Die Kuppel des Petersdoms als Gemeinschaftsprojekt

Vollendung eines Meisterwerks

Detail of the Palace of the Vatican, 'The Dome' with beautifull sky.
10. September 2021

Am Freitagabend, den 18. Februar 1564, starb Michelangelo, umgeben von seinen allernächsten Freunden, zwei Dienern und zwei Ärzten in seinem Haus in der Nähe der Trajanssäule. Er war 89 Jahre alt. Die letzten siebzehn, sehr anstrengenden Jahre hatte er auf der Baustelle des Petersdoms verbracht, um die 1506 von Bramante begonnene Basilika zu vollenden. Unter seiner Leitung begann der Petersdom die Gestalt anzunehmen, die wir heute sehen. Pfeiler und Absiden des Transepts wurden hochgezogen, die Außenseite wurde mit großen Travertinblöcken verkleidet, man begann mit der Wölbung des Nordarms. Aber vor allem arbeitete man an der majestätischen Kuppel, die sich genau über dem Petrusgrab erheben sollte. Michelangelo wusste, dass ihm aufgrund seines vorgerückten Alters nur wenig Zeit blieb. 1554, im Alter von knapp 80 Jahren, hatte er geschrieben: »Angekommen bin ich fast im Laufe des Lebens über wilde Meeresfluten mit meinem schwachen Schifflein.« Und im Archiv der Dombauhütte ist ein Brief erhalten, in dem er als 87-Jähriger schreibt: »Io ci metto il corpo e l’anima p[er] S[an]to Pietro«, das heißt dass er seine ganze Kraft, »Leib und Seele«, für den Petersdom einsetzt.

Es fehlte nicht an Neid und Konkurrenzkampf: Das machte die Arbeit, die bereits an sich an die Grenzen menschlicher Möglichkeiten stieß, noch komplizierter. So hatten zum Beispiel die Verantwortlichen der Dombauhütte unbegründeten Anschuldigungen und Gerede Gehör geschenkt und bereits 1548 einen Spion engagiert, um Michelangelo bei der Arbeit zu kontrollieren. Man beauftragte einen »sehr diskreten, intelligenten und rechtschaffenen« Soprastante [eine Art Bauleiter], »der nichts anderes tun sollte, als die Augen offen zu halten und zu berichten«, wie es in einer Quelle im Archiv der Dombauhütte heißt. Der Spion wurde jedoch zuerst abgemahnt und dann entlassen, offenbar hatte er sich selbst etwas zuschulden kommen lassen.

Außerdem musste Michelangelo in seinen letzten Lebensjahren Pirro Ligorio ertragen, der zum »Architetto dei Sacri Palazzi«, das heißt zum päpstlichen Architekten, ernannt worden war und öffentlich in Frage stellte, dass Michelangelo bei klarem Verstand sei. Auch gegen Nanni di Baccio Bigio musste er sich verteidigen, der einflussreiche Unterstützer hatte und den Meister verleumdete, weil er dessen Posten anstrebte. Insbesondere kritisierte er die strukturelle Schwäche des Kuppeltambours, der das Gewicht einer doppelten halbkugelförmigen Kuppel niemals tragen könne. Guglielmo della Porta, der im Petersdom am Grabmal Papst Pauls III. arbeitete, schlug in dieselbe Kerbe. Er war der Ansicht, dass es nur eine Kalotte geben dürfe, da die vier Vierungspfeiler die Druckkräfte der zwei Kuppelschalen niemals auffangen würden und nicht entsprechend verstärkt werden könnten. Francesco Laparelli, Ingenieur und Baumeister, schlug vor, die Fliehkräfte mit der Hilfe eines Strebewerks abzufangen.

Trotz aller Gegnerschaft und beißender Kritik setzte Michelangelo den Bau der Kuppel bis zum letzten Tag seines Lebens fort. 1564  waren die Pendentifs und der Tambour abgeschlossen, dem nur noch außen Kapitelle und Gesims fehlten. Diese wurden von Vignola vollendet. Aber die eigentliche Kuppel, oder besser die »doppelte Kuppel« war unvollendet geblieben, wie dies auf zahlreichen Gemälden, Drucken und Zeichnungen zu sehen ist.

Im Pontifikat Papst Gregors XIII. scheinen die Arbeiten an der Kuppel geruht zu haben, man baute erst einmal an anderen Stellen weiter: zum Beispiel an den kleinen Kuppeln über den Kapellen. Keiner wagte sich an die große Aufgabe. Mit der Wahl von Sixtus V. (1585-1590) änderte sich die Lage, denn er sei ein »hartnäckiger, energischer« Papst gewesen, »tosto« heißt es in einem Sonett von Giuseppe Gioachino Belli (19. Jh.), verfasst in römischem Dialekt. Der aus den Marken stammende Papst war fest entschlossen, das Projekt von Michelangelo zu Ende zu führen. Diese schwierige Aufgabe fiel Giacomo Della Porta zu, einem sehr erfahrenen Architekten mit einem außergewöhnlichen Organisationstalent, der von Gregor XIII. (1572-1585) nach dem Tod Vignolas 1573 zum Leiter der Dombauhütte ernannt worden war. Sixtus V. schätzte ihn, weil er tüchtig, schnell und effizient war. In diesem Fall zog er ihn seinem eigentlichen Schützling, Domenico Fontana, vor, der doch 1586 mit 900 Mann, 85 Zugwinden und 120 Pferden den Obelisken im Vatikan auf den Petersplatz versetzt und dort aufgerichtet hatte. Ein denkwürdiges Unterfangen, das in vielen zeitgenössischen Chroniken große Beachtung fand.

Um die Arbeiten zu beschleunigen, trennte der Papst die Verwaltung der Dombauhütte von der der Kuppel, für die er eine eigene kontinuierliche Finanzierung durch die Apostolische Kammer einrichtete. Della Porta wiederum griff die Bedenken hinsichtlich der Statik der von Michelangelo entworfenen Kuppel auf. Um sie zu stabilisieren, veränderte er den Entwurf, indem er die Halbkreisform »in die Länge zog«, das bedeutet, dass die neue Kuppel etwa sieben Meter höher ist, als von Michelangelo vorgesehen, und daher ein steiler ansteigendes Profil hat. Das hat zum einen den Vorteil, dass der von der Last der Kuppel seitlich ausgeübte Druck reduziert wird, und zum anderen folgte daraus wegen ihrer größeren Höhe auch eine bessere Sichtbarkeit vom Peterplatz aus. Somit wurde sie »schöner und stabiler«, wie es in einer Beschreibung aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts heißt.

Della Porta veränderte auch die dekorativen Elemente der Kuppel und passte sie dem veränderten Zeitgeschmack an. Das gilt für die drei Fensterreihen in der Kuppel: Im Entwurf Michelangelos hatten alle Fenster dieselbe Form, wobei die Fenster in den oberen Reihen lediglich kleinere Ausmaße haben sollten. Della Porta dagegen gestaltete sie unterschiedlich. Die Fenster der untersten Reihe haben abwechselnd dreieckige und halbrunde Giebel, während die der mittleren Reihe reicher geschmückt sind: der muschelförmige Giebel endet oben in der Mitte in einem Löwenkopf. Am oberen Gesims kamen zu den michelangelesken Festons aus Blumen und Früchten noch die Birnen, Löwen und Berge aus dem Wappen Papst Sixtus V. Peretti hinzu.

24 Jahre nach dem Tod Michelangelos, als Giacomo Della Porta 56 und der Papst 67 Jahre alt war, hatte man mit dem Bau der Kuppel begonnen. Dann wurden die Arbeiten in Rekordzeit abgeschlossen. Beginn war der 15. Juli 1588 und schon 22 Monate später war das neue Wahrzeichen der Ewigen Stadt fertig. Der letzte Quaderstein wurde am 14. Mai 1590 gesegnet. 800 Arbeiter waren hier beständig im Einsatz, in den Wintermonaten auch nach Einbruch der Dunkelheit, wie aus den Quellen hervorgeht. Nach dem Tod von Sixtus V. am 27. August 1590 vervollständigte sein Nachfolger Gregor XIV. (1590-1591) – obwohl es in Rom eine Hungersnot gab und die Pest wütete – das Werk; nun entstand die elegante Laterne als oberer Abschluss. Der nächste Papst, Clemens VIII. (1592-1605), ließ die Kuppel mit dicken Bleiplatten verkleiden, um sie wetterbeständig zu machen. Diese Absicht hatte schon Michelangelo, und daher hatte die Dombauhütte zwischen 1589 und 1593 insgesamt 172 Tonnen Blei angekauft. Die Rippen der Kuppelaußenseite und der Laternenbekrönung wurden auf Anregung von Giacomo Della Porta mit vergoldetem Metall verkleidet, während Michelangelo vorgesehen hatte, den hellen Travertin sichtbar zu lassen. Beide Lösungen betonen die vertikalen Linien. Die Metallverkleidung der Rippen wurde nur auf der vom Petersplatz aus sichtbaren Seite angebracht, zwei Rippen wurden in den 1590er Jahren mit Kupfer verkleidet, die restlichen fünf um 1605 mit Bronze. Ein Fresko im Quirinalspalast, dem ehemaligen Sommersitz der Päpste, zeigt diese Ansicht im Saal, dessen Ausmalung der Bautätigkeit von Papst Paul V. gewidmet ist. Allerdings konnte man sich nur knapp 20 Jahre an diesem Anblick erfreuen, denn schon 1624 nahm man die Metallverkleidung wieder ab, um Material für den Guss des großen Baldachins zu haben, der von Bernini direkt über dem Petrusgrab errichtet wurde, eine Etage tiefer sozusagen. Am 20. Juli 1593 wurde die vergoldete Kugel, die einen Durchmesser von 2,5 Metern hat und 1862 Kilo wiegt, über der Kuppellaterne angebracht; das 3,33 Meter hohe Kreuz folgte am 18. November desselben Jahres, womit die Kuppel die beeindruckende Höhe von 133,30 Metern erreichte. Unter dem Pontifikat von Clemens VIII. begann man auch mit der Ausschmückung der Kuppelinnenseite, insgesamt 3000 Quadratmeter, die nach zehnjähriger Arbeit 1613 abgeschlossen werden konnte. Die Vollendung des Meisterwerks war ein Projekt, das mehrere Generationen beschäftigte.

(zusammengestellt aus dem Mitteilungsblatt des Petersdoms)