Am Neujahrstag hat Papst Franziskus zu mehr Schutz vor Gewalt für Frauen und Mütter aufgerufen. »Wie viel Gewalt gibt es gegen Frauen! Schluss damit!«, so der Papst bei seiner Predigt im Petersdom. Vor rund 2.000 Gläubigen in der Basilika sprach Franziskus über das Vorbild der Mutter Jesu und sagte:
Die Hirten finden »Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag« (Lk 2,16). Die Krippe ist ein frohmachendes Zeichen für die Hirten: Sie ist die Bestätigung dessen, was sie vom Engel erfahren hatten (vgl. V. 12), sie ist der Ort, wo sie den Heiland finden. Sie ist auch ein Beweis dafür, dass Gott ihnen nahe ist. Er kommt in einer Krippe zur Welt, einer Vorrichtung, die sie gut kennen, und woran sie sehen, dass Gott ihnen nahe und vertraut ist. Aber die Krippe ist auch für uns ein erfreuliches Zeichen: Jesus berührt unsere Herzen. Dadurch, dass er klein und arm geboren wird, erfüllt er uns mit Liebe statt mit Furcht. Die Krippe verweist bereits darauf, dass er uns zur Nahrung werden wird. Und seine Armut ist eine schöne Nachricht für alle, vor allem für die, die am Rande stehen, für die Ausgestoßenen, für die, die in der Welt nicht zählen. Gott kommt dorthin: kein Sonderweg, nicht einmal eine Wiege! Das also ist das Schöne daran, wenn wir ihn in einer Krippe liegen sehen.
Aber für Maria, die heilige Mutter Gottes, war das nicht so. Sie musste den »Skandal der Krippe« ertragen. Lange vor den Hirten hatte auch sie die Botschaft eines Engels erhalten, der zu ihr in feierlichen Worten über den Thron Davids gesprochen hatte: »Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben« (Lk 1,31-32). Und nun muss sie ihn in eine Krippe für Tiere legen. Wie geht der Königsthron mit der armseligen Krippe zusammen? Wie können wir die Herrlichkeit des Allerhöchsten und die Armseligkeit eines Stalls miteinander in Einklang bringen? Denken wir an das Unbehagen der Mutter Gottes. Was könnte für eine Mutter schlimmer sein, als ihr Kind Not leiden zu sehen? Das ist entmutigend. Man könnte Maria keinen Vorwurf machen, wenn sie sich über diese wider Erwarten trostlose Situation beklagt hätte. Aber sie lässt sich nicht entmutigen. Sie lässt sich darüber nicht aus, sondern sie schweigt. Sie entscheidet sich für etwas, das dem Klagen entgegengesetzt ist: »Maria aber«, so heißt es im Evangelium, »bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen« (Lk 2,19).
Das ist ein ganz anderes Vorgehen als das der Hirten und des Volkes. Diese erzählen allen, was sie gesehen haben: den Engel, der mitten in der Nacht erschienen ist, seine Worte über das Kind. Und das Volk, das dies hört, ist erstaunt (vgl. V. 18). Worte und Staunen. Maria hingegen wirkt nachdenklich. Sie bewahrt und erwägt alles in ihrem Herzen. Dies sind zwei unterschiedliche Haltungen, die wir auch bei uns selbst finden können. Die Erzählung und das Staunen der Hirten erinnern an die Anfänge im Glauben. Da ist alles einfach und unkompliziert, man freut sich über das Neue und Wunderbare, das Gott in alle Bereiche des Lebens bringt. Marias meditative Haltung hingegen ist Ausdruck eines reifen, erwachsenen Glaubens, nicht der Anfänge im Glauben. Eines Glaubens, der nicht gerade erst geboren wurde, sondern eines Glaubens, der bereits fruchtbar geworden ist. Denn geistliche Fruchtbarkeit geht durch Prüfungen. Nach der Ruhe von Nazaret und den glorreichen Verheißungen des Engels – wo ihre geistliche Fruchtbarkeit ihren Anfang nahm – befindet sich Maria nun im dunklen Stall von Betlehem. Aber genau dort schenkt sie der Welt Gott. Und während andere angesichts des Skandals der Krippe ihren Mut verloren hätten, reagiert Maria anders: Sie bewahrt und erwägt alles im Herzen.
Lasst uns diese Haltung von der Gottesmutter lernen: bewahren und erwägen. Denn auch uns passiert es, dass wir gewisse »Krippenskandale« aushalten müssen. Wir hoffen, dass alles gut gehen wird, und dann taucht ein unerwartetes Problem auf, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Und es kommt zu einem schmerzhaften Aufeinanderprallen zwischen unseren Erwartungen und der Wirklichkeit. Das geschieht auch im Glauben, wenn die Freude des Evangeliums durch eine schwierige Situation, die man gerade durchmacht, auf eine Probe gestellt wird. Doch heute lehrt uns die Mutter Gottes, dass man aus diesem Aufeinanderprallen Nutzen ziehen kann. Sie zeigt uns, dass dies notwendig ist, dass dies der schmale Weg zum Ziel ist, das Kreuz, ohne das es keine Auferstehung gibt. Es ist wie eine schmerzhafte Geburt, aus der ein reiferer Glaube hervorgeht.
Liebe Brüder und Schwestern, ich frage mich, wie wir diesen Übergang schaffen, wie wir den Konflikt zwischen dem Ideal und der Wirklichkeit überwinden können. Indem wir es Maria gleichtun: indem wir bewahren und erwägen. Zunächst einmal bewahrt Maria, das heißt, sie verliert nichts. Sie lehnt das, was geschieht, nicht ab. Sie bewahrt alles in ihrem Herzen, alles, was sie gesehen und gehört hat. Die schönen Dinge, wie das, was der Engel ihr gesagt und was die Hirten ihr erzählt hatten. Aber auch die Dinge, die schwer anzunehmen waren: das Problem, vor der Hochzeit schwanger geworden zu sein, und nun die trostlose Armseligkeit des Stalls, in dem sie entbunden hatte. Das also tat Maria: Sie trifft keine Auswahl, sie bewahrt alles. Sie nimmt die Wirklichkeit an, so wie sie kommt, sie versucht nicht, etwas zu verbergen oder zu beschönigen, sie bewahrt alles im Herzen.
Und dann ist da noch die zweite Haltung. Wie bewahrt Maria alles? Sie bewahrt es, indem sie es erwägt. Das im Evangelium verwendete Verb verweist auf die inneren Zusammenhänge der Dinge: Maria stellt ihre verschiedenen Erfahrungen nebeneinander und erkennt deren verborgene Zusammenhänge. Dies außergewöhnliche Geschehen vollzieht sich in ihrem Herzen, in ihrem Gebet. Sie stellt zwischen Gutem und Schlechtem einen Zusammenhang her, sie hält beides nicht getrennt, sondern vereint es. Und deswegen ist Maria die Mutter der Katholizität. Wenn wir die Sprache etwas bemühen, können wir sagen, dass Maria deshalb katholisch ist, weil sie vereint und nicht trennt. Und so erfasst sie den vollen Sinn, die Perspektive Gottes. In ihrem mütterlichen Herzen begreift sie, dass die Herrlichkeit des Höchsten durch die Demut hindurchgeht; sie nimmt den Heilsplan an, wonach Gott in einer Krippe liegen sollte. Sie sieht das zerbrechliche und zitternde göttliche Kind und akzeptiert das wunderbare göttliche Ineinander von Größe und Kleinheit. So bewahrt Maria: indem sie alles erwägt.
Dieser alles einbeziehende Blick, der Spannungen überwindet, indem er im Herzen bewahrt und erwägt, ist der Blick der Mütter, die bei Spannungen nicht eins vom anderen trennen, sondern diese Spannungen bewahren. So wächst das Leben. Es ist der Blick, mit dem viele Mütter auf das Leben ihrer Kinder blicken. Es ist ein realistischer Blick, der nicht verzagt, der angesichts der Probleme nicht erstarrt, sondern sie in einen größeren Zusammenhang stellt. Und so macht es Maria bis zum Kalvarienberg. Sie bewahrt und erwägt alles. Man fühlt sich an die Gesichter von Müttern erinnert, die sich um ein krankes oder in Not geratenes Kind kümmern. Wie viel Liebe ist in ihren Augen, die, obwohl sie weinen, Grund zur Hoffnung geben! Ihr Blick ist wissend, ohne Illusionen, doch über den Schmerz und die Probleme hinaus bietet er eine umfassendere Perspektive, die der Fürsorge, der Liebe, die die Hoffnung erneuert. Das ist es, was Mütter tun: Sie wissen, wie man Hindernisse und Konflikte überwindet, wie man Frieden stiftet. Auf diese Weise gelingt es ihnen, Widrigkeiten in eine Chance zu neuem Leben und in eine Chance zum Wachstum zu verwandeln. Sie tun dies, weil sie wissen, wie man bewahrt. Mütter verstehen es zu bewahren, sie wissen wie man die Bande des Lebens zusammenhält, alle. Wir brauchen Menschen, die Bande der Gemeinschaft knüpfen können, welche den vielen Stacheldrähten der Spaltung etwas entgegenzusetzen haben. Und darauf verstehen sich die Mütter.
Das neue Jahr beginnt im Zeichen der heiligen Mutter Gottes, im Zeichen der Mutter. Der Blick der Mutter ist der Weg zu Neugeburt und zum Wachstum. Die Mütter und Frauen blicken nicht auf die Welt, um sie auszubeuten, sondern um ihr Leben zu schenken. Indem sie sie mit dem Herzen sehen, gelingt es ihnen, Träume und konkrete Wirklichkeit zusammenzuhalten und das Abdriften sowohl in einen sterilen Pragmatismus als auch in das Abstrakte zu vermeiden. Die Kirche ist Mutter auf diese Weise. Die Kirche ist Frau auf diese Weise. Und deswegen können wir den Platz der Frau in der Kirche nicht bestimmen, wenn nicht vom Herzen der Frau und Mutter her. Dies ist der Platz der Frau in der Kirche, der bedeutende Platz, von dem sich andere konkretere, weniger bedeutende Rollen herleiten. Aber die Kirche ist Mutter, die Kirche ist Frau. Und da Mütter Leben schenken und Frauen die Welt bewahren, sollten wir uns alle dafür einsetzen, Mütter zu fördern und Frauen zu beschützen. Wie viel Gewalt gibt es gegen Frauen! Damit muss Schluss sein! Eine Frau zu verletzen, bedeutet, Gott zu beleidigen, der von einer Frau seine Menschengestalt angenommen hat; nicht von einem Engel, nicht direkt, sondern von einer Frau. So nimmt er von einer Frau, der Kirche, die Frau ist, die Menschheit seiner Söhne und Töchter an.
Stellen wir uns zu Beginn des neuen Jahres unter den Schutz dieser Frau, der heiligen Mutter Gottes, die unsere Mutter ist. Sie helfe uns, alles zu bewahren und zu erwägen, und keine Angst vor Bewährungsproben zu haben – in der freudigen Gewissheit, dass der Herr treu ist und jedes Kreuz zur Auferstehung führen kann. Rufen wir, wie es das Volk Gottes in Ephesus tat, auch heute zu ihr. Stehen wir alle auf, schauen wir auf die Mutter Gottes und wiederholen wir dreimal ihren Titel »Gottesmutter«. Alle gemeinsam: »Heilige Mutter Gottes, heilige Mutter Gottes, heilige Mutter Gottes!« Amen.