Liebe Leserinnen und Leser,
Die erste Veränderung, die wir in diesem Jahr feststellen konnten, ist die Ausbreitung unserer Zeitung in der digitalen Welt. Im letzten Jahr sind, auch aufgrund der durch die Pandemie entstandenen Situation, die App und der Newsletter des »L'Osservatore Romano« ins Leben gerufen worden: Das Problem hat sich als eine Chance entpuppt.
Diese Zeitung, von der es heißt, dass sie gewogen, nicht aber gezählt werde, ist in stetem Wachstum begriffen. Im Laufe dieses Jahres ist die Zahl der digitalen Abonnements erheblich gestiegen; die digitale Ausgabe (die die gedruckte Ausgabe reproduziert) kann überall auf der Welt in Echtzeit konsultiert werden. Die Papierausgabe hingegen ist jedenfalls handlicher und graphisch ansprechender geworden. Vor allem ihre Größe: Die Seite ist kleiner geworden und entspricht nun den gängigsten Standards, so dass die Voraussetzungen auch für einen dezentralen Druck geschaffen worden sind, der auch in anderen Teilen der Welt vorgenommen werden kann. Denn der »Osservatore Romano« ist, einzig in ihrer Art, eine wirklich internationale Zeitung; besser gesagt: eine Zeitung, die nicht italienisch, wohl aber »römisch« ist, das heißt katholisch, das heißt universal.
Während die Seitengröße leicht geschrumpft ist, hat sich die für die Zeichen verwendete Schrifttype vergrößert, so dass die volle Lesbarkeit gewährleistet ist. Ebenso wurden die Seiten – insbesondere die ersten Seiten – um einen wirkungsstarken fotografischen Inhalt angereichert, denn ein Bild sagt oft mehr als tausend Worte, wie der Papst uns erinnert hat.
Während die Tagesausgabe des »Osservatore« in italienischer Sprache erscheint, kommt die Zeitung aber auch in insgesamt sieben verschiedenen Wochen- bzw. Monatsausgaben heraus: auf Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, Portugiesisch, Malayalam-Indisch als Wochenausgabe und schließlich auf Polnisch als Monatsausgabe. Einige der Wochenausgaben werden bereits »vor Ort« gedruckt. Und neben der polnischen Monatsausgabe gibt es noch eine weitere Monatszeitschrift, die immer lebendiger werdende Beilage »Frauen – Kirche – Welt«, die auf Italienisch erscheint und auch auf Englisch, Französisch und Spanisch herauskommt.
In der Aufmachung, in der die Tagesausgabe seit dem 4. Oktober 2021 wieder im Druck erscheint, bietet sie mehr Platz für ausführliche Artikel. Der Stil der Zeitung konkurriert mit anderen Medien nicht so sehr in Bezug auf die Geschwindigkeit der Veröffentlichung von Nachrichten, sondern man hat sich dafür entschieden, den eher reflektierenden Stil zu betonen, durch den sich die Seiten der Zeitung seit jeher auszeichnen. Der Gläubige kann es sich nicht leisten, oberflächlich zu sein.
So entstanden die wöchentlichen Beilagen bzw. Rubriken, die sich an der traditionellen Unterteilung der vier Redaktionen der Zeitung orientieren: die Kulturbeilage »Quattro Pagine« (die dienstags erscheint), die religiösen Themen gewidmete Beilage »Religio« (mittwochs), die dem Vatikan gewidmete Beilage »La Settimana del Papa« (donnerstags) und die internationale Beilage »Atlante« (freitags). An den beiden anderen Tagen haben sich die Seiten der Cronache Romane (»Römische Berichterstattung«) bewährt, wo Lokales und Universelles aufeinandertrifft, die samstags erscheinen, sowie die Seiten, die der Fürsorge für das gemeinsame Haus gewidmet sind (montags), die die in Laudato si' enthaltenen Themen vertiefen. Neben dieser »Verwöchentlichung« des Inhalts sind auch zahlreiche Kolumnen und kleine oder große »Serien« entstanden, die für den Stil, den Blick dieser Zeitung stehen, die die Welt von Rom aus »beobachtet«. Sie beobachtet sie liebevoll und versucht, der Welt zuzuhören, in der Absicht, denen eine Stimme zu geben, die keine Stimme haben, und Geschichten zu erzählen, die von anderen Zeitungen oft aussortiert werden. Um den Weg der vertieften Analyse zu gehen, wurde ein narrativer Ansatz gewählt, bei dem die Schilderung von Erfahrungen aus dem konkret gelebten Leben im Vordergrund steht. Noch vor der Reflexion und Überlegung ist es aber erforderlich, mit dem Erzählen einer Geschichte, mit einem Stück Leben zu beginnen, denn es ist gerade die Geschichte, die an das Herz, die Phantasie und den Verstand der Leser rührt.
Es ist dieser erzählerische Stil, der alle Rubriken wie überhaupt die Seiten der Zeitung charakterisiert: Außer den »Cronache Romane« und der »Fürsorge für das gemeinsame Haus« (»Cura per la Casa Comune«) berichten die Kolumnen »#Jugendwerkstatt« (»#Cantiere Giovani«) und »Feldlazarett« (»Ospedale da campo«) Geschichten, in denen man die Arbeit der Kirche, die sich um die Heilung der Wunden einer schmerzenden, fragilen und verlorenen Menschheit bemüht, mit Händen greifen kann.
Bereits der Titel verrät die erzählerische Ausrichtung der Sonntagsgeschichten-Kolumne von Pater Fredric Manns, die in frischem Stil und mit wissenschaftlicher Kompetenz einige Episoden und Figuren aus der Bibel nacherzählen. Der heilige Text ist auch Protagonist der Dienstags-Kolumne Die frohe Botschaft, Meditationen über das Sonntagsevangelium von fünf Wissenschaftlerinnen unterschiedlicher Herkunft.
Neben dem erzählerischen Aspekt hat sich der »Osservatore Romano« auch noch in eine weitere Richtung entwickelt, und zwar dahin, eine treibende Kraft (auch mit Veranstaltungen) auch für Diskussionen, Auseinandersetzungen und Debatten zu sein. Eine Zeitung, die Augenblicke der Reflexion eröffnet, die »Prozesse in Gang setzt«: dafür stehen (unter anderem) die Kolumnen Laboratorio – Dopo la pandemia (»Werkstatt – Nach der Pandemie«), Sabato Italiano (»Samstags in Italien«) und Zona Franca (»Freizone«), die auf verschiedenen Gebieten Beiträge von Menschen sammeln, die zum Teil dem Leben der Kirche fernstehen, mit ihr aber durch ihren scharfen Blick und ihre Leidenschaft für alles Menschliche verbunden sind.
Und schließlich, wie gesagt, der Humanismus: Le domande della poesia (»Die Fragen der Poesie«) ist eine sehr kurze Rubrik auf der Titelseite, die die fragende Dimension mit einem Blick auf die Welt der Poesie verbindet, ebenso wie Bailamme (»Chaos«, »Krach«, »Höllenlärm«), die die vor sechzig Jahren von Don Giuseppe De Luca betreute gleichnamige Rubrik wieder aufgreift, die der Reportage nahesteht, trotz allem aber auch in der Welt der Literatur verwurzelt ist.
Sodann Gente di Spirito (»Geistreiche Leute«), die Kolumne, die mit Humor und Leichtigkeit tiefgründige Themen des kirchlichen Lebens aufgreift, denn der Humor ist eine wesentlich christliche Tugend, die mit jenem Humus zusammenhängt, aus dem auch »Menschlichkeit« bzw. »Humanität« und »Demut« (humilitas) stammen, die vielleicht – heute mehr denn jemals zuvor – wertvollste aller Tugenden, die dazu verhilft, den Beruf des Journalisten auszuüben, ohne arrogant, hochnäsig oder selbstbezogen zu sein.
Wir fühlen uns verpflichtet, den vor 160 Jahren eingeschlagenen Weg mit Hilfe unserer Leserinnen und Leser bescheiden und im Geist des Dienens fortzusetzen.
Andrea Monda