Interview mit dem neuen Generalminister der Franziskaner

Im Dienst der Kirche von den »Kleinen« lernen

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30. Juli 2021

Rom. Mitte Juli hat das Generalkapitel der Franziskaner in Rom Massimo Fusarelli zum neuen Generalminister gewählt. Der 58-Jährige ist damit Nachfolger des US-Amerikaners Micha­el Anthony Perry, der den Orden mit seinen weltweit gut 13.000 Mitgliedern seit 2013 leitete. Fusarelli wurde für sechs Jahre bis 2027 gewählt.

Das 118-köpfige Generalkapitel tagte vom 3. bis 18. Juli unter Leitung des brasilianischen Kurienkardinals João Braz de Aviz. Der Präfekt der unter anderen für die Ordensleute zuständigen Kongregation war von Papst Franziskus zum Kardinaldelegaten für die Versammlung ernannt worden. Das Kapitel fand im Internationalen Kolleg San Lorenzo von Brindisi der Kapuziner bei Rom statt. Auf der Agenda standen neben weiteren Personalentscheidungen auch Beratungen über künftige Schwerpunkte des von Franz von Assisi (1181-1226) gegründeten Ordens. Das Motto des zweiwöchigen Kapitels lautete »Renewing Our Vision, Embracing Our Future« (Unsere Vision überprüfen und die Zukunft annehmen).

Massimo Fusarelli, am 30. März 1963 in Rom geboren, trat 1982 in den Franziskanerorden ein; 1983 legte er die zeitlichen, 1989 die feierlichen Ordensgelübde ab. Nach Studien an der ordenseigenen Hochschule Antonianum sowie am Patristikinstitut Augustinianum in Rom lehrte er etliche Jahre patristische Theologie am Antonianum. Ab 1990 übernahm er für seine Gemeinschaft Aufgaben in der Berufungspastoral sowie der Aus- und Weiterbildung. Von 2003 bis 2009 koordinierte er in der Generalkurie des Ordens Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen. Anschließend war er vier Jahre lang in der Seelsorge am Stadtrand von Rom tätig. Im Auftrag von Generalminister Perry führte Fusarelli 2012 eine Visitation in der Region Neapel durch; ein Jahr später moderierte er die Zusammenlegung der Ordensprovinzen in Norditalien. Vom Herbst 2016 bis Sommer 2017 lebte er mit einigen Mitbrüdern unter Opfern des verheerenden Erdbebens von Amatrice in der Provinz Rieti. Anschließend wechselte Fusarelli nach Rom und wurde Guardian der Klostergemeinschaft von San Francesco a Ripa im römischen Stadtteil Trastevere sowie Pfarrer der dortigen Gemeinde. Die Gemeinschaft in Trastevere engagiert sich mit dem Projekt »Ripa dei Settesoli« besonders für gefährdete junge Erwachsene. Mit der Unterstützung von ehrenamtlichen Helfern können pro Jahr etwa 50 Personen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren, darunter Migranten und Haftentlassene, in den vom Kloster zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten Unterkunft, Verpflegung, Begleitung, menschlichen Beistand sowie Hilfe zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft finden. Vor einem Jahr erst war Fusarelli zudem zum Provinzialminister seines Ordens für die Region Abruzzen-Latium gewählt worden.

Mit einem kurzen Telegramm hat Papst Franziskus dem neuen Generalminister der Franziskaner, Massimo Fusarelli, am Wahltag gratuliert: »Ich versichere Sie meines Gebetes und meines Segens, damit der Herr Ihnen in der Ausführung Ihres Dienstes beistehen und Sie behüten möge. Der heilige Franziskus, Pater seraphicus [seraphischer Vater, ein Beiname des Heiligen], möge Ihnen Ermutigung sein bei der Leitung Ihrer Brüder.« Im Interview mit Benedetta Capelli und Tiziana Campisi von Vatican News spricht der Generalminister über seine Reaktion und den vor ihm liegenden Weg.

Fra Fusarelli, welche Bedeutung haben für Sie die Worte des Papstes zu Ihrer Wahl?

Es war vor allem eine große Überraschung. Ich habe es im Internet durch Vatican News erfahren, noch bevor das Telegramm hier angekommen ist. Es kam live zu uns, und es hat uns getröstet und unterstützt. Mich natürlich zuerst, weil es an mich gerichtet war. Wenige, aber sehr wahre Worte… Sagen wir, unbürokratische Worte. Auch für die Brüder hier im Kapitel war es ein Zeichen der Aufmerksamkeit, der Fürsorge, das uns gut tut. Es lässt uns spüren, dass wir mit dem Papst, mit der Weltkirche in Gemeinschaft sind und dass wir bereit sind, auf den Ruf der Kirche zu antworten, aus unseren Orten hinauszugehen und das Evangelium dort, wo wir sind, zu verkünden. Wir sind in rund 60 Ländern der Welt präsent, und hier werden wir auf tausend verschiedene Arten aufgefordert, einen Schritt weiter zu gehen. Und die Tatsache, dass der Papst im Krankenhaus war, auf dem Weg der Genesung, und diesen Gedanken für uns hatte, lässt uns ihn noch mehr lieben.

Sie haben sich für die vom Erdbeben betroffenen Menschen in Accumoli und Amatrice engagiert und dort gelebt, auch in den Vororten von Rom haben Sie sich für Benachteiligte eingesetzt. Was bringen Sie von dieser Erfahrung in das neue Amt ein, zu dem Sie berufen wurden?

Was in mir gewachsen ist, ist vor allem die Verbindung mit dem realen Leben der Menschen, der Männer und Frauen von heute, vor allem mit denen, die leiden, den Kleinen, den Armen. Dieser Kontakt mit der Realität hat mir geholfen, zu wachsen. Dann begleitet mich das, was das Matthäusevangelium uns sagt, nämlich dass Gott, der Vater, seine Geheimnisse den Kleinen offenbart, nicht denen, die sich für intelligent halten. Ich habe gerade heute Morgen daran gedacht, dass ich in die Schule der Kleinen gegangen bin und das immer noch tue, weil ich mit vielen von ihnen in Kontakt bleibe, besonders in Amatrice und Accumoli. In der »Schule der Kleinen« möchte ich lernen, einen Dienst wie diesen »als Kleiner« zu erfüllen, also nicht als jemand, der meint, er könne es allein oder habe alle Weisheit und Intelligenz, um einen solchen Dienst auszuführen, sondern als jemand, der offen bleibt. Und noch etwas trage ich im Herzen. Es ist das Mitfühlen, das heißt, sich vom Leben der Menschen berühren zu lassen, sich manchmal vom Leben der Menschen »zerschmettern« zu lassen, weil das die Fragen vermehrt und das Herz weitet. Damit und mit anderen Erfahrungen, die ich gemacht habe, darunter auch Erfahrungen im Orden auf internationaler Ebene, hoffe ich, mein Herz und meinen Geist für die Kulturen, Sprachen und Länder öffnen zu können, die ich besuchen und mit denen ich in Kontakt sein werde.

Und was haben die Kleinen Ihrer Meinung nach von Ihrer Nähe gelernt, die ja auch die Nähe der Kirche ist…

Die Nähe zu spüren… Mehr als zu lernen, haben sie begriffen, dass wir ihnen nahe sein können, dass wir ihnen nahe sind, nicht so sehr die Kirche als abstrakte Institution, sondern konkrete Menschen, die das Evangelium leben und Jesus nachfolgen. So haben sie nicht das Gefühl, dass die Kirche eine ferne Institution ist, die nur in bestimmten Räumen oder zu bestimmten Zeiten in Erscheinung tritt, sondern dass sie eine nahe Realität ist. Ich habe viele Antworten dieser Art erhalten, und auch von einigen, die sich dann nicht in erklärter Weise für einen, sagen wir, institutionelleren, organisierteren Glaubensweg geöffnet haben. Aber es ist, als ob eine Flamme des Glaubens neu entfacht worden wäre, die dann ein reiferes Glaubensbekenntnis vorbereiten kann. Der Glaube, die Gegenwart Gottes, ist eine Realität, die mein Leben berührt, die gegenwärtig ist, ich kann daran glauben, ich kann mich ihr anvertrauen. 

Abgesehen von den guten Wünschen des Papstes: Gibt es besondere Glückwünsche, die Sie erreicht haben, vielleicht aus den eher wenig betretenen, vergessenen Gebieten, wie die der Erdbebenopfer, der Vorstädte?

Ja, ich habe viele bekommen, gestern Abend, auch heute Nacht. Ich habe sie heute Morgen gesehen und einige von ihnen sagen gleichsam: Du bist auch dank uns dort. Das hat mir gefallen, es brachte mich zum Lächeln, weil sie mit ihrem Stolz die Wahrheit sagten. Ich denke, wenn dieser Dienst jetzt reif für mich ist, dann auch deshalb, weil ich diesen Kontakt, dieses gemeinsame Leben mit ihnen gehabt habe. Dann gab es andere, vor allem einige einfache Leute, vor allem Großmütter, die mir schrieben: »Gott beschützt dich, hab keine Angst!« Dass dies von Menschen kommt, die viel gelitten haben, ist ein besonders wertvoller Segen, fast so viel wie ein Apostolischer Segen. Denjenigen, die heute in dieser Welt noch auf ein Wort und ein Lebensbeispiel der Franziskaner warten, und das sind viele, möchte ich sagen: Unterstützt uns, helft uns, öffnet uns den Weg, damit wir unsere Berufung heute leben und sie wirklich leben können.

Heute bewegen wir uns auf den Spuren von Papst Franziskus und denken dabei auch an »Fratelli tutti«, die genau an diese Umarmung erinnert, auch in einer anderen Welt als der unseren, in einer fernen Welt. Kann diese Geschwisterlichkeit wirklich Ihren Weg und den Weg vieler Franziskaner leiten?

Ganz klar. Schon der heilige Franziskus hat die Barrieren seiner Zeit überwunden, in Bezug auf die Leprakranken, die muslimische Welt, die Sünder, die der Kirche Fernstehenden. Papst Franziskus ist über diese Barrieren hinausgegangen und hat dort den Weg des Evangeliums gefunden. Darum hoffen wir, dass sich noch viele derartige Wege öffnen werden.