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Pastoral im »Jahr der Familie – Amoris laetitia«

Modell der kirchlichen »Communio«

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10. September 2021

Die Erfahrung der Pandemie erstreckt sich in das Pastoraljahr hinein, das Papst Franziskus anlässlich des fünften Jahrestages der Veröffentlichung des Apostolischen Schreibens Amoris laetitia (AL) der Familie gewidmet hat: ein Text, den man als »Programm des kirchlichen Einsatzes« für die Familie bezeichnen könnte, ein Programm, das mit den Familien umgesetzt werden muss. Das ist neu und stellt uns vor neue Fragen, denn es erfordert, dass wir innerhalb der Kirche Überlegungen anstellen, die die Relationalität betreffen. Welche Art von Pastoral wollen wir mit den Familien umsetzen? Welche Art kirchlicher Beziehungen können wir aufbauen, um sie zu begleiten, sie zu Protagonisten und Subjekten der Familienpastoral zu machen (vgl. AL, 200)?

In diesem Zusammenhang fordert Amoris laetitia von uns eine »missionarische Umkehr« (201), die uns helfen soll, nicht »bei einer rein theoretischen, von den wirklichen Problemen der Menschen losgelösten Verkündigung« stehen zu bleiben, besonders jetzt nicht. Inmitten der von der Pandemie verschärften Schwierigkeiten, die »das Leben der Familie und ihre innige Lebens- und Liebesgemeinschaft auseinanderbrechen lassen« (AL, 19), erweist sich die Familie heute mehr denn je als »Zeichen der Zeit«. Und die Kirche, die aufgerufen ist, diese Zeichen zu suchen, ist eingeladen, die Familien in den kirchlichen Raum zu integrieren, um sich ihnen nähern und sie in ihrer Berufung stützen zu können, ausgehend von jenem »Prinzip der Wirklichkeit«, das jede Furcht vertreiben muss, sich den Schwierigkeiten zu nähern, in denen die Familien heute oft immer noch alleingelassen werden.

Die Familie, »Weg der Kirche« (AL, 69), verlangt von uns einen Blick, der fähig ist zu staunen über das, was sie ist: »Gemeinschaft des Lebens und der Liebe« (Gaudium et spes, 48). In diesem Sinne kann sie einen Stil kirchlicher Beziehung darstellen, der uns helfen kann, der Familienpastoral Orientierung zu geben.

Denn die christlichen Familien haben während der Pandemie die Kraft der Stabilität der auf der Ehe gründenden Bindungen, die Macht der vertrauensvollen Beziehungen, die im Glauben verankerte Resilienz, auch in den schwierigsten Situationen, aufgezeigt. Die christlichen Eheleute haben eine tiefe Beziehung zur Mutter Kirche erlebt, die mehr denn je in ihrem Zuhause gegenwärtig war mit der vom Heiligen Vater gefeierten Wochentagsmesse. Jeden Tag am frühen Morgen trat er behutsam in den Familienkreis ein und wies den Weg mit seinen liebevollen und konkreten Worten, die uns geholfen haben zu verstehen, wie wir den Tag in unserem Herzen und in den Beziehungen mit unseren Angehörigen angehen sollten. Er war für uns alle ein Hirte, ein Vater, ein Bruder, ein Lehrmeister, in jedem Fall der »Weg«, um unser Leben auf Christus auszurichten. Die Familien haben sich begleitet gefühlt, als Teil der Kirche, »Reben des einen Weinstocks« (vgl. Joh 15,5), Leib zusammen mit dem Papst, aber auch mit den Bischöfen, mit ihren Priestern, die sich bemüht haben, in neuen Formen und mit neuen Mitteln in den Häusern anwesend zu sein.

In dieser langsamen, aber in vielen Umfeldern wirksamen Dynamik, die in der Kirche allmählich Form angenommen hat, waren es diese Spuren der »Communio«, die sich als lebenswichtig erwiesen haben: jene wunderbare Eigenschaft, die vom Heiligen Geist ausgeht; der Sauerstoff, der uns gestattet hat, auch weiterhin die Kirche zu »atmen«; unsere Zugehörigkeit zum Leib  Christi, die uns erlaubt hat, unseren Glauben und die Notwendigkeit der Hoffnung zu nähren. Die Familien haben heute das Bedürfnis, sich als Teil der Kirche zu fühlen, denn das Zugehörigkeitsgefühl entzieht die Menschen dem Individualismus und der Einsamkeit, deren Gegenmittel in der Erfahrung der »Communio« liegt (vgl. AL, 325).

Die Pastoral entsteht nicht aus einer mechanischen Planung von Aktivitäten, sondern aus einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft heraus, aus dem Gehör, das man den Familien schenkt, und aus der Solidarität in den Schwierigkeiten. Daher müssen wir die Gemeinschaft leben und sie in Aktion sehen (vgl. AL, 325). »Nur eine Kirche, die in sich selbst das Geheimnis der Gemeinschaft feiert […], kann Subjekt einer wirksamen Evangelisierung sein« (Italienische Bischofskonferenz, Comunione e comunità).

Welches Gemeinschaftsmodell bietet uns die christliche Familie? Einige Zitate aus Amoris laetitia sollen uns Antwort geben. Unter Nr. 71 lesen wir: »Die Familie ist das Abbild Gottes, der Gemeinschaft von Personen ist.« Insbesondere ist »die Dreifaltigkeit im Tempel der ehelichen Gemeinschaft gegenwärtig« (314). »Eine gut gelebte Gemeinschaft in der Familie ist ein echter Weg der Heiligung im gewöhnlichen Leben wie auch des mystischen Wachstums, ein Mittel zur innigen Vereinigung mit Gott« (316). Und bezüglich der expansiven Kraft der Familiengemeinschaft liest man unter der Nr. 196: »›Die Liebe zwischen Mann und Frau in der Ehe und, in abgeleiteter und erweiterter Form, die Liebe zwischen den Mitgliedern der gleichen Familie […] [führt] die Familie zu einer immer tieferen und intensiveren Einheit […].‹ Dort fügen sich auch die Freunde und die befreundeten Familien und sogar die Gemeinschaften von Familien ein, die sich in ihren Schwierigkeiten, ihren sozialen Pflichten und ihrem Glauben gegenseitig unterstützen.« Hierher gehört der staunende Blick der Kirche auf die Familie, um den Reichtum zu verstehen, den sie für den pastoralen Stil der Kirche darstellen kann. »Daher schaut die Kirche, um ihr eigenes Geheimnis in Fülle zu verstehen, auf die christliche Familie, die es in unverfälschter Weise darlegt« (67). Denn der Stil der familiären Liebe, der auf der Gemeinschaft und der gegenseitigen Ergänzung der Eheleute gründet, kann zu einem kirchlichen Stil werden: »Die Kirche ist eine Familie aus Familien, die durch das Leben aller Hauskirchen ständig bereichert wird. Daher wird ›kraft des Ehesakramentes […] jede Familie im umfassenden Sinn ein Gut für die Kirche‹« (87).

Von Gabriella Gambino,
Untersekretärin im Dikasterium für die Laien, die Familie und das Leben