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Die Benediktinerhochschule Sant’Anselmo in Rom

»Wissenschaft und Gottverlangen«

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16. Juli 2021

Der Aventin hat bereits in der christlichen Frühzeit Roms monastisches Leben angezogen. Der lateinische Kirchenvater Hieronymus gründete hier ein »didaskaleion«, eine Gemeinschaft gelehrter Asketen, die sich dem Studium der Heiligen Schrift widmeten. Bis heute finden sich viele Ordensgemeinschaften auf diesem römischen Hügel. 1888 gründete Papst Leo XIII. am Sitz des Abtprimas der weltweiten Benediktinerkonföderation ein Athenäum, wie die theologischen Hochschulen in Rom genannt werden. Aus der ursprünglichen Lehranstalt für vor allem junge Mönche aus Europa wurde eine moderne Privatuniversität mit drei Fakultäten und über 600 Studierenden aus 70 Ländern.

Für die Mönche der Spätantike und des Mittelalters war die Philosophie eine Lebensform auf der Suche nach Weisheit. Anselm von Canterbury (+1109) steht als namensgebender Patron der Hochschule paradigmatisch für die Zusammenschau von Liturgie und Akademie, Kreuzgang und Hörsaal, Lectio divina und spekulativem Denken. In dieser Tradition bietet die Philosophische Fakultät von Sant’Anselmo nicht nur das philosophische Grundstudium, sondern auch ein Lizentiats- und Doktoratsstudium an, in dem die Mystik als genuine Erkenntnisform in Dialog mit anderen philosophischen Diskursen tritt.

Auch das Grundstudium an der Theologischen Fakultät nimmt vom Mönchtum kommend eine existentielle und erfahrungsorientierte Perspektive ein, in der die Heilige Schrift und die Liturgie grundlegende Bezugspunkte für den gesamten Fächerkanon sind. Aus diesem Zusammenhang speisen sich auch die Lehrgänge für das Lizentiat und Doktorat in Theologiegeschichte sowie Sakramententheologie. Eine dritte theologische Spezialisierung bietet das 1952 gegründete Monastische Institut. Seine Arbeit lässt sich mit dem Motto »Wissenschaft und Gottverlangen« zusammenfassen, wie der deutsche Titel des Hauptwerkes von Jean Leclercq OSB, einem der Gründerväter des Instituts, lautet.

Die durch Covid 19 ausgelöste Pandemie in den Jahren 2020 und 2021 hat auch die römischen Hochschulen mit ihren meist ausländischen Studierenden vor große Herausforderungen gestellt. Das Monastische Institut hat jedoch gezeigt, wie Schwierigkeiten zur Chance werden können. Da es notwendig geworden war, Studierenden bei physischer Abwesenheit die Teilnahme an Lehrveranstaltungen zu ermöglichen, konnten sich auch kontemplative Klöster einklinken. Aus dieser Erfahrung heraus entstehen nun kompakte online-Kurse in verschiedenen Sprachen, die auf die Bedürfnisse von klausurierten Gemeinschaften abgestimmt sind.

Bereits ab 1950 erforschte und edierte ein eigenes Institut in Sant’Anselmo liturgische Quellen. 1961 erhob es Johannes XXIII. in den Rang eines Päpstlichen Instituts, von dem grundlegende Impulse für das Konzil ausgingen. Zentrale Gestalten der liturgischen Erneuerung, wie die Benediktiner Cipriano Vagaggini und Salvatore Marsili, sind bis heute für Lehrveranstaltungen und akademische Arbeiten wegweisend. Das Liturgische Institut im Rang einer Fakultät verleiht Bakkalaureate, Lizentiate und Doktorate in Liturgiewissenschaft: alleine 120 Studierende sind im Lizentiatszyklus, 70 weitere arbeiten an einer Dissertation. Daraus ergibt sich eine für die Liturgie einmalige internationale Forschungsgemeinschaft von Professoren und Studenten, die ihre Schwerpunkte einbringen. Zusätzliche Studienprogramme wie »Liturgie, Kunst und Architektur« zeigen, dass in Zukunft internationale Partnerschaften auch für römische Privatuniversitäten noch wichtiger werden.

Für Studierende bietet Rom neben weltkirchlichen Einblicken auch die Erfahrung vom geschichtlichen, künstlerischen und kulturellen Reichtum der Ewigen Stadt. Die römische Universitätslandschaft eröffnet viele Möglichkeiten in den päpstlichen Einrichtungen mit ihren charakteristischen Zugängen. Als einzige monastische Ordenshochschule in Rom sieht Sant’Anselmo seinen Auftrag darin, Philosophie, Theologie und Liturgiewissenschaft in benediktinischer Weise zu betreiben. Von daher ist es bedeutsam, dass am Ort der Hochschule neben dem Abtprimas im gleichnamigen Kolleg Professoren und Studenten aus Benediktinerklöstern vieler Nationen gemeinsam leben und beten. Die klösterliche Atmosphäre am Studienort ist oft eine neue Erfahrung für jene, die in Sant’Anselmo ihr Studium aufnehmen oder einen Forschungsaufenthalt machen. Im abgelaufenen Jahr 2020/2021 war das auch der Fall für 25 katholische und evangelische Studierende aus Deutschland, die zum »Theologischen Studienjahr Jerusalem« gehören. Sie mussten aufgrund der Pandemie ihr akademisches Programm in der benediktinischen Mutterhochschule in Rom abhalten, wo sie noch dazu durch ihre Unterkunft im Benediktinerkolleg den klösterlichen Rhythmus der Mönche auch außerhalb der Studienzeiten kennenlernten.

Im deutschsprachigen Raum wird die Rolle von Kirche und Theologie heftig debattiert und zuweilen überhaupt in Frage gestellt. Bemerkenswert dabei ist, dass sich in der Gesellschaft und in der Kirche ein großes Interesse an Klöstern zeigt. Das könnte aufschlussreich für den Anspruch und Ort der Theologie sein: Sie wird dann interessant und relevant, wenn sie sich als Denkform einer distinktiven religiösen Lebensform versteht. Darin liegt auch die Zukunftstauglichkeit einer Ordenshochschule in Rom. Sant’Anselmo zeigt im Übrigen, wie sich eine auf der entschiedenen Existenzweise der Mönche aufbauende Hochschule dann keinen Identitätsverlust zu befürchten braucht und sich nach außen hin öffnen kann, wie am großen Stellenwert der Gastfreundschaft und Ökumene abzulesen ist.

Von Bernhard A. Eckerstorfer OSB,
Rektor des Päpstlichen Athenaeums Sant’Anselmo