Johanna von Chantal und Franz von Sales
Sie ist »kräftig«, »energisch«, »mit einem männlichen Zug, der bei einer Frau doch überrascht«. Er ist ausgesprochen feinfühlig, fähig zu großer Zärtlichkeit, aber auch »freimütig« und ein Meister darin, »Seelen zu verstehen«. Sie ist ebenso ungeduldig, wie er umgekehrt zu warten versteht (und [auch andere] darum bittet). »Geben Sie Acht,« warnt er sie in einem Brief, »nicht ungeduldig zu sein, sonst bekommen Sie einen Faden voller Knoten und werden dann Ihre Spindel nur schlecht aufwickeln können.« Zwei völlig gegensätzliche Charaktere: so beschreibt Émile Bougaud, Bischof von Laval, in seinen beiden Ende des 19. Jahrhunderts veröffentlichten Bänden über die Geschichte der Baronin von Chantal [Histoire de sainte Chantal et des origines de la Visitation, Paris, Jacques Lecoffre et Cie, 1861] die heilige Johanna Franziska und den heiligen Franz von Sales, ein nicht nur in Frankreich berühmtes Paar der Spiritualität des 17. Jahrhunderts. Selbst ihr Stil ist gegensätzlich: der seine ist reich an »Bildern«, der ihre »knapp und bündig, farblos«. Aber in dieser naturgegebenen Verschiedenheit zündet der Funke einer außergewöhnlichen Freundschaft, die ein ganzes Leben vorhalten sollte. Und keineswegs nur, weil es sich um zwei Heilige handelte, sondern weil sie zur Zusammenarbeit zwischen einem Mann und einer Frau wird, die einander durch eine Beziehung der Vater- und der Kindschaft verbunden sind, aber auch durch jene der Geschwisterlichkeit, aus der eine neue Ordensgemeinschaft hervorgehen sollte, der Orden von der Heimsuchung Mariens (Salesianerinnen bzw. Visitantinnen).
Die Geschichte dieser Beziehung ist in den Hunderten von Briefen enthalten, die Franz und Johanna ihr ganzes Leben lang austauschen, von denen aber leider nur die ersten erhalten sind: der größte Teil von ihnen wurde vorsichtshalber von Johanna selbst nach Franzens Tod zerstört, aus der Überlegung heraus, dass die Autoren von Klatsch und Tratsch bei ihrer Lektüre ihre Worte und Gedanken aus dem Kontext, in dem sie geschrieben waren, hätten reißen können. Der Briefwechsel ist außergewöhnlich vor allem durch die Tiefe des Gedankenaustauschs, der alle Nuancen des menschlichen Lebens umfasst, vom Schmerz bis zur Zärtlichkeit, von der Sorge bis zur Freude. Mit einer Freiheit, ja sogar Kühnheit, die auf den ersten Blick verblüffen mag. Bis man erkennt, dass sie ein Ergebnis der wichtigsten Lehre ist, zu der der Heilige die Seelen erzieht, die sich ihm anvertrauen: der »Freiheit des Geistes«, die die Voraussetzung dafür ist, Gott wohlgefällig zu sein. »Es muss ein für allemal gesagt werden«, so schreibt er in einem seiner ersten Briefe an Johanna, »Gott hat mich Euch gegeben, ich will sagen, er hat mich Euch auf eine einzigartige, ganze, unwiderruflichen Art und Weise gegeben.«
Die Baronin von Chantal kommt am 23. Januar 1572 in Dijon in einer Familie des burgundischen Adels zur Welt. Ihr Vater ist Bénigne Frémyot, Mitglied des Parlaments von Dijon, die Mutter, Marguerite de Berbisey, stirbt, als Johanna noch sehr klein ist.
Auch Franz, der 1567 in Savoyen geboren wurde, entstammt einer adeligen Familie. Als sie sich kennenlernen, ist Johanna 29 Jahre alt und seit vier Jahren Witwe. Ihr Gatte, Christoph II., Baron von Chantal, ist bei einem Jagdunfall umgekommen und hat sie mit vier Kindern zurückgelassen: der Älteste ist fünf Jahre alt, die Kleinste erst wenige Monate. Johanna wünscht sich einen geistlichen Leiter, jemanden, dem sie die Qualen anvertrauen kann, die sie leidet. Eines Tages hat sie beim Reiten eine Vision: sie sieht einen Mann, der aussieht wie ein Bischof. Eine innere Stimme sagt ihr, dass das der Leiter ist, um den sie Gott gebeten hat. Aber es ist nur ein Traum.
Das Bild, das sie in der Vision gesehen hat, wird am 5. März 1604 Wirklichkeit. Johanna befindet sich in Dijon, wohin ihr Vater sie eingeladen hat, weil er weiß, dass der Bischof von Genf, Franz von Sales, erwartet wird, über den viel erzählt wird. Johanna wohnt einer seiner Fastenpredigten bei. Sie ist davon schwer beeindruckt. Entschlossen wie sie ist, bemüht sie sich um eine weitere Begegnung. Es gelingt ihr, aber es sind immer andere dabei. Da bittet sie ihren Bruder, André Fremyot, der auch Priester ist, ihn zu sich nachhause einzuladen, wo sie alleine mit ihm sprechen kann; es ist ihre erste wichtige Begegnung. Johanna vertraut ihm ihre Ängste an. Franz ahnt, dass sie eine große Seele hat. Er beschließt daher, sich ihrer anzunehmen. »Mir scheint, dass Gott mich Ihnen zugeteilt hat, ich bin mir dessen mit jeder Stunde sicherer.« So beginnt der Briefwechsel, der ihr ganzes Leben dauern sollte. Franz leitet sie meisterhaft, setzt sich mit den tausend Nuancen ihrer komplizierten Persönlichkeit auseinander, beschäftigt sich aber auch mit den Details des Alltagslebens (von der Kindererziehung bis zu Ratschlägen, wie sie mit ihrem grantigen Schwiegervater auskommen konnte, bis hin zu den »Gebetsregeln«).
Franzens Pädagogik ist ausgesprochen modern: sich aufs Wesentliche konzentrieren und alles mit geistiger Freiheit tun. Weg mit »den Skrupeln«, »haltet Euch fern von Ängsten und Sorgen«, tut »alles aus Liebe, nichts, weil es halt wohl oder übel sein muss«, macht Euch keine Gedanken darüber, »Geschmack« an den Dingen zu finden, denn die Ausübung der Freiheit liegt gerade in den »Dingen, die ohne diesen Geschmack« geschehen. Er erteilt ihr seine Ratschläge für jedes einzelne ihrer Kinder und dosiert sie entsprechend ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten. Er vernachlässigt auch keine Einzelheiten: so empfiehlt er beispielsweise, dass jedes Kind alleine schlafen soll, im eigenen Zimmer, und fordert sie auf, »auf den Verstand und auf die Seele« der Kinder einzuwirken, »mit sanften Bewegungen, ohne Gewalt«. Aber wenn es etwas zu tadeln gibt, dann tut er das, sowohl sie als auch ihre Kinder, wenn sie sich treffen.
Im Lauf der Monate, der Jahre wächst bei beiden das Bewusstsein darüber, dass diese Beziehung ein Werkzeug ist, dessen Gottes sich für beider Heiligkeit bedient. »Gott will, dass Ihr Euch meiner bedient, bezweifelt das nicht«, ermutigt sie Franz mit Überzeugung. Die Briefe des Bischofs von Genf sind übervoll mit einer Zuneigung, die sich nicht fürchtet, sich zu äußern. »Wisst, dass Gott mir vom allerersten Male an, als Ihr mir Eure Seele offenbartet, eine große Liebe für Eure Seele eingeflößt hat: und dass sich, als Ihr Euch mir auf noch speziellere Art manifestiert habt, zwischen meiner Seele und der Euren ein noch viel engeres Band der Zuneigung geknüpft hat (…). Nun aber, liebste Tochter, hat sich zu diesem noch ein weiterer Affekt gesellt, von einer Art, die man, wie mir scheint, nicht definieren kann, deren Auswirkung aber in einer großen inneren Süße besteht, die ich empfinde, wenn ich Euch die Vollkommenheit der Liebe Gottes wünsche.«
Das Leben sollte ihr weitere Schmerzen nicht ersparen. Das schwierige Zusammenleben mit dem Schwiegervater, sodann der Tod Johannas, Franzens Schwester, die gekommen war, um bei ihr zu leben, die Sorgen mit den Kindern. Nunmehr reift in der Baronin, die die Keuschheitsgelübde abgelegt hat, die Idee heran, der Welt den Rücken zu kehren und ins Kloster einzutreten. Aber da sind die Kinder, die es zu erziehen gilt, ein Vater und ein Schwiegervater, um die sie sich kümmern muss. Alles scheint sich gegen diesen Plan verschworen zu haben.
Sie vertraut sich Franz an, der ihr diese Pläne nicht ausredet. Ganz im Gegenteil. Er hat bereits seit einiger Zeit die Idee, einen neuen Frauenorden zu gründen, der Frauen aufnehmen soll, die zwar fest vorhaben, den Schleier zu nehmen, die aber körperlich den strengen Regeln der bereits existierenden Orden nicht gewachsen sind. Er hält Johanna für die perfekte Ordensgründerin.
Ihr Leben selbst ist die Demonstration dessen, was Franz inspiriert: die Idee, dass man Heiligkeit immer, überall und in jedem Zustand erfahren kann. Dass die Radikalität für alle da ist. Er sagt ihr also, sie solle sich gedulden. Johanna wartet. Sieben Jahre später scheint sich die Lage durch ein Eingreifen der Vorsehung von selbst zu ordnen.
Um eine Tochter, Marie-Aimée, hält Bernhard, ein Verwandter von Franz, an. Der Sohn, Celsus, wird dem Großvater und einem Tutor für seine Erziehung anvertraut. Aber ein neues Leid erwartet Johanna: 1610 erliegt Charlotte, ihre 10-jährige Tochter, einer plötzlichen Krankheit. Nun steht dem Vorhaben nichts mehr im Wege. Die jüngste Tochter kann ihr ins Kloster folgen. Für die beiden anderen ist gesorgt. 1610 entledigt sich Johanna zugunsten ihrer Kinder all ihrer Güter. Sie bricht nach Annecy auf und tritt am 6. Juni 1610 gemeinsam mit zwei Gefährtinnen, Marie-Jacqueline Favre und Charlotte de Bréchard (zu denen sich später noch Anne-Jacqueline Costa gesellen sollte), in das »Galeriehaus« ein, das Stammhaus der Visitantinnen. Nach wenigen Monaten sind die Visitantinnen bereits elf. Im Laufe weniger Jahre gibt es immer mehr Heimsuchungsklöster.
Am 10. Dezember 1622 treffen sich Johanna und Franz ein letztes Mal. Am 28. Dezember stirbt er in Lyon. Sie überlebt ihn um neunzehn Jahre: sie stirbt am 13. Dezember 1641 in Moulins. »Er hat mich ganz zum Euren gemacht und Euch zu der Meinen, damit wir auf reinere, perfektere und einzigartigere Weise die Seinen wären«, so liest man in einem seiner letzten Briefe. Und es ist die perfekte Beschreibung dieser großen und fruchtbaren Freundschaft in einem der schwierigsten Augenblicke der Kirchengeschichte.
Franz, der 1665 heiliggesprochen wurde und als Vater der modernen Spiritualität gilt, eine der großen Persönlichkeiten der Gegenreformation, ist Kirchenlehrer und hat die Gründer unzähliger Ordensfamilien inspiriert, deren berühmteste die Salesianische Familie ist, die vom heiligen Johannes Bosco gegründet wurde. Johanna, die 1767 heiliggesprochen wurde und seine entschlossene, freie und intelligente Jüngerin war, gründete zu Lebzeiten 87 Häuser.
Alle beide ruhen in Annecy, in der Kirche des Heimsuchungsklosters.
Von Elisa Calessi
Eine berühmte Enkelin
Johanna von Chantal ist die Großmutter mütterlicherseits von Marie de Rabutin-Chantal, bekannt als Madame de Sévigné, einer Schriftstellerin und berühmten Dame aus dem Frankreich des 17. Jahrhunderts. Berühmt sind ihre Briefe an ihre Tochter, ausführliche und erheiternde Briefe über alltägliche und wahre Fakten vom Hof von Versailles und über den Adel, die mit Elan das Leben einer reichen Frau der damaligen Zeit offenbaren.