Geschichte

Als die Klöster noch reich und mächtig waren

 Quando i monasteri erano ricchi e potenti  DCM-009
02. Oktober 2021

Kleine Hofhaltungen mit Dienerschaft und Gütern, deren Herrinnen die Äbtissinnen waren


Es gab eine Zeit, als die fernab von der Welt gelegenen, unvermeidlicherweise aber die Welt widerspiegelnden Frauenklöster ein Teil des feudalen Wirtschaftssystems darstellten. Das heißt, sie waren reich und mächtig. »Die allgemeine Regel lautete« – so vereinfacht es der Historiker Giancarlo Rocca von der Gesellschaft vom Heiligen Apostel Paulus, der seit 1969 Direktor des Dizionario degli istituti di perfezione (DIP, eines Lexikons der Geschichte religiöser Orden) ist –, »keine Klöster zu gründen, wenn die Mittel für ihren Unterhalt nicht gesichert waren. In der Antike und im Mittelalter, und zum Teil auch noch in der Neuzeit, war das einfach, weil Könige, Herzöge oder Grafen höchst bereitwillig Ländereien, Wegerechte, Rechte zum Salztransport, Wälder, Mietshäuser etc. stifteten. Und außerdem war da noch die Mitgift der adeligen Mädchen, die ins Kloster eintraten. Das kontemplative Leben und das Leben in Klausur bedarf nämlich fester Einkünfte.«

Die Klöster jener Zeit waren kleine Hofhaltungen mit Dienerschaft und Grundbesitz, deren Herrinnen die Äbtissinnen waren, mit allen Privilegien der Zeit, jenem der Gerichtsbarkeit eingeschlossen. So war beispielsweise die Schwester Kaiser Karls des Großen,  Gisela, eine Prinzessin von königlichem Geblüt, Nonne und Äbtissin der berühmten Abtei Chelles bei Paris. Es gab aber auch den Fall von Conversano in Apulien, wo die Äbtissin des örtlichen Klosters den Rang eines Bischofs innehatte, mit voller Amtsgewalt über den örtlichen Klerus: das erfolgte im Jahre 1266, bei der Ankunft einer Gruppe von Zisterziensernonnen, die eine zu der Zeit gar nicht so ungewöhnliche Machtbefugnis erbten, die männlichen Abteien nicht gerade selten gewährt zu werden pflegte, und die erst 1800 mit der Auflösung des Klosters ihr Ende fand. Als Zeichen ihrer Macht verfügten sie, dass der Weltklerus zweimal jährlich der Äbtissin die Hand zu küssen hatte. Und wenn irgendein Bischof versuchte, dieses Privileg aufzuheben, dann reagierten die Äbtissinnen hart, mit Unterstützung der mächtigen Adelsfamilien, denen sie entstammten.

Unter den Adligen war es nämlich üblich, dass nur der Erstgeborene den Familienbesitz erben konnte. Den jüngeren Brüdern stand die Militärlaufbahn oder eine Karriere in der Kirche offen; die Schwestern wurden entweder verheiratet oder kamen ins Kloster. In einem Fall wie im anderen handelte es sich um Strategien zur Stärkung der Macht der Familie. Und es war völlig normal, dass Nonnen adeliger Herkunft in gut ausgestatteten Einzelzellen, mit persönlich auf sie zugeschnittenen Mahlzeiten und wenigen zu befolgenden Regeln lebten. Die sozio-ökonomische Struktur des Feudalzeitalters spiegelte sich im Kloster bereits in der Trennung der Nonnen in Chorfrauen, die Töchter des ortsansässigen Adels, die dazu bestimmt waren, verantwortungsvolle Positionen im Kloster zu bekleiden, und Konversinnen (conversae, Laienschwestern), die aus einfachen Familien stammten, meistens Analphabetinnen waren und sich der manuellen bzw. körperlichen Arbeit widmeten. Die Wirtschaft des Klosters basierte auf Feudalrechten und vor allem auf Grundbesitz, die sich im Lauf der Jahrhunderte dank unablässiger Schenkungen und eines klugen Managements akkumulierten.

Eine Ausnahme hiervon bildeten die Klarissen, die von der heiligen Klara gegründet worden waren, die ihren Mitschwestern die franziskanische Armut auferlegt hatte. Aber ihr Sonderfall bestätigte gerade, was die Regel war. Aber eben die Geschichte der Klarissen mit ihrer späteren Aufspaltung in Damianitinnen (die niemand zwingen konnte, Schenkungen anzunehmen) und Urbanistinnen (die gemeinschaftliches Eigentum besitzen konnten) berichtet von der objektiven Schwierigkeit, die die Nonnen damit hatten, überleben zu können, ohne auf Arbeit jenseits der Klostermauern oder gar auf feste Einnahmen zu verzichten. Bei dieser fast tausendjährigen Ordnung schlug das Konzil von Trient wie ein Meteorit ein. Mariella Carpinello erinnert uns in ihrem 2002 bei Mondadori erschienenen Buch Il monachesimo femminile [»Das weibliche Mönchtum«] daran, dass das Konzil in seiner letzten Sitzung vom 3. Dezember 1563 allen die strikte Klausur auferlegte: die Nonnen durften das Kloster nicht mehr verlassen und auch keine Besucher mehr empfangen. Die Kontakte zu ihren Familien wurden abgebrochen. Selbst die Architektur wurde abgeändert. Jedes Kloster bekam nun hohe Mauern, ein Rad an der Pforte, Gitter, geschlossene Kreuzgänge, ein Ende des Privateigentums, das Verbot, Schenkungen anzunehmen. Es änderte sich wirklich alles. Selbst das Wirtschaftssystem des Klosters.

Gerade um die Zukunft der Nonnen zu garantieren, wurde, nachdem ihnen jede Tätigkeit verwehrt worden war, die nicht kontemplativer Art war, die Mitgift für Neuzugänge geregelt und zur Pflicht gemacht, die um ein Weniges niedriger war als die Mitgift im Falle einer Heirat. Und es war eine ununvermeidbare  Entscheidung, denn auch Nonnen werden krank oder alt, und auch wenn sie sich dann nicht mehr auf ihre eigene Kraft oder den Reichtum des Klosters verlassen konnten, mussten sie doch überleben können.

Aber das Aufkommen einer neuen Wirtschaftsform und einer neuen Gesellschaft, verbunden mit dem Aufstieg der Kaufleute und des Bürgertums, war im Begriff, die alte Welt, die sich auf dem Höhepunkt ihres Glanzes und ihres Reichtums befand, hinwegzufegen. Mariella Carpinello berichtet, wie im frühen 18. Jahrhundert prunkvolle Zeremonien stattfanden, die einer fürstlichen Etikette folgten. »Die Profess der Mademoiselle de Rastignac, einer wunderschönen Zwanzigjährigen, die von einer anderen Grande Dame, Helena Massalska, der künftigen Fürstin von Ligne, beschrieben wird, ist luxuriös und spektakulär. Eine Dame der Gesellschaft, Mademoiselle de Guignes, fungiert als ihre Patin, während der Graf d’Hauteford ihr während des Ritus die Kerze hält. Mademoiselle de Rastignac nimmt in einem weißen Seidenkleid mit silbernen Bordüren, das mit Diamanten übersät ist, in der Kirche Platz. Am Ende des Gottesdienstes nimmt sie der Graf bei der Hand und führt sie in die Klausur, wonach die Pforte hinter ihr mit lautem Krachen geschlossen wird.«

Durch ein Paradoxon der Geschichte sollte die Auferlegung der Klausur vor allem auf Kosten der Ordensfrauen gehen. Die Ideologie der Aufklärung vertat in der Tat die Auffassung, dass das kontemplative Leben ein schädliches Relikt der Vergangenheit sei. 1782 unterdrückte Joseph II. von Habsburg die Frauenorden in Österreich, mit Ausnahme jener Orden, die sich der Lehre und der Krankenpflege widmeten. Mit der Französischen Revolution des Jahres 1789 und dann mit dem Napoleonischen Zeitalter wandten auch Frankreich und seine Satellitenstaaten eine Politik der Klosterschließungen an, unter Beschlagnahmung ihrer Güter. Eine Beschlagnahmungspolitik, die im Königreich Italien das ganze 19. Jahrhundert hindurch fortgesetzt wurde. In ganz Europa wechselte ein außerordentlicher Bestand an Kirchen, Gebäuden, Kunstwerken, Ländereien, Wäldern, Bauernhöfen und Mühlen plötzlich den Besitzer. Und nichts war mehr wie vorher.

»Die Auflösungen« – so erläutert uns Sr. Grazia Loparco, Professorin für Kirchengeschichte an der Päpstlichen Fakultät Auxilium – »haben zahlreiche Klöster verarmen lassen; einige haben sich nicht mehr erholt, andere Gemeinschaften haben sehr viel bescheidenere Quartiere gefunden. Die Säkularisierung hat mit Sicherheit zu einem Wandel des Modells des weiblichen Ordenslebens geführt. Mit den neuen Männer- und Frauenkongregationen des 19. Jahrhunderts änderte sich die wirtschaftliche Organisation, denn die Mitglieder boten ihre Dienstleistungen nun gegen eine Vergütung der von ihnen geleisteten Arbeit seitens der Gemeinde, der Stadt, der Unternehmer oder auch der Familien an. Die Ärmsten wurden dank der enthaltsamen Lebensführung der Gemeinschaften und durch Wohltäter unterstützt.« Die Ordensfrauen widmen sich nun der apostolischen Arbeit. Sie unterrichten, erziehen, helfen, betreuen. Sie verdienen ein Gehalt für sich und ihre Mitschwestern. Aber das ist bereits ein anderes Thema.

Von Francesco Grignetti
Journalist der Tageszeitung »La Stampa«

 

Königliche Abtei


Die auf der Île-de-France gelegene Abtei Chelles wurde in merowingischer Zeit gegründet. Um das Jahr 788 wurde Gisela, die Schwester Karls des Großen, dort Äbtissin. Unter ihrem Gouvernement war sie ein wichtiges Zentrum für das Kopieren und Restaurieren von Manuskripten, von denen viele bei einem Brand im 13. Jahrhundert zerstört wurden und in der Französischen Revolution dann endgültig verloren gingen.