeden Menschen tut, ist etwas Heiliges: Lassen wir uns davon begeistern. Angesichts der bunten Vielfalt in eurem Volk bedeutet Geduld auch, ein Ohr und ein Herz zu haben für unterschiedliche geistliche Empfindungen, unterschiedliche Ausdrucksformen des Glaubens und unterschiedliche Kulturen. Die Kirche will nicht vereinheitlichen – bitte nicht! –, sondern sie will alle Kulturen, alle Psychologien der Menschen, mit mütterlicher Geduld integrieren; denn die Kirche ist Mutter. Das ist es, was wir mit Gottes Gnade auf dem syn-odalen Weg tun wollen: geduldiges Gebet und geduldiges Zuhören, damit die Kirche fügsam gegenüber Gott und den Menschen gegenüber offen ist. Das war die Geduld, eine der Eigenschaften des Barnabas.
In der Geschichte
von Barnabas gibt es einen zweiten wichtigen Aspekt, den ich hervorheben möchte: seine Begegnung mit Paulus von Tarsus und ihre brüderliche Freundschaft, die sie dazu bringen wird, gemeinsam zu missionieren. Nach der Bekehrung des Paulus, der zuvor ein erbitterter Christenverfolger gewesen war, »fürchteten sich [alle] vor ihm, weil sie nicht glaubten, dass er ein Jünger war« (Apg 9,26). Hier sagt die Apostelgeschichte etwas sehr Schönes: »Barnabas jedoch nahm sich seiner an« (V. 27). Er stellt ihn der Gemeinde vor, erzählt, was mit ihm geschehen ist, und bürgt für ihn. Hören wir auf dieses »er nahm sich seiner an«. Der Ausdruck erinnert an die Sendung Jesu, der die Jünger auf die Straßen Galiläas mitnahm, der unsere von der Sünde verwundete Menschheit auf sich nahm. Dies ist eine Haltung der Freundschaft, eine Haltung der Lebensgemeinschaft. Mitnehmen, auf sich nehmen bedeutet, sich der Geschichte des anderen anzunehmen, sich die Zeit zu nehmen, ihn kennen zu lernen, ohne ihn zu etikettieren, – die Sünde, Menschen zu etikettieren, bitte! –, ihn auf den Schultern zu tragen, wenn er müde oder verletzt ist, wie es der barmherzige Samariter tut (vgl. Lk 10,25-37). Das nennt man Geschwisterlichkeit. Und dies ist das zweite Wort, das ich euch sagen möchte. Das erste lautet Geduld, das zweite Geschwisterlichkeit.
Barnabas und Paulus sind wie Brüder gemeinsam unterwegs, um das Evangelium zu verkünden, selbst inmitten von Verfolgungen. In Antiochia »blieben sie miteinander ein volles Jahr in der Gemeinde und lehrten eine große Zahl von Menschen« (Apg 11,26). Beide waren dann nach dem Willen des Heiligen Geistes für eine größere Mission bestimmt und »segelten nach Zypern« (Apg 13,4). Und das Wort Gottes verbreitete sich rasch und wuchs nicht nur wegen ihrer menschlichen Qualitäten, sondern vor allem, weil sie Brüder im Namen Gottes waren, und weil diese ihre Brüderlichkeit ein Widerschein des Gebots der Liebe war. Verschiedene, unterschiedliche Brüder – wie die Finger an einer Hand, die alle verschieden sind –, doch alle mit der gleichen Würde. Brüder. Dann geschieht, wie das im Leben so ist, etwas Unerwartetes: Die Apostelgeschichte berichtet, dass die beiden eine heftige Auseinandersetzung haben und ihre Wege sich trennen (vgl. Apg 15,39). Auch unter Brüdern gibt es Diskussionen, manchmal Streit. Paulus und Barnabas trennen sich jedoch nicht aus persönlichen Gründen, sondern weil sie über ihren Dienst und die Art und Weise, wie sie ihre Mission durchführen wollen, diskutieren und unterschiedliche Vorstellungen haben. Barnabas will auch den jungen Markus mit auf die Mission nehmen, Paulus nicht. Sie diskutieren, aber aus einigen späteren Briefen des Paulus geht hervor, dass die beiden keinen Groll mehr hegten. An Timotheus, der danach zu ihm stoßen soll, schreibt Paulus sogar: »Beeil dich, bald zu mir zu kommen […] Nimm Markus [eben diesen!] und bring ihn mit, denn er ist für mich nützlich zum Dienst« (2 Tim 4,9.11). Das ist die Geschwisterlichkeit in der Kirche: Über die verschiedenen Ansichten kann man diskutieren, über die Standpunkte – und das soll man tun, das ist nötig, das tut gut, ein wenig diskutieren tut gut – und über die unterschiedlichen Empfindungen und Ideen, denn es ist schlimm, nie zu diskutieren. Wenn dieser zu rigorose Frieden vorherrscht, ist Gott nicht da. In einer Familie diskutieren die Geschwister, tauschen ihre Ansichten aus. Ich vermute von denen, die nie diskutieren, dass sie versteckte »Agenden« haben, immer. Das ist die Geschwisterlichkeit der Kirche: Man kann diskutieren über die Ansichten, über Empfindungen, über verschiedene Ideen, und in manchen Fällen hilft es, sich die Dinge offen ins Gesicht zu sagen. Das hilft in bestimmten Fällen, und sagt es nicht hinten herum. So ein Geschwätz hilft keinem weiter. Die Diskussion hingegen ist eine Chance für Wachstum und Veränderung. Aber denken wir immer daran: Man diskutiert nicht, um sich zu bekriegen, nicht, um sich durchzusetzen, sondern um die Lebendigkeit des Geistes, der Liebe und Gemeinschaft ist, zum Ausdruck zu bringen und zu erfahren. Man diskutiert, aber man bleibt einander Bruder oder Schwester. Ich erinnere mich an meine Kindheit, da waren wir zu fünft. Wir haben miteinander diskutiert, manchmal heftig, nicht jeden Tag, und dann waren wir am Tisch alle vereint. Das ist die Diskussion in einer Familie, die eine Mutter hat: Die Söhne und Töchter diskutieren miteinander.
Liebe Brüder und Schwestern, wir brauchen eine geschwisterliche Kirche, die für die Welt ein Werkzeug der Geschwisterlichkeit sein möge. Hier in Zypern gibt es viele geistliche und kirchliche Sensibilitäten, verschiedene Herkunftsgeschichten, unterschiedliche Riten und Traditionen; aber wir dürfen die Vielfalt nicht als Bedrohung für unsere Identität empfinden, und wir dürfen auch nicht eifersüchtig werden und uns um unsere jeweiligen Räume sorgen. Wenn wir dieser Versuchung erliegen, wächst die Angst, Angst erzeugt Misstrauen, Misstrauen führt zu Verdächtigungen und früher oder später zu Krieg. Wir sind Geschwister und alle sind wir geliebt von dem einem Vater. Ihr seid vom Mittelmeer umgeben: ein
Meer, das verschiedene Geschichten verbindet, ein Meer, das so viele Zivilisationen beherbergt hat, ein Meer, über das auch heute noch Menschen, Völker und Kulturen aus aller Welt ankommen. Mit eurer Geschwisterlichkeit könnt ihr alle, ganz Europa, daran erinnern, dass man zusammenarbeiten, Spaltungen überwinden, Mauern niederreißen und den Traum von der Einheit pflegen muss, um eine menschenwürdige Zukunft aufzubauen. Wir müssen uns gegenseitig annehmen und integrieren, gemeinsam gehen und alle Brüder und Schwestern sein, fratelli tutti!
Ich danke euch für das, was ihr seid und was ihr tut, für die Freude, mit der ihr das Evangelium verkündet, und für die Mühen und Entbehrungen, mit denen ihr für es eintretet und es fördert. Dies ist der Weg, den die heiligen Apostel Paulus und Barnabas vorgezeichnet haben. Ich wünsche euch, dass ihr immer eine geduldige Kirche seid, eine Kirche, die unterscheidet – die sich
nie erschreckt, sondern unterscheidet –, die begleitet und die integriert, und eine geschwisterliche Kirche, die dem anderen Raum lässt, die diskutiert, aber geeint bleibt und in der Diskussion wächst. Ich segne euch, jeden von euch, und bitte euch, weiterhin für mich zu beten! Ich brauche es!
Efcharistó! [Danke!]