Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag und herzlich willkommen!
Ich begrüße sehr herzlich Seine Eminenz Kardinal Kevin Farrell und danke ihm für die Worte, die er an mich gerichtet hat. Und ich danke euch allen für eure Anwesenheit trotz der widrigen Umstände, die der Pandemie geschuldet sind – und zuweilen auch der »schlechten Laune«, die dieses Dekret vielleicht in das Herz einiger von euch gesät hat! Gehen wir jedoch gemeinsam voran. Ich begrüße auch alle, die über Videoübertragung teilnehmen und danke ihnen. Viele von ihnen konnten nicht reisen aufgrund der Beschränkungen, die in vielen Ländern noch gelten. Ich weiß nicht, wie der Sekretär es geschafft hat, aus Brasilien zurückzukehren! Du musst es mir nachher erklären.
1. Ich hatte den Wunsch, heute hier zu sein, vor allem, um mich bei euch zu bedanken! Danke für eure Präsenz als Laien – Männer und Frauen, junge und alte Menschen –, die sich dafür einsetzen, das Evangelium im Alltag, an eurem Arbeitsplatz, in vielen verschiedenen Umfeldern – im schulischen Bereich, in der Sozialarbeit und so weiter, auf der Straße, an den Bahnhöfen; dort wart ihr alle – zu leben und zu bezeugen. Dies ist das weite Feld eures Apostolats, es ist eure Evangelisierung.
Wir müssen verstehen, dass die Evangelisierung ein Auftrag ist, der der Taufe entspringt; die Taufe, die uns gemeinsam zu Priestern macht, im Priestertum Christi: das priesterliche Volk. Und wir dürfen nicht erwarten, dass der Priester kommt, um zu evangelisieren, der Missionar… Ja, sie tun es sehr gut, aber wer getauft ist, hat die Aufgabe zu evangelisieren. Ihr habe das mit euren Bewegungen neu erweckt, und das ist sehr gut. Danke!
In den vergangenen Monaten habt ihr die Leiden und Ängste vieler Männer und Frauen, die der Pandemie geschuldet sind, vor allem in den ärmeren Ländern, in denen viele von euch anwesend sind, mit eigenen Augen gesehen und persönlich erfahren. Einer von euch hat mir davon erzählt. So viel Armut, Elend… Ich denke an uns hier im Vatikan: Wir beklagen uns, wenn die Mahlzeit nicht gut gekocht ist, während es Menschen gibt, die nichts zu essen haben. Ich bin euch dankbar, dass ihr nicht haltgemacht habt: Ihr habt nicht aufgehört, eure Solidarität, eure Hilfe, das Zeugnis des Evangeliums zu bringen – auch in den härtesten Monaten, als die Ansteckungsraten sehr hoch waren. Trotz der Einschränkungen aufgrund der notwendigen vorbeugenden Maßnahmen habt ihr nicht aufgegeben. Im Gegenteil: Ich weiß, dass viele von euch ihre Bemühungen verstärkt haben, indem sie sich den konkreten Situationen angepasst haben, denen ihr gegenübergestanden habt und gegenübersteht, mit jener Kreativität, die aus der Liebe kommt. Denn wer sich vom Herrn geliebt fühlt, liebt maßlos.
Diese »Maßlosigkeit« ist das, was in diesen kritischen Momenten kommt. Und diese »Maßlosigkeit« haben wir auch bei vielen Ordensschwestern gesehen, bei vielen geweihten Frauen, bei vielen Priestern und bei vielen Bischöfen. Ich denke gerade an einen Bischof, der am Ende intubiert wurde, weil er immer bei den Menschen war. Jetzt erholt er sich langsam. Ihr und das ganze Gottesvolk habt dabei zusammengehalten, und ihr seid dort gewesen. Keiner von euch hat gesagt: »Nein, ich kann nicht hingehen, denn mein Gründer ist anderer Meinung.« Also kein Gründer: Hier war es das Evangelium, das gerufen hat, und alle sind hingegangen. Vielen Dank! Ihr bezeugt »jene (gesegnete) gemeinsame Zugehörigkeit […], der wir uns nicht entziehen können, dass wir nämlich alle Brüder und Schwestern sind« (Besondere Andacht in der Zeit der Epidemie, 27. März 2020). Entweder wir sind Geschwister, oder wir sind Feinde! »Nein, nein. Ich bestehe darauf: entweder Geschwister oder Feinde.« Es gibt keinen Mittelweg.
2. Als Mitglieder von Vereinigungen von Gläubigen, internationalen kirchlichen Bewegungen und anderen Gemeinschaften habt ihr eine echte kirchliche Sendung. Mit Hingabe seid ihr bestrebt, jene Charismen, die der Heilige Geist durch die Gründer allen Mitgliedern eurer Verbandswirklichkeiten geschenkt hat, zu leben und Früchte tragen zu lassen, zum Wohl der Kirche und vieler Männer und Frauen, denen ihr euch im Apostolat widmet. Ich denke insbesondere an jene, die sich in den existentiellen Randgebieten unserer Gesellschaften befinden und die am eigenen Leib Verlassenheit und Einsamkeit erfahren und an vielen materiellen Nöten und moralischer und geistlicher Armut leiden. Uns allen wird es guttun, jeden Tag nicht nur an die Armut anderer zu denken, sondern auch und vor allem an unsere eigene Armut.
Es gibt etwas von Mutter Teresa, das mir oft in den Sinn kommt. Ja, sie war eine Ordensfrau, aber dies passiert allen, wenn wir unterwegs sind. Wenn du beten gehst und nichts spürst. Ich nenne es so, jenen »geistlichen Atheismus«, wo alles dunkel ist, alles zu sagen scheint: »Ich bin gescheitert, das ist nicht der Weg, das ist eine schöne Illusion.« Die Versuchung des Atheismus, wenn sie im Gebet kommt. Die arme Mutter Teresa hat viel gelitten, denn das ist die Rache des Teufels für die Tatsache, dass wir dort hingehen, in die Randgebiete, wo Jesus ist, wo Jesus geboren ist. Wir ziehen ein anspruchsvolles Evangelium, ein destilliertes Evangelium vor, aber das ist kein Evangelium; das Evangelium ist dies. Danke. Es wird allen guttun, an diese Armut zu denken.
Ihr seid auch, trotz der täglichen Grenzen und Sünden – Gott sei Dank sind wir Sünder und schenkt Gott uns die Gnade, unsere Sünden zu erkennen, und auch die Gnade zu bitten oder zum Beichtvater zu gehen: Das ist eine große Gnade, man darf sie nicht verlieren! –, trotz dieser Grenzen seid ihr ein deutliches Zeichen der Lebendigkeit der Kirche: Ihr stellt eine missionarische Kraft und eine Gegenwart der Prophetie dar, die uns gute Hoffnung für die Zukunft schenkt. Auch ihr, zusammen mit den Hirten und allen anderen gläubigen Laien habt die Verantwortung, die Zukunft des heiligen gläubigen Gottesvolkes aufzubauen. Aber denkt immer daran, dass die Zukunft aufzubauen nicht bedeutet, aus dem Heute, das wir leben, herauszutreten! Im Gegenteil, die Zukunft muss hier und jetzt vorbereitet werden, »in der Küche«, indem man lernt, der heutigen Zeit Gehör zu schenken und sie zu erkennen mit Aufrichtigkeit und Mut und in der Bereitschaft zur ständigen Begegnung mit dem Herrn, zur ständigen persönlichen Umkehr. Sonst läuft man Gefahr, in einer destillierten »Parallelwelt« zu leben, weit entfernt von den wirklichen Herausforderungen der Gesellschaft, der Kultur und all jenen Menschen, die in eurem Umfeld leben und die euer christliches Zeugnis erwarten. Denn einer Vereinigung, einer Bewegung oder einer Gemeinschaft anzugehören – vor allem, wenn sie auf ein Charisma Bezug nehmen – darf uns nicht in ein »eisernes Fass« verschließen, uns in Sicherheit wiegen lassen, so als sei eine Antwort auf die Herausforderungen und auf den Wandel nicht notwendig. Als Christen sind wir alle immer unterwegs, immer auf dem Weg der Umkehr, immer im Entscheidungsfindungsprozess.
Oft begegnen wir den sogenannten »in der Seelsorge Tätigen«, seien es Bischöfe, Priester, Ordensfrauen, engagierte Laien. Ich mag dieses Wort nicht: Der Laie ist entweder engagiert, oder er ist nicht engagiert. Die Laien, die in etwas aktiv sind. Wir begegnen jedoch einigen, die den Weg mit einem touristischen Ausflug verwechseln oder die den Weg damit verwechseln, immer um sich selbst zu kreisen, ohne voranzukommen. Der Weg des Evangeliums ist kein touristischer Ausflug. Er ist eine Herausforderung: Jeder Schritt ist eine Herausforderung, und jeder Schritt ist ein Ruf Gottes, jeder Schritt bedeutet – wie wir in unserem Land sagen –, »das Fleisch auf den Grill zu legen«. Immer vorangehen. Wir sind immer unterwegs, immer auf dem Weg der Umkehr, immer in einem Entscheidungsfindungsprozess, um den Willen Gottes zu tun.
Zu meinen, man sei »die Neuheit« in der Kirche – dies ist eine Versuchung, in die die neuen Kongregationen oder die neuen Bewegungen oft geraten – und bedürfe daher keiner Veränderungen, kann zu einer falschen Sicherheit werden. Auch Neuheiten altern schnell! Daher müssen wir auch das Charisma, dem wir angehören, immer besser vertiefen, immer gemeinsam nachdenken, um es in den neuen Situationen, die wir erleben, zu verkörpern. Um das zu tun, wird von uns große Fügsamkeit, große Demut verlangt, um unsere Grenzen zu erkennen und es zu akzeptieren, veraltete Handlungs- oder Denkweisen oder Methoden des Apostolats, die nicht mehr wirksam sind, oder Organisationsformen des inneren Lebens, die sich als ungeeignet oder sogar schädlich erwiesen haben, zu verändern. Zum Beispiel ist das einer der Dienste, die uns die Generalkapitel immer leisten. Wenn sie [die Formen und die Methoden] nicht gut sind, müssen sie in der Versammlung revidiert werden.
Aber jetzt landen wir bei dem entscheidenden Punkt, auf den ihr gewartet habt.
3. Das Dekret Die internationalen Vereinigungen von Gläubigen, das am 11. Juni dieses Jahres promulgiert wurde, ist ein Schritt in diese Richtung. Aber sperrt uns dieses Dekret ins Gefängnis? Nimmt es uns die Freiheit? Nein, dieses Dekret spornt uns an, einige Veränderungen anzunehmen und die Zukunft von der Gegenwart ausgehend vorzubereiten. Am Ursprung dieses Dekrets steht nicht irgendeine Theorie über die Kirche oder über die Laienverbände, die angewandt oder aufgezwungen werden soll. Nein, es gibt sie nicht. Es ist die Wirklichkeit der letzten Jahrzehnte, die uns die Notwendigkeit der Veränderungen, die das Dekret von uns verlangt, gezeigt hat.
Und ich sage euch etwas über die Erfahrung der letzten Jahrzehnte nach dem Konzil. In der Kongregation für die Ordensleute werden die Ordensinstitute, die Vereinigungen untersucht, die in dieser Zeit entstanden sind. Es ist seltsam, es ist sehr seltsam. Viele, sehr viele mit einer großen Neuheit sind in sehr harte Situationen geraten: sie stehen unter Apostolischer Visitation, sie sind in schändliche Sünden abgeglitten, stehen unter kommissarischer Verwaltung… Und es wird eine Untersuchung durchgeführt. Ich weiß nicht, ob man das veröffentlichen kann, aber ihr kennt aufgrund des klerikalen Geschwätzes diese Situationen besser als ich. Es sind viele und nicht nur die großen, die wir kennen und die skandalös sind – was haben sie nicht getan, um sich als eine besondere Kirche zu fühlen, sie schienen die Erlöser zu sein! –, sondern auch die kleinen. In meinem Land zum Beispiel sind drei von ihnen bereits aufgelöst worden – und zwar alle, weil sie in die schmutzigsten Dinge abgeglitten waren. Sie waren das Heil, nicht wahr? Sie schienen es zu sein… Immer mit jenem [roten] Faden der disziplinarischen Strenge. Das ist wichtig. Und das hat mich dazu gebracht… Diese Wirklichkeit der letzten Jahrzehnte hat uns eine Reihe von Ver-änderungen gezeigt, um zu helfen: Veränderungen, die das Dekret von uns verlangt.
Heute befasst ihr euch also ausgehend von diesem Dekret mit einem Thema, das nicht nur für einen jeden von euch, sondern für die ganze Kirche wichtig ist: »Die Leitungsverantwortung in den Laienverbänden. Ein kirchlicher Dienst«. Leiten ist dienen. Die Leitungsfunktion innerhalb der Vereinigungen und der Bewegungen ist ein Thema, das mir besonders am Herzen liegt, vor allem – wie ich gerade erwähnt habe – in Anbetracht der Missbrauchsfälle verschiedener Natur, die auch in diesen Wirklichkeiten stattgefunden haben und die ihre Wurzel immer im Machtmissbrauch haben. Das ist der Ursprung: der Machtmissbrauch. Nicht selten musste der Heilige Stuhl in diesen Jahren einschreiten und nicht einfache Heilungsprozesse in Gang setzen. Und ich denke nicht nur an die schlimmen Situationen, die Aufsehen erregen; sondern auch an die Krankheiten, die aus der Schwächung des Gründungscharismas heraus entstehen, das lau wird und die Anziehungskraft verliert.
4. Die Leitungsämter, die euch in den Laienverbänden, denen ihr angehört, anvertraut sind, sind nichts anderes als eine Berufung zum Dienen. Was aber bedeutet es für einen Christen zu dienen? Bei einigen Gelegenheiten konnte ich zwei Hindernisse aufzeigen, denen ein Christ auf seinem Weg begegnen kann und die ihn daran hindern, ein wahrer Diener Gottes und der anderen zu werden (vgl. Frühmesse in Santa Marta, 8. November 2016).
5. Das erste ist die »Machtgier«: wenn diese Machtgier dich das Wesen des Leitungsdienstes verändern lässt. Wie oft haben wir die anderen unsere »Machtgier« spüren lassen? Jesus hat uns gelehrt, dass der Führende wie der Dienende werden muss (vgl. Lk 22,24—26) und: »Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein« (Mk 9,35). Jesus kehrt also die Werte der Weltlichkeit, der Welt um.
Unsere Machtgier kommt im Leben der Kirche auf vielerlei Weise zum Ausdruck; zum Beispiel, wenn wir kraft der Rolle, die wir haben, meinen, Entscheidungen treffen zu müssen über alle Aspekte des Lebens unserer Vereinigung, der Diözese, der Pfarrgemeinde, der Kongregation. Aufgaben und Verantwortungen für bestimmte Bereiche werden an die anderen delegiert, aber nur theoretisch! In der Praxis ist die Delegierung an die anderen entleert von dem Drang, überall zu sein. Und diese Machtgier macht jede Form der Subsidiarität zunichte. Diese Haltung ist schlimm und nimmt am Ende der kirchlichen Körperschaft ihre Kraft. Sie ist eine böse Form der »Disziplinierung«. Und wir haben es gesehen. Viele – und ich denke an die Kongregationen, die ich am bes-ten kenne – Obere, Generalobere bleiben ewig an der Macht und tun abertausende Dinge, um stets aufs Neue wiedergewählt zu werden, auch indem sie die Konstitutionen ändern. Und dahinter steht eine Machtgier. Das hilft nicht; das ist der Anfang vom Ende einer Vereinigung, einer Kongregation.
Vielleicht meinen einige, dass diese »Gier« sie nicht betreffe, dass das in der eigenen Vereinigung nicht geschehe. Halten wir uns vor Augen, dass das Dekret Die internationalen Vereinigungen von Gläubigen nicht nur an einige der hier anwesenden Wirklichkeiten gerichtet ist, sondern an alle, keine ausgeschlossen. An alle. Es gibt keine besseren oder schlechteren, vollkommenen oder unvollkommenen: Alle kirchlichen Wirklichkeiten sind zur Umkehr aufgerufen, um den Geist, der die Weisungen beseelt, die uns im Dekret gegeben werden, zu verstehen und umzusetzen. Mir kommen dazu zwei Bilder in den Sinn. Zwei historische Bilder. Jene Ordensschwester, die am Eingang zum Kapitel stand und sagte: »Wenn ihr mich wählt, werde ich das tun…« Sie kaufen die Macht. Und dann ein Fall, der mir seltsam erscheint, wie: »Der Geist des Gründers ist auf mich herabgekommen.« Das klingt wie eine Prophezeiung des Jesaja! »Er hat ihn mir gegeben! Ich muss allein vorangehen, weil der Gründer mir seinen Umhang gegeben hat, wie Elija dem Elischa. Und ja, haltet ihr nur die Wahl ab, aber ich bin der Befehl.« Und das geschieht! Ich spreche nicht von Fantasien. Das geschieht heute in der Kirche.
Die Erfahrung der Nähe zu euren Wirklichkeiten hat gelehrt, dass es wohltuend und notwendig ist, einen Wechsel in den Leitungsämtern und eine Vertretung aller Mitglieder in euren Wahlen vorzusehen. Auch im Kontext des geweihten Lebens gibt es Ordensinstitute, die immer dieselben Personen in den Leitungsämter halten und so nicht die Zukunft vorbereitet haben; sie haben zugestimmt, dass sich Missbräuche einschleichen, und sie machen jetzt große Schwierigkeiten durch. Ich denke gerade – ihr werdet es nicht kennen – an ein Institut, dessen Oberhaupt »Amabilia« [die Liebenswürdige] hieß. Das Institut wurde am Ende »Odibilia« [die Hassenswürdige] genannt, weil die Mitglieder gemerkt haben, dass jene Frau ein »Hitler« im Ordensgewand war.
6. Außerdem gibt es noch ein weiteres Hindernis gegenüber dem wahren christlichen Dienst, und dieses ist sehr subtil: die Illoyalität. Wir begegnen ihm, wenn jemand dem Herrn dienen will, aber auch anderen Dingen dient, die nicht der Herr sind (und hinter anderen Dingen steckt immer das Geld). Es ist ein wenig so als spielte man ein doppeltes Spiel! Mit Worten sagen wir, dass wir Gott und den anderen dienen wollen, aber tatsächlich dienen wir unserem Ego, und wir beugen uns unserem Verlangen, gesehen zu werden, Anerkennungen, Dank zu erhalten… Vergessen wir nicht, dass der wahre Dienst unentgeltlich und bedingungslos ist, weder Berechnung noch Ansprüche kennt. Außerdem vergisst der wahre Dienst gewöhnlich die Dinge, die er gemacht hat, um den anderen zu dienen. Es passiert manchmal, ihr alle habt diese Erfahrung, dass man sich bei euch bedankt [und ihr sagt]: »Wofür?« – »Für das, was Sie getan haben…« – »Aber was habe ich denn getan?«… Und dann erinnert man sich daran. Es ist ein Dienst, Punkt.
Und wir geraten in die Falle der Illoyalität, wenn wir uns den anderen als die einzigen Ausleger des Charismas präsentieren, die einzigen Erben unserer Vereinigung oder Bewegung – jener Fall, den ich vorhin erwähnt habe. Oder wenn wir uns für unverzichtbar halten und alles tun, um Ämter auf Lebenszeit zu bekleiden; oder auch wenn wir den Anspruch erheben, im Voraus zu entscheiden, wer unser Nachfolger sein soll. Das gibt es? Ja, das gibt es. Und zwar öfter als wir glauben. Niemand ist Herr über die für das Wohl der Kirche empfangenen Gaben – wir sind Verwalter –, niemand darf sie ersticken, sondern man muss sie wachsen lassen, mit mir oder mit dem, der nach mir kommt. Jeder ist dort, wohin er vom Herrn gestellt wurde, aufgerufen, sie wachsen und Früchte tragen zu lassen, im Vertrauen darauf, dass Gott es ist, der alles in allen bewirkt (vgl. 1 Kor 12,6), und dass unser wahres Wohl in der kirchlichen Gemeinschaft gedeiht.
7. Liebe Freunde, lernen wir bei der Wahrnehmung der uns anvertrauten Leitungsrolle, echte Diener des Herrn und der Geschwister zu sein, lernen wir zu sagen: »Wir sind unnütze Knechte« (Lk 17,10). Halten wir uns jenen Ausdruck der Demut, der Fügsamkeit gegenüber dem Willen Got-tes vor Augen, der der Kirche so viel Gutes tut und auf die richtige Haltung verweist, um in ihr zu wirken: den demütigen Dienst, für den Jesus uns das Beispiel gegeben hat, indem er den Jüngern die Füße gewaschen hat (vgl. Joh 13,3-17; Angelus, 6. Oktober 2019).
8. In dem Dokument des Dikasteriums werden die Gründer erwähnt. Das scheint mir sehr weise zu sein. Der Gründer muss nicht ausgewechselt werden, er macht weiter, vorwärts. Etwas vereinfacht würde ich sagen, dass man bei den kirchlichen Bewegungen (und auch in den Ordensinstituten) unterscheiden muss zwischen jenen, die sich im Herausbildungsprozess befinden, und jenen, die bereits eine gewisse organische und rechtliche Stabilität erworben haben. Es sind zwei verschiedene Wirklichkeiten. Bei ersteren Instituten ist auch der Gründer oder die Gründerin noch am Leben.
Zwar haben alle Institute – seien es Ordensinstitute oder Laienbewegungen – die Pflicht, in den Versammlungen oder in den Kapiteln den Zustand des Gründungscharismas zu überprüfen und in ihren Gesetzgebungen die notwendigen Änderungen vorzunehmen (die dann vom jeweiligen Dikasterium approbiert werden). Aber den sich herausbildenden Instituten – und ich meine »herausbildend« im weiteren Sinne: die Institute, in denen der Gründer noch am Leben ist; daher ist im Dekret vom »Gründer auf Lebenszeit« die Rede –, die sich in der Gründungsphase befinden, findet diese Überprüfung des Charismas sozusagen kontinuierlich statt. Daher ist in dem Dokument die Rede von einer gewissen Stabilität der Oberen während dieser Phase. Es ist wichtig, diese Unterscheidung zu treffen, um sich in der Entscheidungsfindung mit mehr Freiheit bewegen zu können.
Wir sind lebendige Glieder der Kirche, und daher müssen wir auf den Heiligen Geist vertrauen, der im Leben einer jeden Vereinigung, eines jeden Mitglieds wirkt, der in einem jeden von uns wirkt. Hieraus entsteht das Vertrauen in die Unterscheidung der Charismen, die der Autorität der Kirche anvertraut ist. Seid euch der apostolischen Kraft und der prophetischen Gabe, die euch heute auf erneuerte Weise geschenkt werden, bewusst.
Danke, dass ihr mir Gehör geschenkt habt. Und eine Sache: Als ich den Entwurf des Dekrets gelesen habe, das ich anschließend unterzeichnet habe – den ersten Entwurf –, habe ich gedacht: »Das ist doch viel zu rigide! Es fehlt an Leben, es fehlt an…« Aber meine Lieben, so ist die Sprache des Kirchenrechts nun einmal! Und hier handelt es sich um eine rechtliche Sache, es ist eine Sache der Sprache. Wir müssen jedoch sehen, wie ich es zu tun versucht habe, was diese Sprache, das Recht, bedeutet. Darum wollte ich es gut erläutern. Und ich wollte auch die Versuchungen erläutern, die dahinterstecken, die wir gesehen haben und die den Bewegungen und auch den Ordensinstituten und den Laienverbänden so sehr schaden.
Danke, dass ihr mir Gehör geschenkt habt, und ich danke dem Dikasterium für die Laien, die Familien und das Leben dafür, dass es diese Begegnung organisiert hat. Ich wünsche euch allen gute Arbeit und einen guten Weg und eine gute Zusammenkunft. Sagt darin alles, was euch vom Herzen her zu sagen in den Sinn kommt. Fragt, was ihr fragen wollt, klärt die Situationen. Diese Begegnung dient dazu, das zu tun, Kirche zu machen, für uns. Und vergesst nicht, für mich zu beten, denn ich brauche es. Es ist nicht leicht, Papst zu sein, aber Gott hilft. Gott hilft immer.
(Orig. ital. in O.R. 16.9.2021)