Es war Papst Paul VI. selbst, der Anfang des Jahres 1970 seinen Wunsch an die Deutsche Bischofskonferenz herantrug, einen »Osservatore Romano«, also die Vatikanzeitung, auch in einer deutschsprachigen Wochenausgabe herauszubringen. Er sah vor allem in Deutschland das Interesse an den Impulsen des Konzils erlahmen, fand hier und dort einen verbreiteten »antirömischen Affekt« wieder aufflammen und führte die Ablehnung seiner Enzyklika Humanae Vitae auch auf Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Römischer Kurie und deutscher Ortskirche zurück. Seit längerer Zeit gab es bereits Ausgaben in französischer, englischer, spanischer und portugiesischer Sprache, und jetzt sollte es eben auch eine in Deutsch als fünfter Weltsprache geben.
Viel Mut bei der Erfüllung dieses Papstwunsches bewies der Bischof von Münster, Heinrich Tenhumberg, damals auch Medienbischof der Deutschen Bischofskonferenz. Gerade war die katholische Wochenzeitung »Publik« eingestellt worden, und trotzdem warb er für die Idee eines deutschsprachigen »Osservatore« auch in seiner Bistumszeitung: »Aufgabe dieser Zeitung ist es, den Dienst des Petrusamtes im deutschen Sprachraum präsent zu machen.«
Der damalige Papst hatte seinen Wunsch während einer Audienz im Vatikan auch direkt an Bischof Tenhumberg gerichtet, der mich wiederum aus meiner Zeit als Redakteur seiner Bistumszeitung »Kirche und Leben« gut kannte und auch um meine Italienischkenntnisse wusste. Ich war damals im Jahr 1970 schon in Rom und arbeitete im dortigen Büro der Katholischen Nachrichtenagentur. Der Bischof – also mein früherer Chef – kam auf mich zu und bat mich, meine journalistischen Kenntnisse in den Aufbau dieser deutschen Ausgabe der Vatikanzeitung einzubringen. Gern habe ich zugesagt – aber schon ab diesem Zeitpunkt immer nur vom »deutschsprachigen« Osservatore Romano gesprochen, was mir vor allem in Österreich und in der Schweiz immer viel Anerkennung brachte. Hauptbeauftragter war zunächst Jesuitenpater Karlheinz Hoffmann, der Leiter der deutschen Sektion von Radio Vatikan. Anfang 1971 ging es erst einmal darum, drei Probenummern, sogenannte »Nullnummern«, zu produzieren, die bei Fachleuten in Deutschland auf ein weitgehend positives Echo stießen.
Da saßen wir also in einem kleinen Raum im Gebäude der Vatikanzeitung beim Annator im Vatikan und machten uns zunächst einmal mit der Umgebung vertraut: mit Direktion und Redaktion der Tagesausgabe, mit den Redaktionen der anderen Sprachausgaben und mit der damals gebräuchlichen Drucktechnik. Jeder Text musste auf einen endlos langen Lochstreifen gestanzt werden. Dieser kam in eine Maschine, die Bleizeilen auswarf, welche zusammengesetzt die Texte bildeten, von denen dann ein Papierabzug gemacht wurde, wie ebenso von Fotos, von denen Rasterklischees hergestellt wurden. Diese Papierstreifen und die Fotoabzüge klebte der Redakteur zu einer Zeitungsseite zusammen, die dann dem Metteur in der Druckerei als Vorlage diente. Von der Seiten-Matrize wurde daraufhin ein Bleizylinder gegossen, der dann in die Rotationsmaschine kam. Diese – eine alte Koenig-Bauer aus Deutschland – stand in einem großen Raum und spuckte anschließend mit lautem Getöse Zeitung für Zeitung in der geplanten Auflage aus. Ein aus heutiger Sicht kaum noch vorstellbares und sehr aufwendiges Druckverfahren, weil es Anfang der Siebziger Jahre – jedenfalls im Vatikan – noch kein Foto-Offsetverfahren für den Zeitungsdruck gab.
Ein weiteres großes Problem waren die Übersetzungen, da wir ja die abzudruckenden Texte nur in der Originalsprache – meist in Italienisch – bekamen. Es ging darum, diese Texte nicht nur zu »übersetzen«, sondern »umzuformen«, das heißt inhaltlich korrekt, aber vom Stil her passend in die deutsche Sprache zu übertragen, was nicht immer einfach war. Bewährt hat sich damals eine von mir gebildete Übersetzergruppe von in Rom lebenden deutschsprachigen Priestern und Laien, die einmal in der Woche im Vatikan zusammenkam, um die vorliegenden Rohübersetzungen zu bearbeiten und in gutes Deutsch zu bringen. Dazu gehörten unter anderen der damals in Rom studierende Bertram Meier, heute Bischof von Augsburg, die österreichische Kurienmitarbeiterin Frau Dr. Elisabeth Peter und Dominikanerpater Ambrosius Esser von der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen. So manches Mal wurde um die richtige Ausdrucksweise gestritten, aber immer kam es zu einem guten Ergebnis, was öfters von Lesern und auch von zuständigen Kirchenleuten anerkannt wurde. Es ging darum – so schrieb einmal der Journalist Jürgen Vordemann – »jenen Stilzierrat zu beseitigen, der den deutschen Text weniger lesbar machen würde«.
Und auch das war damals ein Problem für uns: Wie kann von Rom aus der »Ossi« in den deutschsprachigen Ländern bekannt gemacht werden? Und für wen machen wir überhaupt Woche für Woche die Zeitung? Natürlich zunächst einmal für die sogenannten »Multiplikatoren«: Kardinäle, Bischöfe, Priester und Ordensleute, Laien in führenden kirchlichen Positionen, aber auch im außerkirchlichen Bereich für Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Meinungsbildner. Wir wollten zudem auch den normalen Gläubigen erreichen, was unter anderem über die Schriftenstände in den Kirchen gelang. Auf eine entsprechende Frage in einem Interview habe ich seinerzeit Folgendes geantwortet: »Das erscheint mir deshalb wichtig, weil häufig Meldungen über Äußerungen des Papstes oder über Vorgänge aus dem Vatikan arg verkürzt in der Presse ihren Niederschlag finden. Wer sich ein eigenes Urteil bilden will, sollte wie ein Wissenschaftler zur Quelle greifen.« Um konkrete Werbemaßnahmen hat sich insbesondere die von den deutschen Bischöfen eingerichtete Mediendienstleistungs-Gesellschaft (MDG) bemüht. Unterstützt haben uns aber auch Bischöfe und kirchliche Stellen in den deutschsprachigen Ortskirchen, um in den jeweiligen Ländern Vertragsverlage für Werbung und Abonnentenverwaltung zu finden. Der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Joseph Höffner, hat unsere Arbeit in einer Grußbotschaft zum zehnjährigen Bestehen mit folgenden Worten gewürdigt: »Gerade in einer Zeit, wo die säkularen Medien dazu neigen, in erster Linie über das Außergewöhnliche zu berichten, ist es erfrischend und ermutigend, eine Zeitung zu haben, die sich den grundlegenden Aussagen unserer Kirche verpflichtet weiß. Aus vielen Gesprächen ist mir bekannt, wie sehr man die authentische Information durch den deutschen ›Osservatore Romano‹ schätzt.«
Mit Datum vom 8. Oktober 1971 erschien die erste Ausgabe unserer Zeitung. Der Weg in den folgenden Jahren war nicht immer leicht. Per Zufall fand ich in alten Unterlagen einen Antrag von Pater Hoffmann vom 22. November 1972 an die Direktion des Osservatore Romano, ihm den Kauf von vier Exemplaren des Neuen Testaments in deutsch, eines Lexikons Lateinisch-Deutsch sowie ein Handbuch über römische Kirchen zu genehmigen und die Kosten zu erstatten. Alles musste über die »direzione« laufen, was die Arbeit nicht immer einfacher machte.
Neben den Papstansprachen und Verlautbarungen der Römischen Kurie haben wir in unserem Osservatore von Anfang an auch eigene Beiträge aus den Ortskirchen und über Kunst und Kultur in Rom gebracht. Die Veröffentlichung von theologischen Diskussionsbeiträgen aus dem deutschsprachigen Raum oder meine eigenen Leitartikel als Chefredakteur haben die Vorgesetzen oft kritisch gesehen. Aber sie wurden akzeptiert, weil sie immer mit dem nötigen Augenmaß in das Blatt genommen worden waren.
»Bordfelds Werk ist das wohl erfolgreichste Blatt im kleinen Zeitungsbereich des Vatikans«, schrieb der bereits erwähnte Journalist Jürgen Vordemann in einem Beitrag aus dem März 1979 im EG-Magazin: »Es hat inzwischen eine höhere Auflage als das Mutterblatt.« Da kann ich Zahlen ergänzen: Sowohl im Heiligen Jahr 1975 als auch im sogenannten Drei-Päpste-Jahr 1978 gab es einen kleinen Boom mit einer Auflage von rund 30.000 Exemplaren.
So habe ich also in meiner langen Zeit im Vatikan von 1970 bis 1987 für drei Päpste gearbeitet: Paul VI., Johannes Paul I. und Johannes Paul II. Im Januar 1979, kurz nach dem Beginn seines Pontifikats, besuchte der polnische Papst die Redaktionsräume des Osservatore Romano und informierte sich mit großem Interesse auch über die Wochenausgaben in den fremden Sprachen, denen auf seinen Wunsch hin bald eine Monatsausgabe in polnischer Sprache folgen sollte. Scherzhaft sagte er zu uns Redakteuren: »Eigentlich müsstet ihr mir ein Gehalt zahlen, bei den vielen Beiträgen, die ich euch liefere.« Der damalige Direktor der Zeitung, Valerio Volpini, sagte nach dem Besuch: »Es ist wahr. Der Papst ist unser fleißigster Mitarbeiter. Aber seitdem er im Amt ist, haben wir auch fünfmal so viel Arbeit wie vorher.« Denn niemals zuvor hat ein Papst so viel geschrieben und gesprochen wie Johannes Paul II.
Mit großer Dankbarkeit, auch gegenüber allen damaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, allen Unterstützern und vor allem gegenüber allen Lesern in diesen Jahren, erinnere ich mich an die Gründungsjahre des »OR-deutsch« und stelle nicht ohne ein wenig Stolz fest: »Es gibt ihn noch!« Mit diesem Beitrag einen herzlichen Glückwunsch zum Fünfzigsten, verbunden vor allem mit dem Wunsch für viele weitere erfolgreiche Jahre.
Elmar Bordfeld